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König: Keine Zivilgesellschaft in Russland

Anastassia Boutsko27. Juni 2014

Der Kurator Kasper König bereitet die 10. Manifesta in der Eremitage in St. Petersburg vor. Die europäische Biennale in einem Land, das man eigentlich nicht europäisch nennen kann? König äußert sich dazu im DW-Interview.

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St. Petersburg Eremitage
Bild: imago stock&people

Kasper König gehört zu den wichtigsten Kuratoren und Impulsgebern der Gegenwartskunst. Von 2000 bis 2012 leitete er das Museum Ludwig in Köln, nun bereitet er als Chefkurator die zehnte Ausgabe der Manifesta vor, die vom 28. Juni bis 31. Oktober 2014 in der St. Petersburger Eremitage stattfinden wird. Eine solche Verbindung - moderne Kunst in der klassischen Eremitage - ist ein Novum in der 20-jährigen Geschichte der Biennale. Unter Leitung von Mikhail Piotrowski gehört die Manifesta zu den Projekten, mit denen die Eremitage ihren 250. Gründungstag begehen wird.

Als Antwort auf die Verabschiedung undemokratischer Gesetze in Russland und die Ereignisse in der Ukraine riefen einige Künstler zum Boykott der Ausstellung auf. Auch das vor Ort arbeitende Team hat nicht immer das Gefühl, wirklich erwünscht zu sein. Im DW-Interview spricht Kasper König darüber, wie es ist, in politisch bewegten Zeiten in Russland an einer großen internationalen Ausstellung zu arbeiten.

Kasper König (Foto: Picture alliance)
Kurator Kasper KönigBild: picture-alliance/Gerhard Schnatmeyer

DW: Herr König, vor knapp einem Jahr haben Sie das Angebot angenommen, die Manifesta in St. Petersburg zu kuratieren. In der Zwischenzeit ist einiges passiert. Kommt es Ihnen so vor, als hätten Sie einem Staat das Projekt zugesagt und führen es nun in einem anderen aus?

Kasper König: Vor der Manifesta hatte ich kaum Berührung mit Russland. Als ich gefragt wurde, habe ich sofort gesagt: "Ja, mich interessiert es sehr, einen Vorschlag zu machen." Ich habe nicht erwartet, dass man mich beauftragten würde, und ich glaube, das ist unter anderem auch dem Direktor der Eremitage, Mikhail Piotrowski zu verdanken.

Die Situation hat sich dann innerhalb kürzester Zeit rasant geändert: Zeitgleich mit der Vertragsunterschrift wurde das Anti-Schwulen-Gesetz in Russland verabschiedet. Da wurde mir klar, dass ich in einem Land arbeite, in dem es keine zivile Gesellschaft gibt. Jeder kann quasi ein Gesetz machen und es wird durchgewunken, Hauptsache dieser Jemand hat genug Geld und Macht. Diese Strategien sollen meiner Meinung nach die Leute verunsichern, damit sie erst gar nicht über Zukunft und Veränderung nachdenken.

Sie haben 50 Künstler für die Manifesta angefragt und die meisten haben auch ihre Teilnahme bestätigt. Nach welchen Kriterien haben Sie sie ausgewählt?

Zum Teil nach relativ subjektiven Kriterien. Unter anderem war es mir dabei wichtig, mit Joanna Warsza zusammen zu arbeiten. Sie ist eine junge polnische Kunsthistorikerin und kümmert sich jetzt um das Programm im öffentlichen Raum. Und sie war sehr stark auf Künstler fokussiert, die aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen: Moldawien, Lettland, Georgien, auch der Ukraine.

Einige haben ihre Zusage angesichts der politischen Lage in Russland zurückgenommen - zum Beispiel die Aktionskünstlerinnen der Gruppe "Chto Delat?" (auf deutsch: "Was tun?").

Das Künstlerkollektiv "Chto Delat" wollte eine interessante Arbeit zeigen, bei der es um den umstrittenen Bau eines 400 Meter hohen Gasprom-Gebäudes in St. Petersburg geht. Was spricht dafür, was dagegen, wie sind die Spielregeln der Politik und der Öffentlichkeit? Und das sollte im Brechtschen Sinne inszeniert werden. Als die Krim eingenommen wurde, rief Dmitrij Wilenskij von "Chto Delat" über Facebook zum Boykott der Ausstellung auf. Ich habe nichts gegen seine Entscheidung, aber wie er es gemacht hat, finde ich nicht in Ordnung. Wir haben uns mehrfach getroffen und über das Projekt diskutiert. Und es wäre eine Frage des guten Stils gewesen, uns direkt zu sagen: "Wir wollen uns nicht beteiligen". Mich hat gestört, dass man sagt, die Politik ist wichtiger als alles andere. Und wenn die Politik es verlangt, dann müssen ästhetische und künstlerische Fragen grundsätzlich hintenanstehen.

Die Eremitage ist ein staatliches Museum, das als sehr konservativ gilt. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

Es gibt neben allem anderen auch Probleme mit dem Geldfluss. Die Kollegen in St. Petersburg werden aufgrund der verschiedenen Konflikte nicht regelmäßig bezahlt. Die Organisation Manifesta gibt sich idealistisch und ich finde es sehr schwierig, zwischen zwei sehr unterschiedlichen Systemen - dem der Manifesta und dem russischen - zu vermitteln.

Glauben Sie, die Kunst kann im heutigen Russland etwas bewirken?

Ich glaube schon. Wenn es nicht der Fall wäre, dann gäbe es überhaupt keine Hoffnung. Nun gibt es aber in jeder Kultur eine Vorstellung darüber, was Kultur oder Kunst ist und welche Funktion sie hat. Ich wäre sehr vorsichtig, da irgendwelche Verallgemeinerungen zu verlautbaren.

Was hat sie am meisten gestört und am meisten gefreut während Ihrer Arbeit in Russland?

Ich stecke ja noch mittendrin. Es ist ein unglaubliches Wechselbad. Mich stört dieses russische "Sich arrangieren müssen" und die Passivität. Statt zu kritisieren, bleibt man gelassen. Ich finde es schade, dass Dinge verharmlost werden und es keinen offenen Konflikt gibt. Denn der Konflikt wäre ja eigentlich sehr positiv, der könnte etwas bewirken.

Und ich habe mir abgewöhnt, russisches Fernsehen zu gucken - ich kann diese Gehirnwäsche dort nicht mehr ertragen. Also auch ich beginne mich selber zu schützen gegen bestimmte Dinge. Worüber ich mich aber gefreut habe, sind die großartigen Künstler und Künstlerinnen mit ihren starken Arbeiten, und jetzt hoffe ich noch auf offene und interessierte Besucher.

Das Interview führte Anastassia Boutsko.