Kroatien: Drohungen gegen Journalisten
27. Dezember 2017Es sollte eine schöne Geschichte werden. Eine TV-Reportage über die gelungene Integration eines geflüchteten Nigerianers, der nun ein kleines Restaurant mit afrikanischen Spezialitäten in Zagreb betreibt. Er hat in Kroatien Asyl bekommen und eine neue Heimat gefunden. Doch es kam anders als erwartet. Wenige Stunde nachdem der öffentlich-rechtliche Sender HRT die Reportage ausgestrahlt hatte, bekam deren Autorin Maja Sever eine Morddrohung. Anonym. Via Facebook.
"Ich habe die Nachricht geöffnet, dann habe ich mir kurz überlegt, was das für ein Mensch ist, der einem anderen Menschen droht, ihn umzubringen. Sehr lange habe ich aber nicht überlegt, sondern sofort einen Screenshot gemacht und ihn bei der Polizei angezeigt", sagt die bekannte kroatische TV-Journalistin. Der Verfasser der Nachricht, der sich als ein in Belgien lebender Kroate darstellte, drohte Maja Sever, sie zu töten - weil sie für eine "Multikulti-Politik" werben würde. Sie wurde außerdem aufs Übelste beschimpft. Nicht zum ersten Mal. Angst verspüre sie trotzdem nicht: "Ich werde jede einzelne Drohung publik machen. Die Öffentlichkeit soll sehen, welchem Druck wir Journalisten in unserem Alltag ausgesetzt sind - nur weil wir unsere Arbeit tun. Ich ermutige meine Kolleginnen und Kollegen, das Gleiche zu tun. Wir alle sollten etwas dagegen unternehmen, es ist unsere Pflicht!"
Immer brutalere Attacken
Drohungen gegen Journalisten gab es in Kroatien schon immer. Durch die sozialen Netzwerke sind sie aber sichtbarer geworden. Und offenbar immer zahlreicher und brutaler. Nach Angaben des Kroatischen Journalistenverbandes (HND) wurden im Jahr 2017 schon 12 schwerwiegende (Mord-)Drohungen und Attacken gegen kroatische Journalistinnen und Journalisten registriert.
Zu den Opfern gehört auch Natasa Bozic. In ihrem wöchentlichen TV-Rückblick beim Sender N1 Zagreb fragte sie in einem Interview Anfang Dezember, ob die kroatische Staatspräsidentin dem in Den Haag verurteilten Kriegsverbrecher Slobodan Praljak seine Militärorden aberkennen sollte. Eine berechtigte Frage - die allerdings nicht jedem passte: "Ich war entsetzt, fühlte mich angewidert angesichts des ganzen Hasses in sozialen Medien innerhalb der ersten ein bis zwei Stunden nach dem Interview. Am Anfang wollte ich die Beleidigungen ignorieren", sagt Natasa Bozic. "Sehr schnell habe ich aber gemerkt, dass es nicht nur um die üblichen chauvinistischen Bemerkungen geht, sondern sehr wohl auch um offene Drohungen. Ein mir völlig unbekannter Mann schrieb, man solle mich köpfen!"
Leichtes Spiel für die Polizei
Der Täter veröffentlichte die Morddrohung auf seiner eigenen Facebook-Seite. Unter seinem echten Namen. Die Polizei hatte ein leichtes Spiel. Er wurde schnell gefasst, gab alles zu und wartet nun auf den Prozess. Im schlimmsten Fall drohen ihm nun bis zu fünf Jahre Haft.
Viele Täter fühlen sich aber sicher, wenn sie im Netz anonym bleiben. Offenbar zu Recht, beklagt der Präsident des Kroatischen Journalistenverbandes, Sasa Lekovic: "Die Polizei fasst in der Regel nur diejenigen, die ihre Identität nicht verschleiern. Deswegen landet nur ein Bruchteil der gemeldeten Fälle vor Gericht. Und die Prozesse enden oft mit Bewährungsstrafen. Das ist unbefriedigend, die Botschaft ist also klar: Es ist erlaubt, Journalisten anzugreifen. Verbal, aber auch physisch."
Lekovic sagt, er sei unzufrieden mit den Reaktionen des kroatischen Rechtsstaates. Man solle die Täter entschlossener strafrechtlich verfolgen. Die Arbeit der Journalisten in Kroatien sei mittlerweile sehr gefährlich geworden.
Massive Verschlechterung der Pressefreiheit
Die Lage der kroatischen Journalisten und Medien hat sich insgesamt wesentlich verschlechtert: Das geht auch aus der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit 2017 von "Reporter ohne Grenzen" (RoG) hervor. Unter allen EU-Staaten hat sich Kroatien am meisten verschlechtert, um 11 Plätze im Vergleich zum Vorjahr, und liegt derzeit auf Position 74 - hinter Nachbarstaaten wie Serbien, die noch keine EU-Mitglieder sind. Im Jahr 2016 wurde Kroatien schon von Rang 54 auf 63 herabgestuft.
"Reporter ohne Grenzen" kritisiert unter anderem die medienfeindliche Rhetorik führender Politiker und die politische Einflussnahme der national-konservativen Regierung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese wurde als Versuch gewertet, die inhaltliche Ausrichtung des Senders zu beeinflussen. Gleichzeitig wurde die staatliche Unterstützung für kleine, gemeinnützige und unabhängige Medien gestrichen.
Allerdings ist diese politische Einflussnahme kein neues Phänomen, das frühere mitte-links ausgerichtete Kabinett hat auch versucht, sich durch Personal-Rochaden eine etwas angenehmere Berichterstattung zu sichern. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Kroatien, so spotten Medien-Kritiker, funktioniere mittlerweile wie ein "YouTube-Kanal der Regierenden".
Die Angst der Journalisten
Die direkte und indirekte Einflussnahme der Politik hat ganz konkrete Folgen für die Arbeit der Journalisten, berichtet Maja Sever: "Vor einigen Monaten hat ein Parlamentsabgeordneter, ein hochrangiges Mitglied der Regierungspartei HDZ, auf Facebook geschrieben, er freue sich, dass meine Sendung eingestellt wurde, weil ich sowieso Kroatien und alles Kroatische hassen würde. Solche Kommentare ermutigen nur die Trittbrettfahrer."
Die Folge: Hass in sozialen Medien, Zensur oder gar Selbstzensur. Manche Journalisten haben Angst - um ihre eigene Existenz, um ihre Gesundheit und die ihrer engsten Familienmitglieder. "Diese Angst ist nicht ihre persönliche Niederlage, sie ist ein Armutszeugnis für ein EU-Mitgliedsland", sagt Natasa Bozic. "Der Staat hat seine Aufgaben nicht gemacht, damit meine ich den Schutz der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung, die Voraussetzung für Demokratie und ein Garant für die Entwicklung der Gesellschaft."
Sie und ihre Kollegin Maja Sever vom Sender HRT geben aber nicht auf. Sie kämpfen gegen den täglichen Druck der Chefredakteure, der Politiker, Lobbyisten, die versuchen, ihre Arbeit zu beeinflussen. Jede einzelne Morddrohung wird auch in Zukunft publik gemacht, betont die N1-Journalistin Natasa Bozic kämpferisch: "Die sozialen Netzwerke sind kein Ort, wo man folgenlos Straftaten begehen kann, wo man droht und ungestraft Hass sät. Das sollen die Leute auch verstehen. Denn wenn man nichts dagegen unternimmt, haben wir bald vielleicht Gewalt auf den Straßen."