Kriegstränen aus Kaschmir
6. Januar 2004Sie robben durch den kalten Schnee Kaschmirs, Kugeln pfeifen ihnen um die Ohren. Überall liegen Leichen. Dennoch kämpfen die indischen Soldaten tapfer, wissend, dass nur wenige von ihnen dieses Inferno in mehr als 5000 Metern Höhe auf dem höchsten Schlachtfeld der Welt überleben werden. Seit Ende Dezember 2003 rührt "LoC: Kargil", das neue Kriegsepos von Bollywood-Starregisseur J. P. Dutta, Millionen Inder zu Tränen - und sorgt für Kontroversen.
Der vier Stunden lange Film heroisiert 24 indische Soldaten, die 1999 im Distrikt Kargil in der Himalayaregion Kaschmir gegen die Pakistanis kämpften. Im April 1999 waren pakistanische Soldaten zunächst unbemerkt in den von Indien besetzten Teil Kaschmirs eingedrungen. Mehr als 1000 Menschen verloren in den darauffolgenden fünf Monaten Krieg an der Kontrolllinie "Line of Control" (LoC) ihr Leben. Indien ging zwar aus diesem Grenzkonflikt mit Pakistan siegreich hervor, das Trauma vom möglichen Verlust Kaschmirs jedoch blieb. Eines, mit dem sich eine hübsche Summe Geld verdienen lässt. Genau dies ist der Vorwurf der Kritiker an Regisseur Dutta, der seine Vornamen nicht nennen mag.
Kasse machen mit dem Erbfeind
Der patriotische Film schürt zudem Hass und Misstrauen der Inder gegenüber den Pakistanis zu einer Zeit, in der sich die beiden Atommächte auf politischer Ebene langsam wieder annähern. Der Flugverkehr zwischen den Nachbarn, der nach einem Anschlag auf das indische Parlament in Neu Delhi im Dezember 2001 unterbrochen wurde, besteht seit dem 1. Januar 2004 wieder. Ab dem 15. Januar 2004 rollt auch der "Samjhauta"-Express - der "Konsenszug" - wieder.
"Ich wollte auf keinen Fall den Patriotismus in Indien anfachen", sagt Dutta. "Vielmehr will ich mit 'LoC: Kargil' den Menschen diesseits und jenseits der Grenze zeigen, dass Brüder ihre Brüder getötet haben. Dieser Krieg hätte nie stattfinden dürfen." Die Diskussionen um den Film waren die richtige Werbung. Der 75 Millionen Euro teure Kriegsstreifen ist auf dem besten Weg zum Kassenknüller. In Pakistan sind Filme aus Indiens Filmmetropole Bombay - auch Bollywood genannt - als Raubkopien erhältlich und sehr beliebt, obwohl ihre Verbreitung illegal ist. Damit wächst die Angst vor einer Welle des Indienhasses in der pakistanischen Bevölkerung. Abhishek Bachchan, einer der Hauptdarsteller des Films, hofft jedoch auf Verständnis: "Tapferkeit und Mut der Soldaten stehen im Vordergrund. Das ist doch nicht anti-pakistanisch."
Kunst als Brücke
Seit über fünf Jahrzehnten versuchen einige Regisseure, Schauspieler und Sänger beider Länder abseits aller politischen Animositäten zusammenzuarbeiten. Nur wenige - wie beispielsweise der inzwischen verstorbene Pakistani Nusrat Fateh Ali Khan - haben jedoch in ihrem Heimat- und dem Nachbarland Erfolg. Der indische Regisseur Mahesh Bhatt betonte unlängst, dass Inder und Pakistanis dieselben Wurzeln haben: "Wir sind durch unsere Gene miteinander verbunden, wir essen das gleiche wir tragen die gleichen Kleider und wir werden - so sehr wir es auch versuchen - nicht voneinander zu trennen sein."
Immer mehr Künstler stimmen dem zu, wohlwissend, welches Millionenpotenzial in der Öffnung des indischen und pakistanischen Unterhaltungsmarktes für beide Seiten liegt. Duttas "LoC: Kargil" wirkt allerdings zum Zeitpunkt dieses kulturellen und politischen Tauwetters irgendwie fehl am Platz.