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Am Checkpoint: Das neue Goethe-Institut Zypern

17. Juni 2011

Mit Kultur Grenzen zu überschreiten, ist nicht ungewöhnlich. Was aber macht ein Goethe-Institut im Niemandsland zwischen hoch gesicherten Grenzanlagen? Eine Herausforderung in der geteilten Stadt Nikosia.

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Vor dem Eingang des Goethe-Instituts Zypern (Foto: DW/Aya Bach)
Goethe-Institut ZypernBild: DW/Aya Bach

Es könnte eine Idylle sein: Ein Garten mit Palmen und duftendem Oleander lädt zum Verweilen ein, üppige Bougainvilleen ranken sich an der Fassade der pastellfarbenen Villa empor, die das Goethe-Institut beherbergt. Ein Ort der Harmonie, so scheint es. Doch der Weg hierher führt durch Befestigungsanlagen, die von UN-Truppen bewacht werden. Denn das Goethe-Institut in der zyprischen Hauptstadt Nikosia liegt genau in der Pufferzone zwischen dem Nord- und dem Südteil der Insel.

Goethe-Institut Zypern, Nikosia (Foto: DW)
Das Goethe-Institut ZypernBild: DW

Der Weg zu "Goethe" ist von beiden Seiten her möglich. Angenehm aber ist er nicht. Auf der türkisch-zyprischen Nordseite kontrollieren Grenzposten jeden, der die Demarkationslinie überschreitet: kein Durchkommen ohne Ausweis und gestempeltes Visum. Immer öfter geht das auch auf griechisch-zyprischer Seite so. Und wer sich dem Institut von dort aus nähert, dem ruft eine riesige Hinweistafel ins Bewusstsein, dass noch 1996 an der - damals geschlossenen - Grenze zwei griechische Zyprer getötet wurden, die gegen die türkische Besatzung protestiert hatten.

Berliner Mauer Nummer zwei?

Erinnerungen werden wach an das geteilte Berlin – und ein Kebab-Imbiss macht sogar Werbung damit: "Berlin Wall No 2" nennt sich der Laden. Wer die Stadt durchstreift, trifft unweigerlich auf übermannshohe Barrieren aus Tonnen und Stacheldraht, die zahllose Straßen abriegeln. Über alle Grenzen hinweg wehen dann und wann die Rufe der Muezzine aus dem Norden, Touristen schlendern gerne dorthin, um Basar-Atmosphäre zu schnuppern oder Kulturschätze zu bewundern. Die meisten griechischen Zyprer aber meiden den Nordteil; umgekehrt kommen viele türkische Zyprer zum Einkaufen und - vor allem - zur Arbeit in den wirtschaftlich stärkeren Süden.

Stacheldraht und Mauer in der geteilten Stadt Nikosia (Foto: DW)
Martialische Anlagen durchschneiden die StadtBild: DW

Möglich ist das alles erst seit 2003, als die Grenze passierbar wurde. Trotz dieser Erleichterungen bleibt die Lage angespannt. Wer hier Kulturarbeit machen will, muss politisch hoch sensibel sein. "Ein Himmelfahrtskommando", sagt Björn Luley, Leiter des neu eröffneten Goethe-Instituts, der vorher in Damaskus war und reichlich Erfahrung mit Krisensituationen hat.

Annäherung tröpfchenweise

Aber Luley muss nicht bei Null anfangen. Nach der Schließung des früheren Goethe-Instituts Zypern unter Außenminister Fischer 1999 gründete eine damalige Mitarbeiterin einen privaten Verein, der die Kultur- und Spracharbeit unter schwierigen Bedingungen im gleichen Haus fortsetzte. Zwölf Jahre lang hielt Ute Wörmann-Stylianou das so genannte "Goethe-Zentrum" gemeinsam mit zwei Kolleginnen aufrecht. In Partnerschaft mit der Zentrale in München, mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und viel Selbstausbeutung ging das irgendwie. Ihr Herzensanliegen: den schwierigen Annäherungsprozess zwischen Nord und Süd zu unterstützen und die Teilung zu überwinden. "Tröpfchenweise", sagt sie, gelinge das, "aber man muss sehr bescheiden sein. Man darf nicht denken, dass man hier etwas löst."

Björn Luley, Leiter des Goethe-Instituts Zypern, und Ute Wörmann-Stylianou, Leiterin des bisherigen 'Goethe-Zentrums' Nikosia (Foto: DW)
Björn Luley und Ute Wörmann-StylianouBild: DW

Doch es gibt Menschen auf beiden Seiten des Stacheldrahts, die dankbar sind für ihr Engagement. Nicholas Panayi zum Beispiel. Der Künstler aus Süd-Nikosia, Jahrgang 1961, ist in dem geteilten Land aufgewachsen. Ihm fehlte immer etwas: "die andere Seite meiner Existenz". Als die Grenze sich öffnete, ging Panayi sofort in den Norden und suchte diesen fehlenden Teil seiner selbst. "Ich bin dabei auf fruchtbaren Boden gestoßen, der nur darauf wartete, Früchte zu tragen", erzählt er: "Früchte der Freundschaft, der Freundlichkeit, der Zusammenarbeit, der Reinheit". Feierlich klingt das und lässt erahnen, wie emotionsgeladen diese Annäherung ist und welche Traumata die Zyprer mit sich herumtragen – auf beiden Seiten der Insel. Denn da ist nicht nur die Erinnerung an die türkische Eroberung des Nordens 1974, sondern auch die an den Bürgerkrieg Anfang der 60er Jahre. In nahezu jeder Familie gab es Opfer, aber auch Täter. Das alles ist noch frisch, die Wunden sind nicht verheilt.

Absperrungen aus blau-weißen Fässern und Stacheldraht in Nikosia (Foto: DW)
Eine von vielen Grenz-Absperrungen in NikosiaBild: DW

Einzigartiger Symbolwert

Unterstützung fand Nicholas Panayi bei Ute Wörmann. Sie ermöglichte gemeinsame Ausstellungen von türkischen und griechischen Zyprern im Goethe-Zentrum. Die Lage mitten in der Pufferzone war ideal: Niemand musste das Territorium des "Anderen" betreten, um diese Begegnungen zu erleben. Dabei gab es manchmal harte Diskussionen. Aber immerhin, erzählt Panayi, "hat man sich gegenseitig zugehört."

Minarette auf einer früheren Kathedrale im Nordteil Nikosias (Foto: DW)
Kirche als Moschee: die Minarette der SophienkathedraleBild: DW

Ein Beispiel von vielen aus den letzten Jahren, mit denen sich Ute Wörmann für die Aussöhnung stark gemacht hat. Doch das alles musste mit den bescheidenen personellen und finanziellen Mitteln des Goethe-Zentrums geschehen. Ein unhaltbarer Zustand, fand Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts seit 2008. "Da muss etwas passieren", beschloss er, schon wegen des hohen Symbolwertes: "Die letzte geteilte Hauptstadt Europas, Goethe in der Mitte – das ist einzigartig!" So setzte er sich vehement für die Wiedereröffnung ein. Zypern ist nun die 150. Goethe-Filiale weltweit. Damit, so die Aussichten, soll es verstärkt Kulturarbeit auch im Nordteil der Insel geben. Denn als Verein nach zyprischem Recht war das Goethe-Zentrum eine Einrichtung des Südens. Von dieser "Fußfessel" – so Lehmann – ist das neue Institut befreit.

Vorbild Deutschland?

Ein zerschossenes Haus mit einem heruntergekommenen Schild 'Café Spitfire' (Foto: DW)
Die Wunden sind nicht verheilt: Das "Café Spitfire" spricht von der gewaltsamen Geschichte ZypernsBild: DW

Die Erwartungen sind hoch, vielleicht zu hoch – gerade auf Seiten des Nordens. Denn auch dort gibt es Menschen, die sich für die Aussöhnung stark machen. Der Schriftsteller Gürgenç Korkmazel ist einer von ihnen. In einer Lage, in der die Politik nicht weiterkommt, findet er, kann nur die Kultur helfen. Darum hat er sich schon an etlichen bikommunalen Workshops des Goethe-Zentrums beteiligt. Zwar sieht er die Verantwortung für den Aussöhnungsprozess bei den Zyprern selbst, aber er setzt größte Hoffnungen auf die Rolle der Deutschen im Land: "Das Goethe-Institut weiß, wie man die Mauer abreißt", glaubt er. "Ich spreche viel mit deutschen Freunden darüber. Es war ein Wunder, was die Deutschen hingekriegt haben! Das müssen wir auch machen, alle, die wieder zusammenleben wollen!"

Aber dass die Lage im geteilten Deutschland eine völlig andere war als die im geteilten Zypern, ist allen Beteiligten klar. Der Mauerfall, sagt Institutsleiter Björn Luley, taugt nicht als Vorbild, schon eher die Geschichte der Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg, den die Deutschen begonnen haben. "Mittlerweile haben wir zu unseren Nachbarn im Westen und im Osten gute Beziehungen. Ich glaube, dass so etwas die Leute vielleicht zum Nachdenken bringt. Dass sie sagen: Warum müssen wir diese eigentlich so traumhafte Stadt Nikosia durch Stacheldraht und Niemandsland teilen?"

Schild eines Kebab-Imbissladens mit der Aufschrift 'Berlin Wall No 2', (Foto: DW)
Bild: DW

Heikle Mission

Einfach wird es nicht sein, sich im Norden zu engagieren. Die "Türkische Republik Zypern" ist international von niemandem anerkannt außer, klar, von der Türkei. Eine heikle Mission also für Luley. Denn jeder Schritt, den man im Norden unternimmt, wird im Süden mit größtem Argwohn beobachtet und kann zudem noch völkerrechtlich bedenklich sein. Allzu offizielle Kontakte verbieten sich da von selbst. "Unsere Partner im Norden werden vornehmlich türkisch-zyprische Institutionen sein, die offen sind für einen Dialog", sagt Luley darum, "und nicht unbedingt Regierungsstellen."

Doch es gibt eine Chance, zumal Deutschland einen guten Ruf hat in Zypern. Anders als etwa den USA unterstellt niemand dem Land ein politisches Eigeninteresse, sagt Ute Wörmann nach 28 Jahren Zypern-Erfahrung. "Ich denke, dass darin die Chance liegt, intensiv weiterzuarbeiten. Dafür aber muss man Wege des Vertrauens entdecken, ohne internationales Recht zu verletzen. Und das ist eine Gratwanderung!" Doch sie ist sicher, dass heute eine neue Erwartung an das neue Institut im Raum steht: "Der Auftrag heißt jetzt, alles zu versuchen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen."

Schild mit Aufschrift 'Güle Güle - Good bye' an einem Grenzübergang nach Süd-Nikosia (Foto: DW)
Und Tschüss! So verlässt man den nördlichen SektorBild: DW

Autorin: Aya Bach
Redaktion: Petra Lambeck