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Käufliche Interviewpartner

Juri Rescheto3. Februar 2016

Für ein paar hundert Euro können sich russische Sender Interviewpartner in Deutschland kaufen. Wie das geht, erzählt ein unabhängiger russischer Journalist dem DW-Korrespondenten Juri Rescheto in Moskau.

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Fernsehkamera mit Interviewsituation im Hintergrund (Foto: Colourbox/Mihajlo Maricic)
Bild: Colourbox/Mihajlo Maricic

Eigentlich wollten wir uns draußen treffen, im Park. Aber es schneite an diesem Nachmittag so heftig, dass wir ausweichen mussten, in ein düster wirkendes Bierlokal. Das passte auch irgendwie besser zum Inhalt des Gesprächs.

Mir gegenüber sitzt Roman Dobrochotow, Anfang dreißig, schlank, Typ "sympathischer Computer-Nerd". Zuerst scheut er den Blick in die Augen. Misstrauen? Das ändert sich im Laufe des Gesprächs. Roman Dobrochotow hat keine Angst, seinen Namen zu nennen, obwohl Dinge, die er sagt, ihm seine Freiheit oder sogar sein Leben kosten könnten. Sich selbst beschreibt er so: "Journalist und Aktivist. In unserem Land ist das normal, wenn du ein guter Journalist sein willst."

Und wenn nicht? "Dann kaufst du dir Meinungen und Interviewpartner." Wie das zum Beispiel das erste russische Fernsehen "Pervij Kanal" im Fall "Lisa" tat: Ein russischsprachiges Mädchen aus Berlin, das angeblich von Einwanderern vergewaltigt wurde, in Wirklichkeit aber bei ihrem Bekannten freiwillig untertauchte. Der Fall sei kein Einzelfall, sagt Roman. Das russische Fernsehen produziere Beiträge über Einwanderer in Europa am laufenden Band. Er nennt das "Nachrichten-Artillerie".

Am 14. Januar warnte zum Beispiel der TV-Sender "Zvezda" vor der moralischen Apokalypse in Europa. Mal wieder. Titel: "Europa. Paradox der Toleranz". Eine der Schlüsselfiguren: eine gewisse Viktoria Schmidt aus Deutschland. Mit zitternder Stimme erzählte sie über vermeintliche Gräueltaten der Migranten. Sie selbst müsse ständig Pfefferspray bei sich tragen. Überhaupt plane sie, mit ihrem Mann nach Russland zurückzukehren, schließlich werde das Leben in Deutschland langsam unerträglich.

Roman Dobrochotow (Foto: "DW/J. Rescheto)
Roman Dobrochotow spricht von einer russischen "Nachrichten-Artillerie"Bild: DW/J. Rescheto

"Der Witz ist", sagt Roman, "es gibt keine Viktoria Schmidt. Die Frau heißt Natalia Weiß, sie lebt in Hannover und ist eine Art Agentin, die den russischen TV-Sendern in Deutschland Interviewpartner vermittelt. Manchmal tritt sie auch selbst auf."

Roman fand die Frau und rief sie an. Er stellte sich als Produzent eines russischen Senders vor, auf der Suche nach geeigneten Protagonisten. Das Telefonat stellte er auf die Seite seines Portals "The Insider". Darin erklärt sich Natalia zur Zusammenarbeit bereit. Der Preis hänge von der Art der Dienstleistung und dem Budget des Senders ab. "Wen hätten Sie denn gern? Alter, Geschlecht? In Deutsch oder Russisch?" Andere würden bis zu 1000 Euro zahlen, aber es gehe auch günstiger. Am Ende heißt es nur noch: "Dann zahlen sie halt, was Sie können." Und übrigens, Themen seien genug da, Drehbücher auch. "Sagen Sie einfach, wie Sie es gern hätten!"

Was für die einen ein leicht verdientes Zubrot ist, wirkt für die anderen wie die bittere Wahrheit über Deutschland. Bis zu sechs Millionen Menschen in Deutschland können russisches Fernsehen sehen und verstehen. Was steckt dahinter? "Nach außen wirkt es wie eine gutüberlegte Strategie der staatstreuen russischen Sender, die vom Kreml im Kampf gegen den Westen, gegen Deutschland gesteuert wird", sagt Roman Dobrochotow. "Präsident Putin gegen Kanzlerin Merkel. Putin bombardiert Syrien, zwingt noch mehr Syrer nach Deutschland zu fliehen. In Deutschland werden Randgruppen der Bevölkerung wie die Russlanddeutschen gegen die Syrier gehetzt, Demos provoziert. Am Ende wird das Land immer instabiler, Merkel müsste weg."

Dieser Plan aber, so mein Gesprächspartner, würde nicht aufgehen. Zwar sei es kein Geheimnis, dass der Kreml ultranationalistische Gruppen wie die "Schwarze Internationale" mitfinanziere. Gruppen, die unter anderem Demos gegen Merkel in Deutschland mitorganisiert haben. Am Ende aber würden die Deutschen den Kanzler wählen, den sie und nicht der Kreml wolle. Und der werde alles andere als nationalistisch sein, da ist sich der russische Aktivist sicher: "Viele Einwanderer aus Russland sind über solche Demos gegen Merkel selber schockiert. Früher waren sie stolz darauf, dass das Land, aus dem sie kamen, Deutschland vom Faschismus befreit hat. Jetzt fürchten sie, dass man sie mit den Neonazis assoziiert. Das ist aber unfair."

"The Insider" ist eine kleine Gruppe freischaffender Journalisten und Rechercheure in Moskau, die sich über Reklame, Crowdfunding und "ein paar Freunde" finanziert (welche, wollte Roman nicht nennen). Sie berichten online über unbequeme Themen wie politische Gefangene, den Mordfall Litwinenko, Machenschaften der russisch-orthodoxen Kirche oder eben käufliche Russen in Deutschland. Hat Roman Angst um sein Leben? "Für die Behörden sind wir noch zu unbedeutend. Wir haben maximal eine Million Klicks im Monat. Für den Kreml bist du interessant ab einer halben Million pro Tag."

Den genauen Ort unseres Treffens sollte ich aber lieber dann doch nicht nennen.