Kulturelle Missverständnisse am Krankenbett
21. September 2005In Westeuropa leben heute 14 Millionen Muslime, mehr als drei Millionen davon in Deutschland. Manche Arztpraxen behandeln bis zu 30 Prozent Muslime. Dass man hier auf sprachliche und kulturelle Verständigungsschwierigkeiten stößt, liegt nahe.
Mehr als nur sprachliche Probleme
Ilhan Ilkilic, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Mainz, erforscht seit vielen Jahren typische Konfliktfelder zwischen muslimischen Patienten und Ärzten in Deutschland.
"Bis heute aber werden ethische Probleme in der Behandlung muslimischer Patienten außer Acht gelassen", sagt er.
Die Tatsache, dass Muslime keine homogene Gruppe sind, erschwert den Umgang mit muslimischen Patienten. Manche sind streng gläubig, andere haben sich mehr oder weniger von ihrer Religion losgelöst. Ilkilic beschreibt drei Konfliktfelder, auf denen sich Probleme zwischen Patienten islamischen Glaubens, Ärzten und Pflegepersonal abspielen. Eines der größten Probleme ist die Sprache. In den meisten Fällen sind es Familienangehörige, die beim Arztbesuch übersetzen.
Dabei bleibt jedoch die Frage offen, ob der Angehörige - aus unterschiedlichen Gründen - dem Patienten auch die Wahrheit sagt. Manchmal möchten Familienangehörige den Kranken vor der Wahrheit bewahren und übersetzen bewusst falsch. Hamideh Ünal, Psychotherapeutin im Zentrum für Folteropfer in Köln, beschreibt eine Situation, bei der ein Dolmetscher dabei ist, als extrem schwierig für Arzt und Patient gleichermaßen: "In solch einem Umfeld Vertrauen aufzubauen, ist fast aussichtslos."
Heikles Thema: Körperkontakt
Ein weiteres Problem ist das Überschreiten der Intimsphäre in Untersuchungssituationen. Muslime vermeiden den Körperkontakt zum anderen Geschlecht. Gläubige Frauen verhüllen ihren Körper vor den Blicken von Männern. Der iranische Gynäkologe Khosravie aus Bergisch Gladbach berichtet von Patientinnen, die sich zwar für die Untersuchung entblößen, dabei aber nicht ihr Kopftuch ablegen. "Traditionellere Muslime suchen meine Praxis erst gar nicht auf." Für manche Männer ist das Waschen am Krankenbett durch eine Schwester schlimmer als die Krankheit selbst. Darum sollten hier Behandlung und Pflege, wenn organisatorisch möglich, von gleichgeschlechtlichen Ärzten und Pflegern angeboten werden.
Das dritte Konfliktfeld sind die Speisevorschriften des Islam. In den meisten Krankenhäusern gibt es heutzutage zwar alternative Angebote zu Schweinefleisch, allerdings enthalten bestimmte Medikamente Produkte vom Schwein oder Alkohol. Hinzu kommt, dass das Fasten sich nicht nur auf die Art der Speisen bezieht, sondern auch auf die Tageszeit, zu der man die Nahrung zu sich nimmt. Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang wird im Fastenmonat Ramadan auf flüssige und feste Nahrung verzichtet.
Ramadan im Krankenhaus?
Der Koran schließt Kranke zwar ausdrücklich von der Fastenpflicht aus, lässt aber offen, ab wann ein Gläubiger als krank einzustufen ist. Hier entstehen oft auch Konflikte für den Patienten. In diesem Fall könnte er von einem Imam beraten werden. So könnte er nicht nur medizinisch, sondern auch religiös über die Folgen seiner Entscheidung aufgeklärt werden.
Arif Ünal, Leiter des Gesundheitszentrums für Migranten, wünscht sich eine Gebetskapelle für muslimische Patienten in Krankenhäusern: "Jeder Christ in Deutschland hat die Möglichkeit, sich in einem Krankenhaus in die Gebetskapelle zurückzuziehen. Warum wird dies nicht auch muslimischen Patienten zugestanden?" Seiner Meinung nach müssten sich Ärzte stärker mit dem muslimischen Glauben beschäftigen, um so Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Gleichzeitig kann dem Patienten aber auch nur geholfen werden, wenn er dem Arzt seine Wertvorstellungen und Bedürfnisse mitteilt.