Kuba entsendet Ärzte unter Repressalien
28. Juli 2020Kuba rühmt sich seiner Ärzte. Und das Gesundheitssystem ist für Kuba, was die Autoindustrie für Deutschland ist: ein Aushängeschild und Exportschlager. Auch in Nordamerika und Europa preisen es viele als große Errungenschaft des kommunistischen Regimes. Mehr als 95.000 Ärzte zählte die Statistikbehörde 2018. Dabei hat die Insel gerade einmal elf Millionen Einwohner. In Baden-Württemberg versorgen 51.000 Ärzte genauso viele Menschen.
Der Karibikstaat hat so viele Ärzte, dass er sie regelmäßig in andere Länder entsenden kann: Laut Außenministerium haben bereits mehr als 2000 kubanische Mediziner in 35 Ländern auf vier Kontinenten geholfen, die Folgen der Corona-Pandemie zu lindern. Hinzu kommen laut Medienberichten rund 30.000 medizinische Hilfskräfte. Mehrere tausend Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen und anderen Bereichen arbeiten auch ohne akute Krisen im Ausland – insbesondere in sozialistisch gelenkten Staaten wie Venezuela oder Bolivien unter Evo Morales. Deren Dienste lässt sich die Regierung in Havanna reichlich vergüten. Der Export-Schlager ist eine wichtige Devisenquelle für das Regime, die Fachkräfte selbst erhalten nur einen Bruchteildessen, was die Empfängerländer zahlen.
Internationale Kritik wird lauter
Diese Umstände sind seit langem bekannt. Dennoch wird der Karibikstaat regelmäßig für den Einsatz der Ärzte in Krisengebieten gelobt. Erst langsam wird internationale Kritik lauter: In einer Anfrage an die kubanische Regierung 2019 rückten die zuständigen Sonderberichterstatterinnen der UNO die Arbeitsumstände entsandter Kubaner in die Nähe moderner Sklaverei.
Nun hat auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) die Arbeitsbedingungen angeprangert: Die "drakonischen" Verhaltensregeln verletzten zahlreiche Grundrechte der "Colaboradores": die freie Meinungsäußerung, die Versammlungsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Privatsphäre und andere, heißt es in dem HRW-Report.
"Kubanische Ärzte leisten wertvolle Arbeit, aber sie geht zulasten ihrer grundlegendsten Rechte", sagte José Miguel Vivanco, Lateinamerika-Chef von HRW. "Regierungen, die Unterstützung von kubanischen Ärzten wollen, sollten die kubanische Regierung dazu anhalten, dieses Orwellsche System zu überarbeiten, das Ärzten vorschreibt, mit wem sie zusammenleben, in wen sie sich verlieben oder mit wem sie sprechen."
Linientreue und Denunziantentum gefordert
Tatsächlich sehen es die Verhaltensregeln für entsandte Arbeitskräfte beispielsweise vor, dass diese ihre Vorgesetzten etwa über "amouröse Beziehungen" mit Einheimischen unterrichten müssen. Jeglicher Kontakt zu Menschen, die der "kubanischen Revolution" kritisch gegenüberstehen sind verboten, ebenso wie der Aufenthalt an "ungebührlichen Orten". Verfehlungen von Kollegen müssen sie umgehend denunzieren.
Die angedrohten Strafen reichen von einer öffentlichen Rüge über das Einbehalten von Lohn bis hin zum Ausschluss von einer Mission samt Versetzung in eine andere Region innerhalb Kubas. Wer sich unerlaubt von der Mission entfernt, schreibt HRW, müsse gar mit einer Strafanzeige in Kuba rechnen. Wer eine Auslandsmission ganz verlässt, heißt es auf der Rechtsberatungsseite Juriscuba, müsse acht Jahre warten, bis er wieder nach Kuba einreisen darf.
Reine Entwicklungshilfe ist es nie
Die aktuellen Verhaltensregeln stammen aus dem Jahr 2010. Aber die Repressalien sind älter, und Ärzte treffen sie besonders hart, weil sie dem kommunistischen Regime als Aushängeschild dienen, sagt Antonio Guedes, Ex-Präsident und Vorstandsmitglied der Exil-Partei Unión Liberal Cubana (ULC): "Es war immer eine große Priorität des Regimes, das Bild einer medizinischen Supermacht aufzubauen." Der heutige Arzt erhielt Anfang der 1980er Jahre politisches Asyl in Spanien, nachdem er aus Gesinnungsgründen der Universität in Havanna verwiesen wurde.
Auslandsreisen außerhalb von offiziellen Missionen sind für alle Kubaner schwierig, für Ärzte nahezu unmöglich, sagt Guedes. Gleichzeitig hätten Ärzte, die sich dem verweigerten, Konsequenzen zu befürchten. Dass HRW nun Zielländer auffordert, Druck auf das kubanische Regime auszuüben, findet Guedes begrüßenswert und überfällig, aber vermutlich auch vergebens: "Es wurde Zeit. Und es wäre sehr sinnvoll, wenn sich die kubanische Regierung gezwungen sähe, die Arbeitsbedingungen auf Missionen – und in Kuba selbst – zu verbessern." Allerdings glaube er nicht, dass das geschieht: "Weder die Zielländer, noch ausländische Investoren haben ein Interesse daran."
Keine Angst um den Ruf
Schwerer könnte für die kubanische Regierung ein Gesichtsverlust wiegen. Guedes jedenfalls meint: "Die Aufrechterhaltung des Bildes von der medizinischen Supermacht Kuba ist der wichtigste Grund für das Regime, seine Ärzte in alle Welt zu schicken." Die politischen Gefälligkeiten, die Geheimdienstinformationen und die ökonomische Kompensation in Form von Öl oder Geld, die Havanna im Gegenzug erhält, seien für die Staatsführung zweitrangig, glaubt der Exilpolitiker.
Dennoch werde sich wohl so schnell nichts ändern, fürchtet Guedes, auch nicht unter der neuen Regierung: "Die Verfassung bleibt dieselbe, und die Partei auch", sagt der Dissident. Außerdem gebe es für das Regime wenig Handlungszwang. Denn kaum jemand im Ausland wolle wahrhaben, dass Kuba ein repressiver Staat mit einer verarmten Bevölkerung ist. Und dass das Gesundheitssystem eigentlich genau so marode ist wie in anderen Entwicklungsländern: "Es fehlen Medikamente, es fehlen Geräte, und die besten Ärzte verleiht man ins Ausland. Eine ordentliche Behandlung bekommen in Kuba nur Touristen und kubanische Eliten. Und doch hält sich das romantische Bild vom kubanischen Kommunismus und der medizinischen Supermacht."