"Bauhaus kein Originalprodukt aus Deutschland"
14. November 2017Bis heute finden das Bauhaus, seine Ideenwelt und seine baulichen Manifestationen weltweit große Beachtung. Als Walter Gropius das Staatliche Bauhaus 1919 als Kunstschule in Weimar gründete, verfolgte er einen für damalige Zeiten völlig neuen Ansatz. Ihm ging es um die Versöhnung von Kunst und Handwerk. Mit einem neuen Design wollte man sich auf den industriellen Produktionsprozess einstellen. Das historische Bauhaus gilt als eine der einflussreichsten Architekturstätten der Welt.
Das Ausstellungs- und Forschungsprojekt "Bauhaus Imaginista" nähert sich dem Phänomen sozusagen von "außen". In vier dezentralen Ausstellungen in China, Japan, Russland und Brasilien richtet es, in Kooperation mit lokalen Partnern, den Blick auf die internationale Vernetzung des Bauhauses und den Austausch von Ideen. Im Gespräch mit der DW erläutert die Kuratorin Marion von Osten die Einzelheiten.
DW: "Bauhaus Imaginista" haben Sie das internationale Ausstellungsprojekt genannt, das anlässlich des Jubiläums "100 Jahre Bauhaus" in vielen Ländern der Welt und in Deutschland ausgerichtet wird. Was bedeutet "Imaginista" in diesem Zusammenhang?
Marion von Osten: "Bauhaus Imaginista" ist eine Worterfindung. Das ist nicht das imaginäre Bauhaus, wie man im Deutschen sagen würde. "Imaginista" verweist darauf, dass es eine internationale Rezeption des Bauhauses und seiner Ideen gibt. Es wurde aufgenommen, es wurde kommuniziert. Es gab in anderen Kulturen oder politischen Kontexten Begegnungen mit "Bauhäuslern". Aber auch die Beziehung, die das Bauhaus zu anderen Kulturen gesucht hat, ist das Thema.
Als das Bauhaus 1919 mit dem Manifest von Walter Gropius gegründet wurde, war es getragen von der Vorstellungskraft, und das heißt ja auch Imagination, sich eine neue Gesellschaft zu denken, die neue Formen des Lebens und der Bewohnung benötigt. Und daraus hat man ein Curriculum entwickelt, dass es so noch nicht gegeben hat.
Das Bauhaus wird landläufig mit Walter Gropius, Mies van der Rohe, Paul Klee und anderen großen Namen in Verbindung gebracht. Und mit der Idee, Kunst und Handwerk nicht als Gegensätze zu sehen. Wie greifen Sie das in Ihrem Ausstellungsprojekt auf?
Anfangs wurde es dank der amerikanischen Leseweise sehr stark als Stil- und Architekturprojekt gesehen. Mies van der Rohe und Gropius haben diese Ideologie mitgetragen. Dabei ging es ihnen um die Synthese von Handwerkskunst und industrialisierter Form. Interessant ist aber, dass es in der Bauhaus-Bibliothek wenig Theoriebücher gab, dafür aber viele Bücher, in der Weltkultur abgebildet war. Das waren die Referenzen des noch jungen Bauhauses. Diese indigenen Formen von Handwerk, Kultur und Praxis werden in einer transkulturellen Übersetzung im Bauhaus aufgegriffen. Das nennen wir transkulturelle Moderne. Hier genau wollen wir in unserem Projekt stärker hinschauen. Auf die Quellen und die Beziehungen außerhalb des Bauhauses. Uns interessiert weniger, was das Bauhaus in Deutschland war, nämlich ein originäres Zwischenkriegsprodukt der Weimarer Republik. Sondern vielmehr zu schauen, in welchen Netzen es entstanden ist, wie es seine Netze weiter ausspannte und auf andere Kulturen schaute, beispielsweise auf den indischen Pädagogen Tagore, der sehr bewundert wurde.
Das Bauhaus hat sich nicht nur sehr für die Kulturen der Welt interessiert. Es war ja selbst sehr international, im Lehrkörper und bei den Studenten. Wie machen Sie den internationalen Aspekt in Ihrem Ausstellungsprojekt erlebbar?
Wichtig ist mir: Unser Ausstellungsprojekt ist kein historiographisches Projekt. Es ist eher eine Ansammlung von sehr unterschiedlichen geographischen Kontexten, in denen aber immer wieder Lehrer und Studenten des Bauhauses vorkommen. Da ist beispielsweise der japanische Maler Takehito Mizutani, der erste japanische Student des Bauhauses. Er hat in Japan 1931 eine Bauhaus-Ausstellung in der Tokioter Akademie eröffnet, die ein totaler Hybrid ist. Denn es ist keine Bauhaus-Ausstellung in traditionellen Sinne, sondern eine Interpretation des Bauhauses, die mit japanischen Modernismen gefüllt wird. Da geht es zum Beispiel um die Origami-Tradition. Die kommt, wie das Bauhaus auch, vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Das ist keine alte Handwerkskunst, sondern ein moderner Umgang mit Papier und Papiergestaltung. Die Ausstellung von damals wird 2018 wieder zu sehen sein.
Ein Thema ist bei Ihnen auch die Dekolonisierung von Kultur. Was meinen Sie damit?
Es ist wichtig, immer andere Stimmen zu hören; Stimmen, die nicht den europäischen Blick vervielfältigen. Es gab in den Unabhängigkeitsbewegungen im nördlichen und westlichen Afrika künstlerische Strömungen, die sich wie das Bauhaus mit populären Künsten beschäftigten. Also mit Handwerkspraktiken, die den Alltag der Menschen bestimmt haben, etwa ihre Einrichtung. Dabei haben sich die Künstler vom vorherrschenden kolonialen Stil abgewandt. Warum das Bauhaus der Dekolonisierungsbewegung als positive Alternative diente, das erforschen wir gerade noch. Das hat definitiv mit der Vertreibung des Bauhauses zu tun und auch mit der nationalsozialistischen Verfolgung. Ich glaube, im Moment der Dekolonisierung wurde das Bauhaus auf eine andere Art gelesen, durchaus auch als politisches Projekt.
Bauhaus weltweit wenig populär
Sie wollen das Bauhaus ja nicht in der Form eine Wanderausstellung durch die Welt schicken, sondern sich an verschiedenen Orten mit Bauhaus-Themen einklinken. Ist das Bauhaus weltweit eigentlich immer noch so populär?
Tatsächlich glaube ich, dass es eigentlich gar nicht mehr eine so große Rolle spielt. Als Brand schon, etwa für die Weiße Stadt in Tel Aviv. Als ein Assoziationslabel, mit dem man sich verkaufen kann und UNESCO-Welterbe wird, funktioniert es weiterhin gut. Aber Tatsache ist, dass die Ideen des Bauhauses auch ihre Beschränkungen hatten. Diese Vorstellung, dass wir die Objektwelt verändern müssen, damit sich unsere Welt verändert, hat ihre Grenzen. Wir sehen, dass die Welt sich ganz anders verändern muss, nämlich in ihren sozialen und politischen Verhältnissen.
Das war damals also zu kurz gedacht...
Richtig, und das ist an anderen Orten, etwa in Brasilien, thematisiert worden. Die berühmte brasilianische Architektin Lina Bo Bardi hat ein Gegenprojekt entwickelt, in dem sie die Top-Down Industrialisierung des Westens infrage stellt und schaut, wie die lokale Bevölkerung von "unten" her Innovationen schafft. Beispielsweise eine kleine Glühbirne, die nicht funktioniert, weil es keinen Strom gab. Aber sie wurde dann zur Petroleumlampe umgewandelt. Statt Moderne zu implementieren, wollte sie zeigen, wie Menschen mit Moderne umgehen. Auch die Ablehnung der Bauhaus-Ideen interessiert uns natürlich in unserem Projekt.
Sie planen Ausstellungen und Konferenzen weltweit. São Paulo haben Sie gerade genannt. Daneben Kyoto, Lagos, Moskau, Neu Delhi und andere Orte. Und natürlich Berlin. Welche Impulse versprechen Sie sich davon?
Wir sollten sehen: Das Bauhaus war kein Originalprodukt aus Deutschland. Es war immer ein kosmopolitisch vernetztes Projekt, das ganz unterschiedliche Beziehungen aufgenommen hat. Das heißt, wir müssen beginnen, transnational zu denken. Übrigens auch in unserer Diskussion über Migration.
Sehen Sie weitere mögliche Impulse?
Selbst wenn das Bauhaus an seine Grenzen stieß: Wenn man sich nach dem Zweiten Weltkrieg anschaut, wie die deutschen Kunsthochschulen immer noch Kunst und Design unterscheiden, dann ist das nicht im Sinne der Bauhaus-Idee. Das Zusammenwirken der verschiedenen Künste, das machen heute die Praktiker. Aber ausgebildet dazu werden sie nicht. Wir brauchen Ausbildungsgänge, die nicht disziplinär getrennt sind, die nicht zwischen Kunst und Populärem unterscheiden. Auch das sind Fragen, die man heute anhand des Bauhauses diskutieren kann.
Marion von Osten kuratiert gemeinsam mit Grant Watson das Internationale Ausstellungsprojekt "Bauhaus Imaginista". Unterstützt werden sie von einem Team aus internationalen Forschern und Künstlern. Neben der Bauhaus-Kooperation ist das Goethe-Institut und das Haus der Kulturen der Welt beteiligt. Gefördert wird das Projekt von Monika Grütters, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Auswärtigen Amt und der Kulturstiftung des Bundes.
Das Gespräch führte Gero Schließ.