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Kurswechsel in Belgrad?

3. Februar 2005

Die EU fordert seit langem von Serbien-Montenegro eine bessere Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal in Den Haag. Jetzt verhandelt die Regierung in Belgrad mit gesuchten Kriegsverbrechern: sie sollen sich stellen.

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So wie Slobodan Milosevic sollen sich auch andere mutmaßliche Kriegsverbrecher vor dem UN-Tribunal verantwortenBild: AP

Ein menschliches Bein und eine Hand ragten aus dem Gefriertransporter, der Anfang April 1999 aus der Donau gefischt wurde. Im LKW, der im Osten Serbiens auftauchte, befanden sich mehr als 50 Leichen albanischer Kinder, Frauen und Männer aus dem Kosovo. Das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag ist sicher, dass es sich hierbei um einen Versuch des damaligen serbischen Machtapparates handelt, Verbrechen in der Krisen-Provinz zu vertuschen.

„Säuberungsaktionen“ während des Kosovo-Kriegs

Nach dem Sturz des Machthabers Slobodan Milosevic erhielt die reformorientierte Koalition in Belgrad Hinweise auf mindestens drei Massengräber: Auf einem Übungsplatz der Spezialeinheiten in der Belgrader Ortschaft Batajnica, in dem ostserbischen Dorf Petrovo Selo und am Perucac See in Westserbien wurden insgesamt 836 Leichen entdeckt - meistens albanische Zivilisten. Sie wurden in den so genannten „Säuberungsaktionen“ der serbischen Polizei und Armee während des Kosovo-Krieges umgebracht. In Massengräber in Serbien wurden sie verlegt, um die Spuren der Massaker zu beseitigen. Und die Bürgerrechtlerin Natasa Kandic hat den Verdacht „dass es noch mehr davon gibt, sicherlich auch in der Nähe von Vranje und Bujanovac in Südserbien. Und, es gab noch schrecklichere Ereignisse. Die Überreste der Kosovo-Albaner wurden verbrannt." Und zwar, so Kandic, in den Öfen von Stahl- und Chemiewerken in mehreren serbischen Städten.

Wer die Morde an Kosovo-Albanern verübt und nachträglich die Spuren beseitigt hat, daran hat man in Den Haag keinen Zweifel: Einheiten der serbischen Armee und Polizei. Die damals verantwortlichen Generäle hießen Nebojsa Pavkovic und Vlastimir Djordjevic, deren Stellvertreter auf dem Kosovo Vladimir Lazarevic und Sreten Lukic.

Befragung durch UN-Tribunal abgelehnt

Seit Oktober 2003 sind sie alle wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Die Haager Ankläger beschuldigen sie, zusammen mit anderen damaligen hohen Regierungsmitgliedern - inklusive Slobodan Milosevic - für die Verbrechen an den Albanern auf dem Kosovo mitverantwortlich zu sein. Das haben die vier Generäle vehement bestritten und bisher auch abgelehnt, sich vor den Richtern in Den Haag zu rechtfertigen. Es sei denn, er werde von serbischen Stellen befragt, sagte der Armee-General Lazarevic, der während des Krieges in der Provinz-Hauptstadt das Kommando hatte, auf einer Kundgebung: „Persönlich bin ich dazu bereit, mich als Kriegs-Kommandeur des Corps in Pristina vor allen zuständigen Armee- und Staatsorganen der Verantwortung zu stellen, wenn ich etwas zu verantworten habe. Alles andere verstehe ich als eine Art Angriff oder Druck auf mich."

Inzwischen hat Lazarevic jedoch seine Meinung geändert. Am Donnerstag (3.2.) flog er in die Niederlande und stellte sich dem Tribunal . Nun befindet er sich im Untersuchungsgefängnis des ICTY in Scheveningen.

Ungestörte Karrieren

Sein Vorgesetzter Pavkovic, der Kommandeur der militärischen Südzone war, drohte zunächst, sich und jeden, der versuchen würde, ihn zu verhaften, in die Luft zu sprengen. Unter Milosevic stieg er nach dem Krieg zum Generalstabchef auf, später kandidierte er noch bei einer Präsidentschaftswahl. Das blieb genauso erfolglos wie sein Versuch, Armee-Pioniere bei der Ausgrabung einer legendären mittelalterlichen Goldgrube in Südostserbien einzusetzen. Besser organisiert hat er seine Immobilien-Geschäfte: Mehrere Wohnungen und Häuser zählt Pavkovic zu seinem Besitz. Nach zwei Krebs-Operationen sei er nicht verhandlungsfähig, heißt es in Belgrad. Allerdings will er offenbar mit der serbischen Regierung über seine Auslieferung verhandeln.

Der ehemalige Polizei-Chef Vlastimir Djordjevic zog es vor, nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: Nach dem Sturz von Milosevic verschwand er, wurde aber später angeblich in Russland gesehen - was jedoch in Moskau niemand bestätigen möchte.

Sein erster Offizier im Kosovo, Sreten Lukic, wollte nicht fliehen - und wurde von der ersten Regierung nach dem Sturz Milosevics mit dem Posten des Polizei-Chefs belohnt. Lukic sei zwar kein Heiliger, aber das Haager Tribunal habe versichert, dass er nicht unter Verdacht stehe, hieß es vor drei Jahren in Belgrad. Lukic selber beteuerte dabei in einer Pressekonferenz, eine der wichtigsten Aufgaben seiner Polizei sei „das Aufspüren und die Verhaftung der vom Haager Tribunal angeklagten Personen, die sich auf dem Territorium der Republik Serbien befinden."

Wie die drei anderen Angeklagten ist Sreten Lukic mittlerweile Frührentner. Seitdem in Den Haag gegen ihn Anklage erhoben worden ist, signalisiert er Bereitschaft, sich freiwillig zu stellen. Allerdings heißt es auch im Falle Lukic, er sei zu krank, um prozessfähig zu sein.

Filip Slavkovic,
DW-RADIO, 1.2. 2005, Fokus Ost-Südost