Aderlass für deutsche Museen?
13. Juli 2015Mit dem neuen Kulturgutschutzgesetz will Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) den grenzüberschreitenden Handel mit Kunstobjekten strenger regulieren. Der Entwurf sehe laut Bundesregulierung strikte Auflagen bei Ein- und Ausfuhr von Kunst und größere Sorgfalt beim Erwerb vor. So würden unter anderem klare Angaben zur Herkunft eines Objekts beim An- und Verkauf vorgeschrieben. Hintergrund ist unter anderem der sprunghaft angestiegene illegale Handel mit geraubten Kunstschätzen aus dem Nahen Osten. Einer der schärfsten Kritiker von Grütters Gesetzesvorhaben ist der Berliner Rechtsanwalt Peter Raue.
DW: Herr Professor Raue, der Entwurf des Kulturschutzgesetzes von Ministerin Monika Grütters stößt auf breite Kritik. Was befürchten Sie?
Peter Raue: Wenn dieser Entwurf zum Gesetz wird, dann ist das ein schwerer Schlag für die Sammler, für die Galeristen und für die Museen. Alle drei sind betroffen.
Was steht denn drin in dem Entwurf zum Kulturschutzgesetz?
Frau Grütters schlägt in diesem Gesetz die Lösung vor, dass bei jedem Bild, das Deutschland verlassen soll - wenn es mehr als 250.000 Euro wert ist und mehr als 50 Jahre alt - von einer Kommission überprüft wird, ob das Bild möglicherweise nationales Kulturgut ist. Wird diese Frage bejaht, dann ist die Folge, dass dieses Bild Deutschland nicht verlassen darf. Das kann ein Bild sein, eine Skulptur, das kann aber auch ein altes Möbel sein. Das wiederum hat zur Folge, dass es dafür nur noch einen deutschen Markt gibt und der ist natürlich oft eine Wurzel aus der Summe, die man in Amerika erzielt.
Könnten Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Vor kurzem sind zwei Bilder von Andy Warhol aus der Spielbank in Nordrhein-Westfalen im Ausland versteigert worden. Die Bilder haben 150 Millionen Dollar erbracht. Frau Grütters hat gesagt: "Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich die vorher dem Kulturgutschutzgesetz unterstellt." Dann hätten sie nicht ausgeliefert werden können und die Bilder wären in Deutschland vielleicht für 15 Millionen Euro weggegangen.
Nun kann man sich ja fragen, was haben Andy Warhol und darstellend Elvis Presley und Marlon Brando mit deutschem Kulturgut zu tun? Und da ist eines der Hauptprobleme des Gesetzes. Der Begriff des deutschen Kulturgutes wird nicht definiert und nicht beschrieben. Das heißt: Alles was den Museen fehlt, könnte danach deutsches Kulturgut sein und nicht mehr ausgeliefert werden.
Warum würden auch die Museen unter dem neuen Gesetz leiden, wenn es denn käme?
Weil Sammler, die große Leihgaben gegeben haben, die Sorge haben, dass sie diese Leihgaben nicht mehr im Ausland verkaufen können. Also ziehen sie, wie das Herr Baselitz gerade gemacht hat, ihre Leihgaben aus den Museen zurück. Die Rückgabe der Baselitz-Werke ist ein Anfang.
Das würde ja bedeuten, dass Baselitz die Werke zurückzieht, um sie ins Ausland zu schaffen.
Das hat er noch nicht gesagt, aber das wäre die Konsequenz, um selbst zu entscheiden, was mit den Bildern geschieht. Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen.
Können sie denn das Anliegen von Ministerin Grütters verstehen, wertvolles Kulturgut und Kulturerbe zu sichern, statt einen unbegrenzten Kulturhandel zuzulassen?
Ja, das Anliegen kann ich vollkommen verstehen. Nur verkennt sie dabei, dass sie die Sammler dieser wertvollen Arbeiten damit de facto enteignet. Kein privater Sammler wird sich gefallen lassen, dass er, der ein Vermögen von 100 Millionen in seinen Bildern hat, dafür nur noch zehn Millionen bekommt, weil Frau Grütters der Ansicht ist, dass diese Arbeiten in Deutschland bleiben sollten.
Frau Grütters sagt, dass nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten eine solche Regelung haben. Welche Folgen hat das denn in diesen Ländern?
Dieser Satz ist nicht richtig. Es ist bisher so gewesen, dass die Ausfuhrgenehmigung nur im außereuropäischen Ausland gilt. Innerhalb Europas hatten wir immer einen freien Warenverkehr.
Richtig ist, dass - übrigens auch schon nach der jetzigen gesetzlichen Bestimmung – Werke die ins nichteuropäische Ausland gehen einer Ausfuhrgenehmigung unterliegen. Jetzt kommt aber das Entscheidende: Diese Ausfuhrgenehmigung kommt, wenn das Bild nicht gestohlen ist, nicht jüdisch befangen ist und nicht gefälscht ist. Niemals wurde geprüft, ob das, was da ins Ausland geht, möglicherweise deutsches Kulturgut ist. Genau das geschieht jetzt mit einem wahnsinnigen bürokratischen Aufwand. Es ist bezeichnend, dass in der Gesetzesbegründung steht: Dieser Aufwand kostet Millionen, aber das ist nicht schlimm, denn wir können auf diese Weise sehr viel billiger die Werke, die wir behalten wollen, einkaufen und sparen damit Millionen. Klassischer kann man eigentlich den Enteignungstatbestand gar nicht formulieren.
Steht zu erwarten, dass neben Baselitz noch weitere Künstler und Sammler ihre Leihgaben aus deutschen Museen zurückziehen? Haben Sie darüber schon Erkenntnisse?
Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich am Montagvormittag nach der Baselitz-Nachricht mit drei großen Sammlern gesprochen habe, die mich aufgeregt fragten, was sie tun sollen. Ich kann Ihnen sagen, jetzt wartet man ab. Das ist noch kein Gesetz. Wenn aber das Gesetz wirklich kommt, dann werde ich all diesen Sammlern raten, die Arbeiten ins Ausland zu bringen.
Mit der Konsequenz, dass Deutschland ärmer wird an Kunst?
Das wird ein Aderlass für die Museen und die Kunstlandschaft sein. Ich habe mit jemandem telefoniert, der eine Sammlung an einem sehr reizvollen Ort öffentlich zugänglich machen wollte. Der hat mir jetzt gesagt, dass macht er auf keinen Fall. Der Schuss geht nach hinten los. Und das müssen Frau Grütters und ihr Ministerium irgendwann einsehen.
Professor Peter Raue ist Rechtsanwalt und Notar in Berlin. Der Kunstliebhaber und Mäzen war von 1977 bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie. Seit 2005 ist Raue Honorarprofessor für Urheberrecht an der Freien Universität Berlin.
Das Interview führte Klaus Krämer.