Kundus-Opfer: "Keine gerechte Entscheidung"
12. Dezember 2013Bei dem Bombardement zweier Tanklastwagen in Afghanistan, das von einem deutschen Oberst angeordnet wurde, starben im September 2009 etwa 100 Zivilisten. Adbul Hanan hat durch den Angriff zwei seiner Söhne verloren, er war einer der beiden Kläger in dem Prozess. Seine Enttäuschung über das Urteil des Bonner Landgerichts ist groß. "Wir wollen, dass man Georg Klein und den Piloten aufs Schärfste bestraft. Man hat uns grundlos angegriffen und unsere Angehörigen getötet", sagte er der Deutschen Welle.
Der zweite Kläger, Jamaluddin, hat fünf Angehörige verloren. Zum Urteil in Bonn sagte er der Deutschen Welle: "Das war keine gerechte Entscheidung, denn wir haben keine Entschädigung erhalten." Nach internationalem Recht stehe ihnen jedoch eine zu. "Es war ein grausames Bombardement, bei dem unsere Kinder umgekommen sind, aber auch Bauern und Tagelöhner. Hauptsächlich waren es arme, einfache Menschen. Wie kann das gerecht sein?" Der Rechtsanwalt Karim Popal vertritt die Kläger. Er kündigte Berufung an. Das Urteil sei "schwach begründet" und auch unter rechtlichen Aspekten "sehr, sehr klärungsbedürftig".
"Deutschland zeigt Afghanistan-Opfern die kalte Schulter"
Sehr kritisch äußerten sich auch Jan van Aken, Vizechef der Partei "Die Linke" und die Bürgerrechtsorganisation "Komitee für Grundrechte und Demokratie". Van Aken sagte: "Deutschland zeigt den Opfern des Afghanistan-Krieges die kalte Schulter." Die Abweisung der Klagen sei "ein schwerer Schlag gegenüber den zivilen Opfern der deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan". Das "Komitee für Grundrechte und Demokratie" nannte das Urteil "eine schwere Niederlage für das Völkerrecht".
Auch in den deutschen Medien wurde der Bonner Richterspruch mitunter scharf kritisiert. Einige Kommentatoren nahmen das Gericht jedoch in Schutz, andere taten sich schwer mit einer eindeutigen Bewertung der Entscheidung. So schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Was es bedeutet, sich unter solchen Bedingungen, das heißt unter Gefahr für Leib und Leben, an komplexe Einsatzregeln halten zu müssen, lässt sich am Schreibtisch in Washington oder Berlin kaum ermessen." Die deutschen Richter hätten mit ihrem Urteil nun eine Staatshaftung verneint. "Doch dahinter steht die Entscheidungsnot eines Kommandeurs, der in einer gefährlichen Lage unter hohem Zeitdruck für seine Soldaten Verantwortung übernehmen muss."
Schuld und Verantwortung im Krieg
"Sächsische Zeitung" und "Rheinpfalz" schreiben, dass ein Schadenersatzprozess nicht der geeignete Rahmen sei, um die Dimensionen von Schuld und Verantwortung zu klären, die sich mit dem Afghanistan-Einsatz verbinden. Auch die "Braunschweiger Zeitung" räumt ein, dass die Frage nach einer angemessenen Summe für ein Menschenleben schwer zu beantworten sei. Dennoch hätte es aus ihrer Sicht weiteren Schadenersatz für die Opfer des Angriffs geben müssen. "Die Vorstellung, Zivilisten könnten bei bewaffneten Konflikten außen vor bleiben, ist unrealistisch. Dennoch muss alles versucht werden, sie zu schützen. Und klappt das nicht, müssen die Verantwortlichen angemessen reagieren."
Ähnlich argumentiert der "Kölner Stadt-Anzeiger": "Niemand wirft Klein vor, das er absichtlich Zivilisten töten wollte. Aber dass er fahrlässig das Leben von Dorfbewohnern aufs Spiel setzte und letztlich opferte, sollte die Bundesrepublik - auch die Justiz - anerkennen. Als Zeichen, dass man bereit ist, aus Fehlern zu lernen."
"Gericht hat sich zu wenig um Aufklärung bemüht"
Einige Zeitungen sind der Auffassung, das Gericht habe sich nicht genug darum bemüht, überhaupt erst einmal gründlich aufzuklären. Das "Westfalen-Blatt" schreibt: "Der Einsatzbefehl kam seinerzeit von Oberst Georg Klein. Aber vorgeladen hat ihn das Gericht nicht. Sieben Mal will der Kommandeur gefragt haben, ob sich Zivilisten in der Nähe der Tanklastzüge aufhalten. Und sieben Mal soll der deutsche Offizier angelogen worden sein. Auch das wollte das Gericht nicht untersuchen."
Eindeutig positive Bewertungen des Urteils sind rar. Die "Bild"-Zeitung sagt, es klinge hart, sei aber richtig. Oberst Klein sei davon ausgegangen, dass er zum Schutz deutscher Soldaten gehandelt habe. "Jedes andere Urteil hätte Kampfeinsätze der Bundeswehr nahezu unmöglich gemacht." Ein Kommandeur, der versuche, seine Soldaten zu schützen, verletze seine Pflicht nicht, sondern komme ihr nach. Auch das "Flensburger Tageblatt" zieht den Schluss: "Für die Rechtssicherheit deutscher Soldaten bei bestehenden und künftigen Auslandseinsätzen bedeutet der Richterspruch (…) einen Segen."