Kroatien: Kein Personal im Urlaubsparadies
7. August 2017Für Gari Cappelli ist es ein besonders guter Sommer: "In den ersten sieben Monaten des Jahres 2017 haben wir 7,5 Millionen Übernachtungen mehr als in den ersten sieben Monaten des Vorjahres. Bis zum Ende des Jahres werden wir wohl die 100-Millionen-Grenze überschreiten", sagt der kroatische Tourismusminister. Allein im Juli haben 4,6 Millionen Gäste ihren Urlaub im sonnigen Adria-Land verbracht. Besonders unter Deutschen ist Kroatien beliebt - die Nachfrage steigt.
Doch das kroatische Sommermärchen hat eine Schattenseite: Gerade an der Küste gibt es nicht genug Arbeitskräfte. Es fehlt an Köchen, Kellnern, Reinigungskräften, Betreuern für Kinder. Mitten in der Hochsaison sind etwa 2.700 Stellen immer noch offen. Auch in der Baubranche und im Gesundheitswesen sind viele Stellen unbesetzt geblieben.
Der wichtigste Grund: Nach dem EU-Beitritt Kroatiens im Jahr 2013 sind viele Kroaten in andere europäische Staaten gezogen. Seit zwei Jahren können kroatische Staatsbürger in Deutschland ohne Einschränkungen arbeiten. Dank der EU-Freizügigkeit verlassen mittlerweile nicht nur Akademiker und Führungskräfte Kroatien, sondern auch Facharbeiter, Maurer, Köche und Pflegekräfte.
Erschreckende Zahlen
Allein 2016 sind fast 56.000 Kroaten nach Deutschland ausgewandert. Tausende weitere versuchen ihr Glück in Irland oder Österreich - vor allem jüngere Menschen. Die starke Zuwanderung aus Kroatien hat selbst die Bundesregierung überrascht: 2015 rechnete man noch mit etwa 10.000 kroatischen Arbeitskräften pro Jahr.
Diese Abwanderung ist das eine Problem, mit dem Kroatien zu kämpfen hat. Es klingt paradox: Auf der einen Seite gibt es eine große Nachfrage nach Arbeitskräften in Branchen wie dem Tourismus. Auf der anderen haben 170.000 Kroaten keinen Job: Die Arbeitslosigkeit liegt mit rund 11 Prozent immer noch über dem EU-Durchschnitt. Sie können aber an der Küste oder im Baugewerbe nicht aushelfen - weil ihnen die notwendigen Qualifikationen fehlen.
Die Lösung des Problems sei einfach: Man müsse die bestehenden Regeln lockern und Arbeitskräfte importieren, schlägt die Kroatische Wirtschaftskammer (HGK) vor. Außerdem solle man auch Minderjährigen und Rentnern erlauben, in der Saison abends "für ein paar Stunden einzuspringen".
Fachleute reagieren skeptisch auf solche Vorschläge und warnen vor einer Ausbeutung der ohnehin schlecht bezahlten Jugendlichen. Nach internationalen Regeln ist die Beschäftigung von Kindern, die jünger als 15 sind, ohnehin verboten.
"Die Entwicklung verschlafen"
Die Wirtschaftskammer drängt auf eine Änderung der bisherigen Praxis der kroatischen Regierung, nur einmal jährlich den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften zu schätzen - vorrangig aus Bosnien-Herzegowina. So könne man nicht flexibel auf die Entwicklungen des Arbeitsmarkts reagieren. Stattdessen müsse man das "slowenische Modell" einführen.
Die slowenischen Behörden erlauben Unternehmen, Ausländer zu beschäftigen, sobald sie nachweisen können, dass es zu Hause keine Arbeitnehmer mit entsprechenden Qualifikationen gibt. Für Wirbel hat eine Idee des ehemaligen Wirtschaftsministers Davor Stern gesorgt: Er schlug einen "Import" von philippinischen Arbeitern vor: "Sie sind gut ausgebildet, fleißig und wären auch mit kroatischen Durchschnittslöhnen von 500 - 600 Euro zufrieden." Ein Vorschlag, der bei Arbeitsminister Marko Pavic auf wenig Gegenliebe stößt.
Die Regierung habe "das Problem auf dem Arbeitsmarkt erkannt" und werde im Herbst eine Korrektur der bisherigen Praxis vornehmen, so Pavic. Doch die Touristen sind jetzt an der Adria - und viele einheimische Betriebe verzweifeln an der Lage. Man habe die Entwicklung einfach verschlafen, kritisiert der kroatische Wirtschaftsprofessor Ljubo Jurcic: "Kroatien hat keine aktive, konsistente, an unsere Bedürfnisse angepasste Wirtschafts- und Sozialpolitik, um die Beschäftigung der Bevölkerung zu gewährleisten." Es sei eine Katastrophe, dass die jungen, gut ausgebildeten Menschen ins Ausland gehen, weil es für sie keinen Platz im Berufsleben zu Hause gebe. "Und ausgerechnet sie finden sofort eine Anstellung, sobald sie im Ausland sind." Der Staat habe da völlig versagt, meint Jurcic, der vor einigen Jahren selbst Wirtschaftsminister der sozialdemokratisch geführten Regierung war.
Regierung reagiert - zu spät?
Mittlerweile hat das aktuelle Kabinett des Premierministers Andrej Plenkovic (von der konservativen HDZ-Partei) die Quoten für die Zulassung ausländischer Arbeiter in der Baubranche gelockert, damit die Umsetzung wichtiger Investitionsprojekte im Herbst nicht gefährdet wird. Man wolle auch etwa 20 Millionen Euro in die Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitslosen investieren. Wird das die Probleme auf dem kroatischen Arbeitsmarkt langfristig lösen?
Ljubo Jurcic überzeugen diese Pläne nicht: "Wer soll denn im Tourismus, in Krankenhäusern und in Altenheimen arbeiten, wenn sich die starke Abwanderung fortsetzt? Wenn es so weiter geht, werden wir nicht nur einen Arbeitskräftemangel haben, sondern bald auch einen Bevölkerungsmangel, damit gefährdet man die Zukunft einiger wichtiger Wirtschaftsbereiche - und die Zukunft der jungen Generation."