Krim-Krise, Kunst und Kompromisse
4. April 2014Ein Herbsttag 2008: Ein Nürnberger Ehepaar flaniert durch das Kunstmuseum von Simferopol. Ferien auf der Krim - damals immerhin die Haupturlaubsregion der Ukraine, inzwischen hat Russland das Gebiet annektiert. Der Ehemann stammt aus dem westdeutschen Aachen - und von einem Augenblick auf den anderen ist er hellwach: Da hängen ja Bilder aus der Heimat! Und gar nicht so wenige.
In eben jener Heimat zeigt das Suermondt-Ludwig-Museum just zu jener Zeit eine mutige, in den Worten einer Zeitung sogar "sensationelle" Ausstellung. Schwarz-Weiß-Fotografien der Bilder, die Ende des Zweiten Weltkriegs verloren gingen und womöglich von der Roten Armee als Beutekunst in die Sowjetunion gebracht wurden. Wo die Originale sind, wissen die Aachener nicht - bis sie den Hinweis des Nürnberger Ehepaares im Briefkasten finden.
Venus in der Schmiede des Vulkan
Und bald schon ist Bewegung in der Sache. Aachens Museumsdirektor Peter van den Brink fährt einmal, zweimal, dreimal nach Simferopol zu Kollegin Larina Kudrjaschowa und den Bildern: 76 sind es, deutsche Maler des 19. Jahrhunderts, holländische und flämische des 17. Jahrhunderts. Das Hauptwerk ist zwei mal zweieinhalb Meter groß: "Venus in der Schmiede des Vulkan".
Zu jener Zeit ist die deutsch-russische und die deutsch-ukrainische Beutekunst-Debatte nach zähen Jahren nach Expertenaussagen bereits fast zum Stillstand gekommen. Vielleicht 200.000 ehemals deutsche Museumsobjekte lagern in Russland, genau weiß das keiner. Die deutsche Kriegsbeute aus der Sowjetunion ist meist in Privathand, taucht hie und da auf Auktionen auf - auch sie ist schwer zu ermitteln. Für einen Dialog, der den Namen verdienen würde, läuft alles viel zu schwerfällig. Mal ist Deutschland störrisch und beharrt kategorisch auf der Rückgabe, mal ist Russland störrisch und schließt eben diese kategorisch aus. Dazwischen immer wieder Gesten des guten Willens: Die Ukraine etwa macht einen großen Schritt auf Deutschland zu und übergibt historisch wertvolle Bach-Partituren.
"Wir haben versucht, diesen Stillstand zu durchbrechen mit einem ziemlich unorthodoxen Vorschlag", sagt Peter van den Brink. "Die Idee war, dass wir gerne fünf Bilder wieder in Aachen hätten. Und die wollen wir tauschen gegen fünf Kunstwerke, die wir als Geschenk anbieten wollten in Simferopol."
Die Kunst des Kompromisses
Fünf Bilder, an denen das Herz der Aachener besonders hängt. "Das Bild von Johann Gottfried Pulian", sagt van den Brink, "der Dom von Aachen (Artikelbild). Das ist für die meisten Aachener das Symbol geworden für die Verluste in die ehemalige Sowjetunion. Und das ist ein Bild - wäre das auf dem freien Markt, das würde wenig Geld kosten. Aber es hat einen Wert für Aachen, weil der Dom drauf ist."
Das zweite der fünf Bilder hat ein Gegenstück in Aachen, würde also gut dorthin passen. Das dritte ist eine Art Irrläufer, ein Spanier in einer flämisch-deutschen Sammlung. Van den Brink hat der Völkerverständigung ein buntes Bilderbündel geschnürt. 71 Werke der krimschen Beutekunst, so die Idee, verbleiben außerdem als Dauerleihgabe in Simferopol. Auf diese Weise würde die ukrainische Seite das deutsche Eigentum an den Werken anerkennen und diese zugleich behalten.
Kann Beutekunst zum Botschafter werden?
"Außerordentlich glückliche Idee!", sagt Professor Wolfgang Eichwede dazu. Der Osthistoriker ist einer von Deutschlands führenden Beutekunstexperten. Er hat bereits vor Jahren ein Umdenken gefordert: Abschied nehmen von dem Traum, dass alle Werke wiederkommen. Zuviel spricht dagegen, sagt er: Deutschlands Schuld am Zweiten Weltkrieg, die festgefahrenen Positionen beider Seiten. Durch Leihgaben oder Schenkungen könnte die Beutekunst zum Botschafter deutscher Kultur in Russland werden, schlägt er stattdessen vor.
"Es sah so aus, als ob sie das Angebot annehmen wollen", sagt Aachens van den Brink. "Das war im Oktober letztes Jahr. Deswegen haben wir auch eine Einladung bekommen, im Mai nach Kiew zu kommen und mit dem Kulturminister zu sprechen. Das war der Stand der Dinge."
Dombild wird russisches Staatseigentum
Doch seit Russland die Krim annektiert hat, gilt de facto russisches Recht. Das Bild mit dem Aachener Dom ist durch ein Gesetz von 1998 unversehens russisches Staatseigentum geworden - wenn sich politisch nichts Entscheidendes mehr ändert, steht van den Brinks Plan vor dem Aus.
"Der russisch-deutsche Dialog ist im Augenblick nicht existent", sagt Eichwede. Das liege auch am russischen Kulturminister, der die Frage der Beutekunst als historisch erledigt betrachte. "Das ist mit Russland viel schwieriger", bestätigt Museumsmann van den Brink. "Da ist man sehr viel abhängiger davon, ob Herr Putin Lust hat, etwas Positives zu tun Richtung Deutschland.“
Kompromissbereit sein, miteinander reden
Und so bringt der Aachener Vorstoß wohl nicht die entscheidende Bewegung, weder in den deutsch-ukrainischen noch in den deutsch-russischen Stillstand. Etwas lernen lässt sich vielleicht dennoch daraus: Auf Maximalforderungen verzichten. Miteinander reden. Kompromissbereit sein.
"Wir werden nur vorankommen", sagt Eichwede, "wenn wir auch sehen, dass unsere Partner in der früheren Sowjetunion, die Ukraine und Russland, ihrerseits ungeheure Verluste zu beklagen haben. Und ich hoffe, dass der augenblickliche Versuch zwischen der EU und der Ukraine, zu einer neuen Form des politischen Dialogs zu kommen, dass sich darin auch neue Möglichkeiten für das Thema Beutekunst eröffnen."
Für seine Bilder ist es möglicherweise zu spät, der Gedanke aber dürfte Aachens Vorreiter Peter van den Brink gefallen.