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Wie El Paso das Sterben organisiert

17. November 2020

El Pasos Krankenhäuser ächzen unter der Last der Corona-Krise. Es gibt kaum Platz für die vielen Toten. Mit dem Winter in Sicht steigt die Angst, dass es in der texanischen Stadt noch schlimmer werden könnte.

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USA El Paso
Bild: Anna Carthaus/DW

Corona-Hotspot El Paso

Jorge Ortiz hat derzeit mehr Aufträge, als er bewältigen kann. Darüber freuen kann er sich nicht. Jorge Ortiz arbeitet in einem Bestattungsinstitut in El Paso, einer texanischen Großstadt an der Grenze zu Mexiko.

Mit mehr als elf Millionen Infizierten und fast 250.000 Verstorbenen (Stand: 16.11.20) stehen die USA an der Spitze einer traurigen Statistik. Während der amtierende Präsident Donald Trump keine Absichten zeigt, seinen Posten zu räumen und für seinen laxen Umgang mit der Pandemie kritisiert wird, bringt Nachfolger Joe Biden eine Corona-Taskforce in Stellung. Bis zu seinem Amtsantritt im Januar jedoch ist sie zahnlos. Derweil steigt im Rest des Landes die Zahl der Neuinfektionen in beispiellosem Ausmaß. Einer der Hotspots: El Paso. Mehr als 1.600 neue Fälle werden hier täglich registriert - gemessen an der Bevölkerungszahl so viel wie an kaum einem anderen Ort des Landes.

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Haltung und Respekt für die Toten: Jorge OrtizBild: Anna Carthaus/DW

Fast dreimal so viele Bestattungen

Jorge Ortiz arbeitet seit seinem 17. Lebensjahr im Bestattungsunternehmen der Familie Perches. Alles an ihm zeugt von Trauer und Respekt: Anzug, Schuhe, Mundschutz, Haltung. Inzwischen ist er fast 30. Aber eine derartige Arbeitsbelastung hat er noch nie erlebt. "Früher hatten wir pro Standort 30 Bestattungen monatlich, nun sind es 80." Drei Viertel der Termine gingen auf das Virus zurück.

"Vier Monate lang haben wir unseren Chef nicht gesehen", erzählt er. "Und als wir ihn dann wiedersahen, lag er in einem Sarg. Wir verstehen genau, was all die Familien im Moment durchmachen." Die Pandemie stellt die Mitarbeiter des Unternehmens vor emotionale und technische Herausforderungen: Zur Einbalsamierung der Leichen müssen sie Schutzkleidung tragen. Für Kontaktpersonen oder ältere Angehörige werden Beerdigungen im Life-Stream angeboten. Nach Zeremonien vor Ort müssen alle Räume desinfiziert werden.

El Paso liegt an den südlichsten Ausläufern der Rocky Mountains, umgeben von Wüste. Die Straßen sind breit, meist bewegt man sich im Auto fort. Nach Ciudad Juarez, die mexikanische Schwesterstadt auf der anderen Seite des Zauns, gelangt man zu Fuß. Die Nähe zu Mexiko prägt El Paso: 83 Prozent der Bevölkerung haben hispanische Wurzeln. Damit einher gingen traditionelle Vorstellungen, erklärt Jorge Ortiz. Man möchte die Verstorbenen möglichst am Tag nach ihrem Tod beisetzen. Dafür jedoch fehlen momentan Kapazitäten und Platz.

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Nur mit mehr Kühltransportern lassen sich die vielen Leichen bewältigenBild: Anna Carthaus/DW

Neue Kühltransporter für die Toten

Ein Platzproblem haben auch El Pasos Krankenhäuser. Die Intensivstationen sind voll. Ganze Flure werden geräumt und mit Intensivkapazitäten aufgestockt. Zelte auf Klinik-Parkplätzen bieten zusätzlichen Raum. Ein Kongresszentrum im Herzen der Stadt ist jetzt ein Krankenhaus.

Medizinisches Personal wird aus anderen Städten eingeflogen. Intensiv-Patienten ausgeflogen. Und der Strom der Erkrankten reißt nicht ab. 241 Corona-Patienten hätten sie momentan, berichtet der Sprecher des Universitätsklinikums. Vor anderthalb Monaten waren es 30. Krankenhäuser bestellen neue Kühltransporter für die Toten.

Corona treibt Millionen in die Armut

Wegen des Besuchsverbots sind Krankenschwestern und Ärzte oft die letzten Kontaktpersonen für die Sterbenden. "Es herrscht Verzweiflung", berichtet Krankenschwester Rachel Acosta. Manche Kollegen arbeiteten zwei Schichten am Stück. Krankenhaussprecher Ryan Mielke sagt: "Wenn man diese Arbeit jeden Tag macht, muss man sie lieben. Sonst überlebt man nicht."

Gefahr von Corona immer noch nicht allen bewusst

An 44 Stationen kann man sich in El Paso auf das Virus testen lassen. Miguel Angel Jal koordiniert zehn davon. Unterstützung erhält er vom texanischen Staat. "Ich glaube nicht, dass fehlende Ressourcen das Problem sind", sagt er. Vielmehr sei den Menschen nicht bewusst, wie gravierend die Erkrankung ist. "Sie verstehen nicht, was zu tun ist und was nicht. Das ist der Punkt, an dem wir versagen."

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Uriel Samanlegos Handwerksbetrieb läuft gut - und er vertraut weiter auf Donald TrumpBild: Anna Carthaus/DW

Widersprüchliche Signale aus Staats- und Kommunalpolitik befeuern die Unsicherheit: Der oberste Bezirksbeamte von El Paso hatte eine vorübergehende Schließung nicht lebenswichtiger Betriebe bis zum 1. Dezember angeordnet. Der Generalstaatsanwalt von Texas klagte gemeinsam mit einigen Restaurants dagegen. Am vergangenen Freitag kippte ein Gericht die Anordnung. Auch der Bürgermeister ermutigt die Geschäfte, offen zu bleiben.

Früher seien die Straßen lebendig und farbenfroh gewesen, erzählt Marco Antonio Lozano de la Fuente. Er betreibt ein Restaurant im Zentrum der Stadt. Heute kann man auf früher viel befahrenen Kreuzungen spazieren gehen. Viele Läden sind geschlossen. Seit März ist es nur noch Amerikanern erlaubt, den Pass zwischen Mexiko und den USA zu überqueren. Dadurch bliebe ein Großteil der Gäste aus. Marco macht nur noch ein Zehntel des Geschäfts. Vielen Mitarbeitern musste er kündigen. Andere kämen von selbst nicht mehr. Aus Angst vor dem Virus.

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Geschlossen wegen der Pandemie - Geschäfte in El PasoBild: Xavier Roca/DW

Mit Bleichmittel gegen das Virus

Bei Uriel Samaniego laufen die Geschäfte blendend. Zwar hatte er zu Beginn der Krise Angst, dass sein Handwerksbetrieb aufgrund der Pandemie am Boden liegen würde. Nun ist er bis Juni nächsten Jahres ausgebucht: Viele Menschen renovierten in der Pandemie ihre Häuser, sagt er. Als er selbst am Virus erkrankte, befolgte er den Rat von Donald Trump und ließ sich von einem mexikanischen Arzt mit verdünntem Bleichmittel behandeln (eine Maßnahme, die Ärzte als höchst gefährlich einstuften - und Donald Trump später als Witz). Uriel Samaniego glaubt trotzdem, dass auch Donald Trump das Virus nur dank dieser Medizin überlebte. In der Präsidentschaftswahl hat er für ihn gestimmt. Er ist davon überzeugt, dass Donald Trump die Wahl gewonnen hat.

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Eine Ecke für jedes denkwürdige Ereignis im Bestattungsunternehmen. Wird es auch eine Ecke für das Coronavirus geben?Bild: Anna Carthaus/DW

Im Bestattungsinstitut von Jorge Ortiz haben sie eine eigene Ausstellung aufgebaut. Themenecken erinnern an Momente, die für das Unternehmen von besonderer Bedeutung waren: Das Walmart-Shooting. Der Besuch von Papst Franziskus. Der Tod des Firmengründers. Ob sie für das Coronavirus auch eine Ecke einrichten werden? Vielleicht, sagt Jorge Ortiz. Wenn das alles hier vorbei ist.