Kulturszene in Deutschland gegen AfD
23. April 2024Die Partei AfD (Alternative für Deutschland) ist nationalistisch gesinnt und in Teilen rechtsextremistisch. In Meinungsumfragen ist sie trotzdem auf dem Vormarsch - für das Kulturkollektiv "Die Vielen" ein Grund gegenzusteuern. Der Zusammenschluss von rund 4.500 Theatern, Galerien und anderen Kultureinrichtungen hatte nach der Corona-Pandemie eine Pause eingelegt. Doch jetzt stehen die Europawahl, einige Kommunal- und Landtagswahlen und 2025 die Bundestagswahl bevor - und die Mitglieder des Vereins "Die Vielen" sehen im Erstarken der AFD eine existenzielle Bedrohung für die pluralistische Demokratie, in der sich Kunst frei entfalten kann.
"Demokratischer Schutzschirm" gegen AfD
Bereits im Vorfeld der Europawahl 2019 hatten "Die Vielen" Proteste gegen die AfD initiiert. Jetzt bringt ihre neue Kampagne "Shield & Shine" basisdemokratische Kunstkollektive und Kuratoren mit hochkarätigen Orchestern, Bühnenarbeitern, Opernhäusern und dem Publikum zusammen. Das Ziel: "Tausende demokratische Schutzschirme über alle Bundesländer zu spannen" und so die "Normalisierung rechtsextremer Politik in demokratischen Parlamenten" zu neutralisieren, wie es zum Auftakt der Kampagne am 10. April hieß. Angesichts des zweiten Platzes der AfD in vielen Umfragen sollen Wechselwähler und junge Menschen, von denen viele zum ersten Mal ihre Stimme abgeben dürfen, ermutigt werden, sich der Regenschirm-Bewegung anzuschließen - eine Metapher, die auch von Demokratie-Aktivistinnen und -Aktivisten in Hongkong verwendet wird.
Rund 5000 Menschen war es ein Anliegen, die "Erklärung der Vielen" zu unterzeichnen, nachdem bekannt wurde, dass AfD-Mitglieder bei einem geheimen Treffen im November mit Neonazis zusammensaßen. Dort wurde die Abschiebung von Millionen von Migrantinnen und Migranten aus Deutschland gefordert - auch solcher, die längst einen deutschen Pass haben. In ganz Deutschland kam es daraufhin zu Massenprotesten. Dem Aufruf von "Die Vielen", die Ausgrenzungspläne der Rechtsextremen durch integrative und kreative demokratische Plattformen zu bekämpfen, gab das enormen Auftrieb.
Inzwischen steht Björn Höcke, einer der radikalsten deutschen AfD-Politiker, wegen der Verwendung einer Nazi-Parole vor Gericht.
Angst vor Zensur durch AfD
Es besteht die Befürchtung, dass die AfD - sollte sie nach der Bundestagswahl 2025 zweitstärkste Partei im Land werden - pro-demokratische kulturelle Stimmen aktiv unterdrücken könnte. In Sachsen, wo die AFD seit langem an der Spitze der Wählergunst steht, zensieren sich die Kulturschaffenden in Erwartung eines Wahlsiegs der Partei bei den bevorstehenden Regional- und Landtagswahlen bereits selbst, so Philine Rinnert, Vorstandsmitglied von "Die Vielen" in Berlin. "Einem Theaterfestival in Sachsen droht bereits der Verlust der Finanzierung", erklärte sie. Kuratoren und künstlerische Leiter befürchteten, dass sie ihren Job verlieren könnten, wenn ihre Arbeit nicht mit der monokulturellen und fremdenfeindlichen Agenda der AfD übereinstimme.
Daniel Brunet ist künstlerischer Leiter des English Theatre Berlin und seit der Gründung von "Die Vielen" im Jahr 2017 Mitglied des Kollektivs. Die AfD-Abgeordneten im Berliner Landesparlament würden Kunstinstitutionen überwachen, indem sie "Einzelaufstellungen der Empfänger von Kulturgeldern" verlangen, sagt er. Er befürchtet eine mögliche Zensur, sollte die AfD bei den nächsten Wahlen weiter zulegen. "Es macht uns nervös, dass sie genau diese Informationen wollen", sagte er der DW und deutete damit einen Rachefeldzug gegen Kulturorganisationen an, die liberale oder progressive Ziele verfolgen.
Europawahlen entscheidend, um Rechtsruck zu stoppen
"Die Vielen" planen vor den Europawahlen im Juni eine Aktionswoche, in der laut Vorstandsmitglied Rinnert "unterschiedlichste Kunstinstitutionen im ganzen Land demokratische Schirme bei Veranstaltungen und Performances aufspannen werden".
Brunet vom English Theatre Berlin befürchtet, dass rechtsextreme Fraktionen bald das Europaparlament dominieren könnten, darunter neben der AFD auch der französische Rassemblement National von Marine Le Pen und die Fidesz-Partei des rechtspopulistischen ungarischen Präsidenten Victor Orban - der bereits parteiinterne Besetzungen in staatlichen Kultureinrichtungen vorgenommen hat.
Das English Theatre Berlin will dieser Entwicklung entgegenwirken, indem es für eine höhere Wahlbeteiligung wirbt. Derzeit, so der Intendant, gingen nur rund 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl.
Teile der AFD in Ostdeutschland, darunter in Sachsen und Thüringen, wurden vom Bundesnachrichtendienst als "erwiesenermaßen rechtsextremistisch" eingestuft. Brunet ist besorgt, weil die Partei Wahlwerbung mit weißen Menschen und Slogans wie "Wir machen die Deutschen selbst" verbreitet - eine klare Abgrenzung gegen Migranten.
Die Wahlbeteiligung erhöhen
Bei der Europawahl 2024 dürfen Jugendliche erstmals schon ab 16 Jahren wählen. "Die Vielen" wollen der AfD gezielt Konkurrenz machen, um die nächste Generation unter das demokratische Schutzschild" zu nehmen. "Echte Männer sind rechts", verkündete der Rechtsextremist und Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl, Maximilian Krah, in einer Reihe von Posts auf TikTok. Um die Stimmen der jungen Leute zu gewinnen, inszeniert sich Krah als Dating-Experte, der jungen Männern Liebestipps gibt. "Echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten", sagt er in seinem Clip. "Dann bekommst du auch eine Freundin." Das Video ging viral.
Nach Beschwerden, Krah verbreite auch Verschwörungstheorien und rassistische Ansichten, schränkte TikTok den Zugang im März 2024 ein und blockierte einige Videos. Experten für politische Kommunikation befürchten, dass die TikTok-Strategie die Wahl beeinflussen könnte.
Kulturszene gegen Rassismus
Für Daniel Brunet ist Deutschland "ein Leuchtturm der Hoffnung in der EU", weil es sich in der Nachkriegszeit für Pluralismus und künstlerische Meinungsfreiheit eingesetzt habe und es immer noch Einwanderung gebe. "Nie wieder dürfen Theater, Opern und Orchester, Museen, Literatur- und Kulturhäuser oder Kinos und Medien ihre Arbeit in den Dienst von Antidemokrat*innen und Faschist*innen stellen", heißt es in einer Erklärung der Initiative "Die Vielen" - die damit eindeutig auf die NS-Zeit anspielt. "Jetzt ist es an der Zeit, der Menschenverachtung und der Zerstörung unserer demokratischen Kultur entgegenzutreten."
Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords