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Kulturhauptstadt: ein Erfolgsmodell

Bernd Riegert19. Dezember 2013

Bislang wurden bereits mehr als 40 Städte zu Kulturhauptstädten Europas ernannt, von Stockholm bis Genua, von Athen bis Glasgow und von Krakau bis Porto. Die Idee wurde vor fast 30 Jahren geboren. Was steckt dahinter?

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Die Nachbildung einer antiken Statue steht am 09.08.2004 auf der Akropolis in Athen. Foto: Stylianos Axiotis dpa - Bildfunk+++
Bild: picture-alliance/dpa

Rückblende: Anfang 1985 langweilten sich die griechische Kulturministerin Melina Mercouri und ihr französischer Amtskollege Jack Lang bei einer Zwischenlandung auf irgendeinem europäischen Flughafen. Im angeregten Gespräch mit dem Franzosen entwickelte die ehemalige Schlagersängerin Mercouri die Idee, eine Stadt in Europa abwechselnd zur kulturellen Hauptstadt zu küren. Sie wollte etwas Schönes und Bleibendes schaffen während Griechenland der damaligen Europäischen Gemeinschaft für sechs Monate vorstand. Aus der hauptsächlich mit Agrarsubventionen beschäftigten Gemeinschaft sollte eine Kulturgemeinschaft werden, sagte Frau Mercouri Anfang 1985 in einem Interview der Deutschen Welle: "Ich glaube an den kulturellen Austausch. Und ich glaube, dass es nicht nur eine Gemeinschaft der Kartoffeln und Tomaten geben darf, sondern es muss auch den Austausch für die Arbeiter der Kunst geben."

Athen war erste Kulturhauptstadt

Gesagt, getan. Die griechische Kulturministerin machte kurzerhand Athen zur ersten Kulturhauptstadt. Der Zauber dauerte nur einige Wochen im Sommer. Die Anfänge waren bescheiden. Florenz, Amsterdam, Berlin und Paris folgten. Richtig groß wurde die Show 1990 mit Glasgow. Seither gibt es ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren mit Präsentationen und Geschäftsplänen, fast wie bei den Olympia-Städten. Zehn neue Mitgliedsstaaten traten 2004 der EU bei, deshalb gibt es für mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten mindestens zwei Kulturhauptstädte pro Jahr, erklärt John Macdonald von der EU-Kommission in Brüssel: "Als 2004 die neuen Mitgliedsstaaten kamen, haben wir gemerkt, dass eine Stadt nicht mehr reicht. Die Rotation durch alle Staaten hätte zu lange gedauert. Damit die osteuropäischen Staaten nicht so lange warten müssen, hat der Ministerrat im Durchschnitt zwei Kulturhauptstädte pro Jahr eingeführt."

Aus Konzertreigen wurde Mega-Event

Es begann alles mit einigen Konzerten und Kunstausstellungen, mittlerweile sind es hunderte Veranstaltungen in fast allen Kunstsparten, die die jeweiligen Kulturhauptstädte aufbieten. Thessaloniki, Weimar, Porto oder Cork sollten auch nach dem einen Jahr Kulturhauptstadt etwas von ihrem Engagement haben. Nach Angaben von John Macdonald, der Sprecher des EU-Kulturkommissars, strebt die EU danach, dass der Titel "Kulturhauptstadt" nicht nur einen kurzfristigen Effekt auslöst, sondern langfristige Aktivitäten nach sich zieht: "Auch wenn das eine Jahr vorbei ist, soll es weitergehen. Nachhaltigkeit ist bereits ein Kriterium bei der Auswahl der Städte."

Ein gelber Fesselballon schwebt an einem altem Förderturm im Ruhrgebiet. Mit der Aktion Schachtzeichen machte das Ruhrgebiet im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt auf seine Geschichte aufmerksam. Foto Archiv DW
Ruhr2010: Gelbe Ballone über dem RevierBild: picture-alliance/dpa

Langfristige Effekte erwünscht

Konkrete Projekte wie die Renovierung von Kulturzentren, Umwandlung von Industriebrachen oder der komplette Neubau von kulturellen Einrichtungen sind die gewünschten Effekte. Das französische Lille hat 2004 in zwölf ehemaligen Industriebauten ein Kulturzentrum geschaffen. In Luxemburg, das 1995 kulturelle Hauptstadt war, wurde ein Museum für Moderne Kunst gebaut. "Das ist ein Beispiel dafür, dass manche Projekte extra wegen der Kulturhauptstadt errichtet werden", sagt dazu John Macdonald von der EU-Kommission.

Kultur als Wirtschaftsfaktor

Eine Studie der Kommission belegt, dass die Kulturhauptstädte insgesamt von dem Ehrentitel profitieren. Der Bochumer Historiker Jürgen Mittag vom Institut für Soziale Bewegungen gibt zu Bedenken, dass die Initiativen mittlerweile ins Gigantische gesteigert werden. In der Kulturhauptstadt Ruhr2010 warem immerhin 53 Städte mit tausenden von Initiativen vereint:

"Diese Initiative hat sich zu einem erheblichen Grad verselbstständigt und stellt mittlerweile weit mehr dar als ein kurzes Sommerevent, das allein der europäischen Identität dienen soll. Sie ist ein Riesen-Wirtschaftsfaktor. Sie ist ein enormer medialer Faktor. Sie mobilisiert ganze Regionen und hat Ausmaße angenommen, die 1985 undenkbar gewesen wären."

65 Millionen Euro war der Etat der Ruhr2010, der von den Städten und privaten Sponsoren aufgebracht werden musste. Die Europäische Union selbst gibt nur 1,5 Millionen Euro Starthilfe. Die Städte sollen private und öffentliche Geldquellen selbst erschließen. Tallinn und Turku mussten im Jahr 2011 mit wesentlich kleineren Budgets auskommen. Im Jahr 2012 standen zum Bespiel Maribor in Slowenien nur noch 16 Millionen Euro zur Verfügung, weil die Wirtschaftskrise Slowenien immer noch fest im Griff hat. Auf aufwändige Neubauten hat man verzichtet und konzentriert sich aufs Programm.

A young woman sings at the Laulupidu song festival in Tallinn 3.7.2011. Foto: Mikk Mihkel Vaabel
Sängerfest in Tallinn 2011Bild: Mikk Mihkel Vaabel

... and the winner is:

Die Städte in Europa stehen Schlange, um den begehrten Titeln zu ergattern. Mittlerweile beträgt der Vorlauf für die Bewerbung sechs Jahre. Ausgesucht werden die Kulturhauptstädte vom Ministerrat in geheimer Wahl. Für 2013 waren es Marseille und Kosice. In diesem Jahr sind es nun Umeå und Riga. 2015 folgen Mons und Pilsen. Aha? Also, die Landkarten raus und nachschauen, wo die Kulturträger liegen ...!

Europäische Kulturhauptstädte 2012-2015 DW-Grafik