Milchbauern in Not
26. Mai 2009Kräftig streichelt Egon Rattei über die Nase einer schwarz-weiß gefleckten Kuh und lässt sich anschließend ausgiebig die Hand abschlecken. Die Kuh gehört zu einer kleinen Gruppe von Tieren, die in einem strohbedeckten Außengatter in der Sonne stehen. Die restlichen Mastrinder und 500 Milchkühe sind dahinter in lang gestreckten Ställen untergebracht, die von außen an Industriehallen erinnern.
Rattei ist 62, ein drahtiger Typ mit graumeliertem Schnauzbart und dicken Gummistiefeln, Leiter der Agrargenossenschaft, die schon zu DDR Zeiten rund um die Stadt Forst errichtet wurde und Chef von 55 Mitarbeitern. Er produziert - wie er es ausdrückt - Rinder, Kartoffeln, Getreide, Futtermittel und Milch. Doch bald könnte damit Schluss sein, sagt er: "Wir sind froh, dass wir genug Milch produzieren, um monatlich den Lohn zu zahlen". Der Lohn seiner Leute ist für Rattei im Moment das wichtigste. Alles andere kann und muss warten, zum Beispiel Reparaturen und Neuanschaffungen. "Das Einzige, was noch einigermaßen zu machen ist", sagt Rattei während er Richtung Stall geht, "wir können uns einen Traktor kaufen und der Händler übernimmt eine dreijährige Finanzierung."
Sojaschrot auf Pump
Gleich neben dem sonnigen Kuhgatter steht ein Kleinlaster im Stalleingang, ein Mitarbeiter belädt laut ratternde Förderbänder. Vollautomatisch verteilen sie Futter in dem riesigen Kuhstall – eine gehäkselte Mischung aus Mais, Getreide, Heu, Raps und Soja. Rattei grüßt den Mann freundlich, drückt sich an den Bändern vorbei, geht zu seinen Tieren. Vor allem diese Futtermischung macht ihm Sorgen. Das meiste bauen er und seine Leute hier in der Lausitz auf den 2200 Hektar Land, die zur Genossenschaft gehören, selbst an. Doch eiweißreiches Soja muss Rattei aus Amerika zukaufen und alle Preisschwankungen von 20 bis 40 Euro je Dezitonne mitmachen. Pro Monat fressen seine Kühe 45 Tonnen Sojaschrot, den Rattei von den Lieferanten bis jetzt noch auf Pump bekommt. Die Hersteller müssen mitziehen, sie haben keine andere Wahl, weil sie sonst selbst Pleite gehen. "Auch Düngemittel bezahle ich im Moment nicht", sagt Rattei und gibt dem Tierarzt, der täglich nach den Kühen sieht und dafür ebenfalls auf sein Geld warten muss, zur Begrüßung die Hand.
Milchbauer aus Leidenschaft
Rattei ist Milchbauer aus Leidenschaft, das merkt man, wenn man ihn in seinem Stall beobachtet. Auch hier streichelt er sofort die Nasen seiner Tiere, die sich in der Licht durchfluteten Halle frei bewegen können und neugierig zu ihm ans Gatter kommen. Stolz erzählt er, dass jede der 500 Milchkühe einen eigenen Liege- und Fressplatz hat, an den Wänden Bürsten zum Kratzen und ständig frische Luft. - Nicht etwa draußen, sondern durch große Ventilatoren an der Decke.
Die Agrargenossenschaft Forst gab es schon zu DDR-Zeiten. Damals arbeiteten auf der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) fast 450 Leute, heute sind es noch 55. Knapp 3000 Liter Milch produzierte jede Kuh im Jahr, erzählt Rattei und fügt stolz hinzu, dass er heute mit seinen Tieren bei 10.000 Litern liegt. Dafür müssen diese aber auch rund um die Uhr im Stall bleiben, das Rein- und Raustreiben kostet zu viele Arbeitskräfte und verringert die Milchleistung. Etwas wehmütig erinnert sich Rattei an diese Zeiten - er arbeitet bereits seit 1962 hier - und daran, dass damals mit dem Weidemelkstand auf der Wiese gemolken wurde. "Aber dafür müsste der Liter Milch heute zwei Euro kosten, dann könnte man das hin bekommen."
900 Euro netto im Monat
Gemächlich treibt Ursula Heinke mit Pfeifen und Rufen die Kühe an Rattei vorbei Richtung halbautomatischen Melkstand. Sie säubert die Euter der Tiere, melkt die ersten Spritzer von Hand, pfropft anschließend mit raschen, geübten Bewegungen die Melkmaschinen auf die Zitzen. Seit 27 Jahren arbeitet die gelernte Agraringenieurin hier. Wie lange das noch weiter geht, weiß sie nicht. Die kräftige Frau, Mitte 50, in Jeans, Pulli und dicken, grünen Gummistiefeln, arbeitet im Schichtdienst, rund um die Uhr, für 900 Euro Netto im Monat. Der Grund: Sie liebt die Tiere, sie betreibt im nahen Städtchen Forst selbst einen kleinen Hof und ihr Mann hat keine Arbeit mehr, weil es in Brandenburg keine Alternativen gibt. "Seit 15 Jahren hat keiner bei uns eine Lohnerhöhung gekriegt", sagt sie und geht zur nächsten Kuh. "Aber wir können ja nicht sagen, wir hören auf und schaffen sie alle auf den Schlachthof. Und wir denken, Landwirtschaft gehört einfach zum Land dazu."
Rattei nickt heftig bei den Worten seiner Mitarbeiterin, geht einen Schritt zur Seite, lässt die abgemolkenen Tiere vorbei Richtung Stall, blickt ihnen kurz nach. Im Moment zögert er noch, seine Milchkühe abzuschaffen, weil er seine Mitarbeiter nicht entlassen will und weil es fast vier Jahre dauert, bis neue Kühe wieder richtig rentabel sind. Bis dahin lässt Rattei nichts unversucht. Gerade erst hat er einige Europa- und Landtagsabgeordnete auf seinem Hof zu Besuch gehabt. Für seine Leute will der Leiter der Agrargenossenschaft Forst noch eine Weile weiter kämpfen.
Autor: Svenja Pelzel
Redaktion: Rolf Wenkel