Kritik an Hilfe für verletzte Ukrainer
9. August 2018Es waren die schlimmsten Kämpfe auf dem Maidan in Kiew: Am 18. und 20. Februar 2014 wurden mehr als 100 Menschen getötet, als pro-europäische Demonstranten mit den Sicherheitskräften des von Russland unterstützten Präsidenten Viktor Janukowitsch zusammen stießen. Es wurde geschossen. Im Zentrum von Kiew herrschten für einen Moment bürgerkriegsähnliche Zustände. Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Mit den vielen Schusswunden waren die meisten Ärzte in Kiew heillos überfordert.
Erst in einer dramatischen Nachtsitzung auf den 21. Februar 2014 im Kiewer Präsidentenpalast konnten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens einen Kompromiss schließen zwischen Vertretern der Maidan-Proteste, wie dem heutigen Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko, und dem Moskau-treuen Präsidenten Janukowitsch, der daraufhin Hals über Kopf das Land verließ und später in Russland wieder auftauchte.
Es waren dramatische Tage, in denen sich pro-europäische Aktivisten und Abgeordnete des ukrainischen Parlamentes verzweifelt an europäische Diplomaten wandten und um Hilfe für die Verletzten baten. Weil das Janukowitsch-Regime mit Methoden der Staatssicherheit sowjetischer Prägung die Krankenhäuser nach Maidan-Demonstranten durchforstete, entstanden zahlreiche Notaufnahmen - so etwa im Altbau der Nationalbibliothek oder in der evangelischen Kirchengemeinde Sankt Katharina.
Da sorgte der damalige deutsche Botschafter Christof Weil in Kiew für unbürokratische Hilfe: Die Bundeswehr schickte Anfang März 2014 erstmals eines ihrer fliegenden Lazarette. Das Flugzeug nahm neben schwerverletzten Demonstranten auch ukrainische Polizisten auf - die Gruppe war zuvor von deutschen Ärzten nach medizinischen Kriterien ausgewählt worden.
Behandlung von Schussverletzungen
Weitere sieben solcher Flüge folgten nach Bundeswehr-Angaben bislang, zuletzt im vergangenen Juli. Mittlerweile allerdings unter veränderten Vorzeichen: Nach der Maidan-Revolution und der Abkehr der ukrainischen Regierung von Moskau, besetzte Russland die Halbinsel Krim und förderte den Krieg in der Ostukraine. Seither sind es ukrainische Soldaten, die von der Bundeswehr ein- bis zweimal im Jahr nach Deutschland geflogen werden. Ziel: Die Bundeswehr-Krankenhäuser von Berlin, Hamburg, Koblenz oder Ulm, die das Knowhow für die Behandlung von Verwundungen haben.
Kritisch sieht das jetzt offenbar der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu (Die Linke). Im Interview mit der Deutschen Welle stellt er die humanitäre Geste der Bundeswehr insgesamt in Frage: "Ist diese Bereitschaft unparteiisch oder stellt sie eine Solidarmaßnahme für das Putsch-Regime in Kiew dar? Warum werden keine verletzten ostukrainischen Zivilisten, die es zu Tausenden gibt, behandelt?" Neu ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und wollte vor kurzem in einer kleinen Anfrage unter anderem wissen, welche der nach Deutschland ausgeflogenen Ukrainer, "in den offiziellen Streitkräften" dienten und "wie viele in den paramilitärischen Bataillons wie dem faschistischen Asow-Bataillon".
Neu vermutet offenbar, dass unter den versorgten Soldaten auch Rechtsradikale sind. Mehr noch: Er unterstellt, dass es in der Ukraine Freischärler-Bataillone gebe, die nicht dem Oberkommando in Kiew unterstellt sind. Das gab es tatsächlich zu Anfang des Krieges in der Ostukraine, als die von Moskau unterstützten Separatisten und russische Soldaten gegen ukrainische Freiwilligenverbände kämpften, die sich zum Teil mit improvisierter Ausrüstung den Angreifern entgegen stellten. Allerdings waren auch die nationalistischen Kräfte in der ukrainischen Führung gezwungen, das Unwesen dieser freien radikalen Kämpfer auf Druck der USA und der EU zu unterbinden. Die Freischärler wurden Teil der regulären Militärstrukturen. Das "Asow"-Bataillon, das vor allem in der Hafenstadt Mariupol gekämpft hatte und in dessen Reihen viele Rechtsradikale dienten, wurde in die Nationalgarde eingegliedert und 2016 von der Front ganz abgezogen.
Entscheidung nach medizinischen Kriterien
All dies sind freilich Zusammenhänge, die für die behandelnden Ärzte der Bundeswehr ohnehin keine Rolle spielen. Denn allein die Ärzte entscheiden nach medizinischen Kriterien, wer von den verletzten ukrainischen Soldaten nach Deutschland ausgeflogen werde, heißt es bei der Bundeswehr. Demnach treffen ukrainische Ärzte eine Vorauswahl in Zusammenarbeit mit deutschen Militär-Ärzten, und zwar "völlig unabhängig" von der politischen Einstellung der Person.
Es "müssen Patienten sein, die in Deutschland eine Hilfe bekommen können, die es in der Ukraine nicht gibt", sagt ein Sprecher des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Koblenz. Der Genesungsprozess müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit nahelegen, "dass der Patient nach der Behandlung zurück in die Ukraine" könne. Seit 2014 seien - vor allem in den Bundeswehrkrankenhäusern - insgesamt 117 Ukrainer betreut worden. Sie seien "zwei Wochen bis zwölf Monate" lang behandelt worden. Meist litten sie unter "Schuss- und Explosionsverletzungen", bei denen die Ärzte in der Ukraine am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt waren.