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Kriegsgebiet ohne Frontlinien

Roman Goncharenko20. April 2014

Die Reise von Donezk nach Slowjansk ist ein Trip in eine andere Ukraine. Je weiter man sich von der Hauptstadt des Donbas entfernt, desto deutlicher wird das. Eine Reportage aus einem Kriegsgebiet ohne Frontlinien.

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Stadtmitte in Slowjansk (Foto: DW/R. Goncharenko)
Bild: DW/R. Goncharenko

Es ist ein milder grauer Aprilmorgen, als wir kurz vor neun Uhr Donezk verlassen. Es geht nach Slowjansk, eine kleine Provinzstadt rund 110 Kilometer nördlich. Dort ist die inoffizielle Zentrale der Separatistenbewegung in der Ostukraine. Und dort gibt es die sogenannten "Grünen Männchen", wie schwerbewaffnete Männer ohne Abzeichen im Volksmund genannt werden.

Straßensperren für Referendum

Die gut asphaltierte Straße führt vorbei an rauchenden Schloten eines Chemiewerks und schwarzen Ackerfeldern, die bis zum Horizont reichen. Nach rund 20 Minuten Fahrt gibt es die erste Straßensperre. Zwei Reihen Autoreifen zwingen Autos in einem Zickzack-Kurs zu fahren. Es wehen schwarz-rot-blaue Fahnen der sogenannten "Donezker Volksrepublik". Ein paar junge Männer lenken den Verkehr. Man sieht keine Schusswaffen. Nur ein paar Molotowcocktails stehen griffbereit.

Je weiter man sich von Donezk entfernt, desto mehr solcher Sperren gibt es. Männer, die auf den Barrikaden stehen, sehen immer schäbiger aus. Genfer Erklärung? "Das interessiert uns nicht", sagt ein Mann Anfang 40 in einer schmutzigen olivgrünen Tarnjacke. Er hat eine dunkle Gesichtsfarbe und ihm fehlen ein paar Vorderzähne. "Wir bleiben", sagt er und zieht an seiner Zigarette. "Wir wollen entweder eine unabhängige Donezker Republik oder Anschluss an Russland." Ein Referendum solle Anfang Mai stattfinden.

Straßensperre der Separatisten in Slowjansk (Foto: DW/R. Goncharenko)
Straßensperre auf dem Weg nach SlowjanskBild: DW/R. Goncharenko

Hier in der Ostukraine gibt es viele Menschen wie diesen Mann. Das Kohlerevier Donbas ist seit Sowjetzeiten ein Arbeiterland. Zechen, gigantische Stahlwerke und einfache einstöckige Häuser prägen das Bild entlang der Straße. Manche Fassaden wurden offenbar seit 30 oder 40 Jahren nicht mehr gestrichen. Man sieht darauf Bilder sowjetischer Arbeiter mit Hammer und Sichel.

Angst vor tieffliegenden Kampfjets

Nach etwa einstündiger Fahrt kommen wir in Kramatorsk, einer 165.000-Seelen Stadt, an. Auf den Straßen hängen große Plakate in der Farben der ukrainische Fahne: blau und gelb. "Die Ukraine ist einig" steht darauf. Auf ein Poster hat jemand "Lüge" gekritzelt. Der Platz in der Stadtmitte ist leer. Ein paar junge Mütter spazieren mit ihren Kindern an der Leninstatue vorbei und füttern Tauben.

Krankenschwester Schenja in Kramatorsk (Foto: DW/R. Goncharenko)
"Mein Sohn hat Angst vor den ukrainischen Kampfjets," schimpft Krankenschwester SchenjaBild: DW/R. Goncharenko

"Ich bin für einen Anschluss an Russland", sagt Schenja, Anfang 20. Schenja ist Krankenschwester, bleibt aber noch zu Hause mit ihrem zweijährigen Sohn Kirill. Die neue Regierung in Kiew akzeptiert sie nicht: "Die sind doch durch einen bewaffneten Putsch an die Macht gekommen". Sie beschwert sich über die ukrainischen Militärs, die hier gegen Separatisten vorgehen. "Es fliegen täglich Kampfjets und Hubschrauber sehr niedrig über der Stadt, mein Sohn hat Angst davor", schimpft sie. An diesem Tag gibt es keinen Lärm am Himmel. Die Regierung in Kiew hat für die Osterfeiertage eine Pause im Kampf gegen Separatisten angekündigt. Schenja möchte ein Referendum und würde für einen Anschluss an Russland stimmen. "Weil Russland reicher ist", sagt sie.

Ein paar Leute, die auf der Barrikade neben der besetzen Stadtverwaltung stehen, sehen das anders. Beim Wort "Russland" macht Wassyl ein Gesicht wie jemand, der nichts Falsches sagen möchte. "Wir bleiben lieber in der Ukraine, wollen aber mehr Autonomie", sagt der 57-jährige Schlosser. Auch Andrij, ein Arbeitsloser Anfang 30, möchte nicht nach Russland. Beide jedoch sagen, dass sie die Regierung in Kiew nicht akzeptieren und ein Referendum wollen. Wie würde man hier russische Truppen empfangen? "Super, die sollen kommen", sagt eine Frau Mitte 50 und lächelt breit. Sie stellt sich als Rentnerin vor.

"Grüne Männchen" mit russischem Akzent

Russische Truppen seien in der Ostukraine bereits angekommen, behauptet die ukrainische Regierung in Kiew. Moskau dementiert das. In der Stadt Slowjansk, rund 15 Kilometer von Kramatorsk entfernt, haben maskierte und schwerbewaffnete Männer in Uniformen ohne Abzeichen seit Wochen die Kontrolle übernommen. Sie haben mehrere Gebäude besetzt, darunter die Stadtverwaltung. Viele Ukrainer nennen sie "Grüne Männchen", weil sie auch auf der ukrainischen Halbinsel Krim, bevor sie von Russland annektiert wurde, grüne Uniformen getragen haben.

Schlosser Wassyl in Kramatorsk (Foto: DW/R. Goncharenko)
Schlosser Wassyl will mehr AutonomieBild: DW/R. Goncharenko

Die Tarnanzüge der Männer in Slowjansk unterscheiden sich von denen auf der Krim, doch manche scheinen tatsächlich Russen zu sein. Drei von ihnen stellen sich vor Journalisten hin und geben eine improvisierte Pressekonferenz. Sie seien ehemalige ukrainische Militärs, die "nicht mehr zuschauen konnten, wie Russen hier unterdrückt werden", sagt ein Mann mit einer schwarzen Maske auf dem Gesicht. Seine Kalaschnikow habe er von ukrainischen Fallschirmjägern bekommen, die sich hier vor einigen Tagen entwaffnen ließen.

Die Art wie der Mann spricht, lässt jedoch vermuten, dass er in Wahrheit ein Russe ist. Denn ukrainisches Russisch und Russisch, dass in Russland gesprochen wird, unterscheiden sich so, wie etwa Bayrisch vom Deutsch im Rest der Republik. Die Barrikade aus Sandsäcken vor dem besetzten Stadthaus in Slowjansk sieht auch viel professioneller aus als in Kramatorsk. Die Säcke liegen in hohen symmetrischen Stapeln und sind nicht beliebig hingeworfen. Die bewaffneten Männer scheinen sich auf eine lange Zeit einquartiert zu haben. "Wir bleiben bis zum Referendum", sagt einer. In das Gebäude werden mit Autos schwere Munition und Essensvorräte gebracht. Ein Mann in Zivil bringt am Eingang ein Metallnetz an. "Damit man keine Granate hineinwerfen kann", erklärt er.

Der Wunsch nach einem besseren Leben

Auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebäude spielen sich friedliche Szenen ab. Manche Soldaten haben bei Jugendlichen Skateboards ausgeliehen und fahren damit um das Lenindenkmal. Eltern spazieren mit Kleinkindern. Die bewaffneten Männer stören sie offenbar nicht. "Wir haben keine Angst vor denen", sagt eine junge Mutter. "Die sind doch gekommen, um uns zu helfen".

Bewaffnete Separatisten in Slowjansk (Foto: DW/R. Goncharenko)
Keine Angst vor den "grünen Männchen"Bild: DW/R. Goncharenko

Ähnliches hört man von jungen Männern, die neben einer Barrikade sitzen. Ob mit Ukraine oder Russland sei ihnen egal. "Doch Russland ist ein wohlhabenderes Land", stellt ein Mann nüchtern fest. Deshalb sei man in Slowjansk für eine Integration mit dem Nachbarland. "Eigentlich wollen wir nur ein besseres Leben", sagt er. Er wiederholt den Satz mehrmals. Das scheint für viele hier zu gelten.