Was tun gegen gerissene Lieferketten?
9. August 2021Die erste und auch heute, mehr als eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie, noch immer als unverzichtbar geltende Vorsichts- und Schutzmaßnahme vor dem COVID-19-Virus ist der sogenannte Mund-Nasen-Schutz. Einfach und billig hergestellt, schnell an die Kunden gebracht.
Doch was zu normalen Zeiten funktionierte, klappte in der Pandemie nicht mehr. 'Normal' hieß, die kleinen Stoffdinger dort einzukaufen, wo sie billig produziert werden. Aber einerseits wurden die Masken in Ostasien selbst benötigt und andererseits funktionierte der Transport nicht mehr reibungslos: In Deutschland herrschte plötzlich ein Mangel an Gesichtsmasken.
Fast 20 Monate später ist ähnliches bei einem anderen Produkt zu beobachten: Jetzt sind es Computerchips, die fehlen. In Europa, gerade auch in der deutschen Vorzeigebranche Automobilindustrie, sind Halbleiterprodukte knapp. Die werden zumeist in Ostasien hergestellt, weil es dort billiger ist und weil China auch technologisch enorm aufgeholt hat, in manchen Bereichen sogar führend ist.
Starke Bremswirkung
Die Knappheit an Rohstoffen und wichtigen Zulieferteilen bremst die wirtschaftliche Erholung in der sommerlichen Entspannungsphase der Corona-Krise aus. Eine vierteljährlich unternommene Umfrage durch das Münchener Ifo-Institut, die am Montag (2.8.2021) veröffentlicht wurde, zeigt, dass rund 64 Prozent der befragten Unternehmen Produktionsbehinderungen durch Lieferengpässe bei Vorprodukten beklagen.
"Nach der Seitwärtsbewegung im ersten Quartal ist es nun im zweiten Quartal zu einem Rückgang der Industrieproduktion gekommen", teilt das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin mit. Hauptsächlich dafür verantwortlich seien Versorgungsengpässe bei Halbleitern, vor allem in der Automobilbranche.
Dunkle Zahlen
Das Statistische Bundesamt belegt die Klage: Materialknappheit und Lieferengpässe hätten die Produktion der deutschen Industrie von Mai auf Juni 2021 sinken lassen. Zwar falle die Halbjahresbilanz trotz des Rückgangs noch positiv aus, aber die aktuelle Lage sei nicht rosig, so die Wiesbadener Statistiker. Das Minus im Juni sei das dritte Minus in Folge gewesen. Im Mai fiel der Rückgang mit 0,8 Prozent sogar deutlicher aus als die zunächst berechneten 0,3 Prozent.
Am Freitag veröffentlichte das Ifo-Institut weitere Zahlen zur Produktionssituation der deutschen Wirtschaft. In der Möbelindustrie etwa zeige sich, dass die "Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten sich bemerkbar" machten, so Klaus Wohlrabe, Leiter der Abteilung Umfragen beim Münchener Institut. "Die Produktionsaussichten der Möbelindustrie haben merklich nachgegeben." Der Wert für die Produktionserwartungen fiel im Juli auf 27 Punkte, nach 38 im Juni
Verhängnisvolle Entwicklung
Doch was kann man tun, wenn es am Nachschub von Rohstoffen oder verarbeiteten Vorprodukten mangelt? Wenn es an Containern fehlt oder der verfügbare Schiffsraum schwindet und daher teurer wird? Eine mögliche Alternative nennt der Globalisierungs-Fachmann Nikolaus Lang von der Unternehmensberatung BCG der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Viele Unternehmen werden ihre Lagerkapazitäten deutlich ausbauen, weil die Lieferketten verwundbarer geworden sind."
Produktion funktioniert weitgehend nach dem Just-in-time-Prinzip: Teile werden erst dann angeliefert, wenn sie gebraucht werden. Seit den 1980er-Jahren habe der freie Welthandel dieses Prinzip übernommen und eine hocheffiziente Logistik nahezu ohne Lagerbestände ermöglicht, so Lang. Zulieferteile auch aus Übersee kommen erst, wenn sie gebraucht werden, die Lagerhaltung findet dann auf Straßen und Eisenbahnschienen statt, in Verladehäfen oder auf hoher See - wenn die Güter gerade unterwegs sind.
Rückkehr der Lagerhaltung
Eine Maßnahme, um Lieferengpässe zu vermeiden, sagt Nikolaus Lang, wäre daher der Aufbau eigener Lagerkapazitäten. Außerdem sollte ein Unternehmen Rohstoffe und Zulieferteile stets aus unterschiedlichen Quellen beziehen.
Zwischenhändler einzuschalten könne die Lage ebenfalls entspannen. Der Händler würde für verarbeitende Unternehmen einkaufen. Wenn er gleich den ganzen Jahresbedarf eines Kunden erwirbt oder eine Sammelbestellung für verschiedene Firmen abwickelt, kann er durch mögliche Rabatte Geld sparen, die er vielleicht sogar an seine Kunden weitergibt.
Auch der deutsche Technologiekonzerns Siemens hat festgestellt, dass Kunden derzeit aus Furcht vor abbrechenden Lieferketten größere Lagerbestände aufbauen, mit oder ohne Zwischenhändler. Bis zu zehn Prozent der aktuellen Umsatzzuwächse seien darauf zurückzuführen, dass sich Kunden über den aktuellen Bedarf hinaus eindeckten, sagte Finanzvorstand Ralf Thomas bei der Vorstellung der Quartalsbilanz am Donnerstag.