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Gold-Zug in Walbrycz

Nadine Wojcik20. August 2016

Seit Jahrzehnten spukt die Legende eines verschütteten Panzerzugs der Nazis durch das ehemalige polnische Kohlerevier. Inzwischen wird gegraben. Für die Waldenburger geht es dabei um mehr als um einen verschollenen Zug.

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Bagger hinter verhangenem Bauzaun. Foto: Copyright: picture-alliance/dpa/M. Kulczynski
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kulczynski

"Was machen denn die Bagger da?" Eine Gruppe von Bewohnern hat sich am Bauzaun zusammengefunden, die Schicksalsgemeinschaft für diesen Nachmittag. Eine ältere Dame in hellblauem Trägershirt schimpft lautstark durch den Zaun. Viel ist dahinter durch die Bäume und Büsche nicht zu sehen – außer zwei Baggern, die an einem Hang Erde abtragen. In Walbrzych, dem früheren deutschen Waldenburg, wird schon seit Jahrhunderten gegraben, früher nach Kohle, jetzt nach dem legendären Panzerzug der Nationalsozialisten. "Och, so einen Barren Gold könnte ich für die Renovierung meiner Datsche gut gebrauchen", scherzt ein Rentner und setzt obendrauf: "Der Deutsche steht schon Gewehr bei Fuß und will endlich wissen, wo seine Schätze hin sind." Die Umstehenden lachen.

Immer wieder fahren Autos vor, bleiben Anwohner und Touristen stundenlang an der Absperrung stehen - auch wenn es eigentlich nichts zu sehen gibt. Jeder bringt seine eigene Theorie mit an den Zaun und nährt die Legendenbildung um den Sonderzug, den die Nationalsozialisten in den letzten Kriegstagen von Breslau Richtung Waldenburg geschickt haben sollen - angeblich vollgepackt mit Gold und Kunstschätzen. Aber er kam nie an.

Zuschauer am Bauzaun. Foto: DW/Nadine Wojcik
Interessierte ZaungästeBild: DW/N. Wojcik

Pressekonferenz dreimal am Tag

Kurz vor 18 Uhr rollen vermehrt Autos auf den Parkplatz neben der Grabungsstelle: Pressekonferenz. Während niemand das Gelände betreten darf, kommen das deutsch-polnische Historiker-Team Piotr Koper und Andreas Richter samt Pressesprecher dreimal täglich vor den Bauzaun und präsentieren der polnischen und internationalen Presse den Stand der Dinge. Heute haben sie verschiedene Brocken Gestein in einer Plastiktüte mitgebracht.

"Wir sind bei Meter sieben angekommen und haben Material gefunden, das nicht natürlichen Ursprungs ist.“ Es handele sich um Schlemmkohle. "Das könnte der Wasserabdichtung gedient haben, möglicherweise für einen Tunnel." Immer wieder werden dieselben Fragen gestellt . Wie teuer ist die Grabung? – "500.000 Zloty (rund 120.000 Euro)." Wer zahlt? – "Privat finanziert und gesponsert, eine Pension bringt täglich Essen für bis zu 40 Arbeiter." Wann finden Sie endlich den Goldzug? – "So schnell wie möglich, in erster Linie geht es erst einmal um den Tunnel." Was machen Sie, wenn Sie den Goldzug nicht finden? – "Dann wissen wir, dass an diesem Mythos nichts dran ist."

Besucher der Pressekonferenz. Foto: DW/Nadine Wojcik
Gedränge bei der PressekonferenzBild: DW/N. Wojcik

Suche nach Führerhauptquartier

Gegraben wird an drei Stellen, zuvor ermittelt mithilfe von Georadar. Neben Gesteinen wurde auch etwas Porzellan gefunden, ansonsten fehlt von dem Tunnel, geschweige denn von dem mysteriösen Sonderzug, jede Spur. Doch ein paar Tage wollen sich die Hobby-Historiker noch geben. "Uns interessiert auch nicht so sehr der Goldzug, als vielmehr was sich dahinter befindet", sagt Christel Focken, Pressesprecherin der privaten Grabungsaktion. Die Vollbluthistorikerin hat diesen Beruf nie studiert, stattdessen wohl aber weitaus mehr Stunden in Tunneln, Stollen und Bunkern verbracht als so manch anderer. Publiziert hat sie unter anderem zu den Bunkeranlagen im Führerhauptquartier Wolfschanze (Ostpreußen).

Ansonsten bietet sie Führungen an, unter anderem rund um Walbrzych und das ebenfalls noch nicht gefundenen Führerhauptquartier Riese, das nur rund 15 Kilometer südöstlich von Walbrzych entstehen sollte. "165 Kubikmeter sind noch nicht erforscht. Dort, wo wir den Panzerzug vermuten, wird die Garage für den Führerzug gewesen sein." Der Tunnel könnte also als Eintrittstor ins Hauptquartier dienen. "Natürlich stellt man sich vor, man findet einen noch gedeckten Tisch, der fluchtartig verlassen wurde", erzählt Focken. Wahrscheinlicher sei jedoch, dass alles unter Wasser stehe. Die Bundesvorsitzende des Verbandes privater Historiker schätzt, dass bis zu 40.000 Zwangsarbeiter für das Projekt Riese eingesetzt wurden. "Womöglich finden wir einige Leichen, die dann bestatten werden könnten."

Christel Focken Foto: DW/Nadine Wojcik
Kennerin der Unterwelt: Christel FockenBild: DW/N. Wojcik

"Wir haben unseren Zug schon gefunden"

Anna Zabska hat ihren Goldzug hingegen schon. Sie ist Direktorin des 2013 eröffneten Kulturparks "Stara Kopalnia" und sagt, ihre Einnahmen seien um 30 Prozent gestiegen. Der Kulturpark ist ein aufwendig und kunstvoll revitalisiertes Bergwerk. Walbrzych war eines der wichtigsten Bergbauzentren Polens, doch wurden hier, ähnlich wie im Ruhrgebiet, die Zechen nach und nach geschlossen. Heute ist die Region eine mit der höchsten Arbeitslosigkeit. "Stara Kopalnia" gibt der Gegend etwas von ihrem Stolz zurück, bietet Büroflächen für Nichtregierungsorganisationen, vermietet schicke Räumlichkeiten für Konferenzen und lädt die Bewohner mehrmals im Jahr zu Großveranstaltungen ein.

Blick in die Baugrube. Foto: fhq-riese
Noch kein Zug in Sicht...Bild: fhq-riese

"Sollte ein Goldzug gefunden werden, würden wir ihn gerne ausstellen. Die Gleise führen direkt hierher", sagt Zabska, die im vergangenen Jahr gleich T-Shirts, Taschen und Becher mit dem Goldzug, so wie er aussehen könnte, hat herstellen lassen. "Online-Bestellungen kommen mittlerweile aus der ganzen Welt", sagt sie.

Die Legende stirbt zuletzt

Genau vor einem Jahr hatten die Hobby-Historiker verkündet, die Stelle des Panzerzugs zu kennen. Zwischenzeitlich sind Wissenschaftler der Universität Krakau auf den Plan getreten und haben mit unterschiedlichen Messmethoden festgestellt: Da ist nichts. Anna Zabska sieht darin kein Problem: "In unserer Region gibt es so viel zu entdecken. Egal, wo man zu buddeln anfängt, immer gräbt man etwas aus." Zabska ist in Walbrzych aufgewachsen, ihr Vater war als Kumpel unter Tage. "Keine zwei Kilometer von hier gibt es noch einen Tunnel, der zum Projekt Riese gehört.“

Am nächsten Tag haben sich am Bauzaun wieder die üblichen Grüppchen gebildet. Manche benutzen ein Fernglas, auf der Wiese nebenan lässt jemand eine Drohne steigen. "Heute findet sich der entscheidende Zugang", gibt sich der Vater zweier Söhne zuversichtlich. "Aber das machen die erst, wenn hier die Presse weg ist", ergänzt einer der beiden Söhne. Die Drei machen Urlaub im Riesengebirge, sind für die Ausgrabungen extra angereist.

Steine von den Grabungen Foto: DW/Nadine Wojcik
Vieles kommt zu Tage, aber (noch) kein GoldBild: DW/N. Wojcik

Um 14 Uhr bildet sich wieder eine Medientruppe rund um die Hobby-Historiker. Auf der Pressekonferenz werden die üblichen Meterstände der Baggertiefen durchgegeben. Außerdem sei man auf Holzelemente gestoßen, der Zug aber noch nicht gefunden. Man grabe weiter. "Ich weiß, Sie werden den Zug finden!", ruft plötzlich einer aus der Menge. "Ja, ich bin mir auch ganz sicher!" Ein weiterer: "Ich möchte gerne mitgraben, geht das? Ich habe auch eigenes Equipment dabei." Ob der Goldzug auftaucht oder nicht – für die Waldenburger ist er schon jetzt ein Teil ihrer Identität geworden.

Der Kulturpark "Stara Kopalnia". Foto: DW/Nadine Wojcik
Schon der Kulturpark "Stara Kopalnia" an sich ist Gold wertBild: DW/N. Wojcik