Kunst ist, wenn man trotzdem tanzt
17. Juni 2005Wie ein Tanz-Stück aufführen in einem Land, in dem tänzerische Darbietungen verboten sind? Die Antwort klingt simpel: "Man darf es nicht Tanz nennen", erklärt die deutsche Choreographin Helene Waldmann. Denn nur Tanz, der auch Tanz heißt, ist im Iran explizit verboten. "Rhythmische Bewegungen" hingegen sind erlaubt, wenn sie Teil der Dramaturgie sind. Im vergangenen Jahr 2004 war Helene Waldmann mehrere Monate im Iran und hat dort die staatlichen Vorgaben kennengelernt. Mit iranischen Schauspielerinnen und Tänzerinnen führte sie das Stück "Tentland" - die Akteurinnen waren die ganze Zeit in eine Art Zelt gehüllt - auf. Eine interkulturelle Begegnung der besonderen Art - besonders für die Darstellerinnen, die sich mit völlig neuen künstlerischen Arbeitsweisen konfrontiert sahen. "So etwas wie Improvisation kennen iranische Schauspieler nicht. Das war am Anfang wahnsinnig schwierig für sie", erinnert sich Helene Waldmann.
Bürokratisches Theater
"Selbst zum Autor werden" und damit auch Verantwortung übernehmen - für iranische Schauspieler eine heikle Aufgabe. "Es ist natürlich einfacher, sich auf den Autor zu berufen", sagt Helene Waldmann: "Nach dem Motto: Nicht ich, sondern der Autor hat das so gesagt."
Der Alltag von Theatermachern im Iran ist von der Zensur bestimmt. "Das ist kein künstlerischer Vorgang wie wir uns das vorstellen, sondern sehr von der Bürokratie bestimmt", erklärt Mohammad-Ali Behboudi vom Theater Oberhausen. Das im iranischen Kultusministerium für Theater zuständige "Dramatic Arts Center" sei eine regelrechte "Amtsstube", erklärt er. Erst müssen Regisseure die Manuskripte ihrer Stücke einreichen. Wenn die genehmigt sind, wird der Etat festgelegt, dann müssen die Schauspieler zugelassen werden, und am Ende muss vor der Premiere natürlich noch die Inszenierung von den staatlichen Zensoren durchgewinkt werden.
"Aber auch das ist keine Garantie", sagt Behboudi. "So eine Aufführung kann immer noch unter irgendeinem Vorwand gestoppt werden." Der iranische Schauspieler und Regisseur lebt seit Jahren in Deutschland, 1999 wurde er in seine alte Heimat eingeladen und brachte dort beim berühmten Teheraner Fajr-Festival mit dem Oberhausener Ensemble die erste europäische Inszenierung auf die Bühne.
Geschick und Beziehungen
Damals sei das kulturelle Klima gerade etwas liberaler gewesen. "Die Kultur ist immer sehr stark von der Politik abhängig", sagt Behboudi. "Und ich bewundere meine iranischen Kollegen, die trotz der starken Einschränkungen noch so viel schaffen." Die Kunst liege darin, versteckte Wege zu finden, um seine Projekte zu realisieren: "Man muss geschickt sein, und man muss bestimmte Leute kennen." Theater sei für die Iraner allgemein sehr wichtig, die meisten Stücke würden gut besucht, und Schauspielerei sei ein Modeberuf, so Behboudi.
Doch nicht nur die Theaterszene ist lebendig, auch Kino, Literatur, Malerei und bildende Kunst blühen. "Durch Kunst kann man eben mehr sagen als durch Worte", sagt die persischstämmige Galeristin Vesta Mauch, die in Berlin gerade eine Ausstellung mit zeitgenössischen iranischen Künstlern zeigt. Die Themen seien meistens sehr politisch oder sozial orientiert. "Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Künstler gerade deshalb so aktiv und kämpferisch sind, weil es so viele Schwierigkeiten für sie gibt."
Kunst sagt mehr als Worte
Nach Ansicht des iranischen Schriftstellers Jalal Sarfaraz, der seit mehr als 20 Jahren im deutschen Exil lebt, können iranische Schriftsteller heute freier schreiben als noch vor ein paar Jahren: "Das Internet hat die Zensur von Büchern und Schriften schwieriger gemacht". Zudem pflegten viele gute und hilfreiche Beziehungen Exil-Iranern auf der ganzen Welt.
Doch nicht nur ihre eigene Kulturszene verfolgen die Iraner aufmerksam, sondern auch die ausländische und ganz besonders die westliche. "Alles, was in Europa geschrieben wird, gibt es in persischer Übersetzung," sagt Sarfaraz. Ebenso seien in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren zahlreiche westliche Stücke aufgeführt worden - "von Tschechow bis Brecht", erklärt Mohammad-Ali Behboudi. Auch Helene Waldmann hat bei ihrem Aufenthalt in Teheran ein "riesiges Interesse am Westen" erfahren.
Im zweiten Teil ihres Stücks etwa waren die weiblichen Zuschauer aufgefordert, hinter den Vorhang zu kommen und an einer Tee-Zeremonie teilzunehmen. "Erst hatten wir Angst, das sich niemand traut. Aber dann sind die Frauen scharenweise gekommen." Viele hätten sie über ihr Leben und ihre Arbeit in Europa befragt. Gerade dieser Teil war von acht staatlichen Zensoren noch kurz vor der Premiere beanstandet worden. "Die hatten Angst, dass etwas passiert, was sie nicht kontrollieren können", so Waldmann. Dadurch, dass es schlussendlich doch noch grünes Licht gegeben hat, seien sie und die Darstellerinnen auf der sicheren Seite gewesen. Für westliche Ohren muss es widersinnig klingen, aber: "Zensoren können auch gut sein, denn sie schützen." Durch ihre Genehmigung übernehmen sie einen Gutteil der Verantwortung an dem Gezeigten - und eröffnen der Kreativität möglicherweise neue Nischen.