Lahm: "Höchste Ansprüche, harte Konkurrenz"
24. Oktober 2017DW: Herr Lahm, für Nachwuchsspieler und Profis sind die Bayern eine Top-Adresse. Warum? Was für ein Spielertyp muss man sein, um bei den Bayern wirklich Fuß fassen zu können?
Philipp Lahm: Der FC Bayern ist attraktiv, weil er seit Jahrzehnten konstant erfolgreich ist. Wir haben in den vergangenen sieben Jahren dreimal das Champions League-Finale erreicht und waren da sonst immer im Viertel- oder Halbfinale. Der Klub zählt also zur absoluten Spitze, auch in Europa. Ich glaube schon, dass das für viele anziehend ist, dass die sagen: Ich will zu diesem erfolgreichen Verein und will Teil dieses Vereins sein. Was man dazu braucht ist schwierig zu sagen, weil es keine simple Lösung dafür gibt. Grundvoraussetzungen sind Talent, Disziplin und am Ende auch das Quäntchen Glück. Klar ist auch, dass nicht jeder Spieler zu jedem Verein passt.
Oliver Kahn sagt, man braucht den unbedingten Willen sich jeden Tag dem Wettbewerb zu stellen. Gehört das auch dazu, um sich beim FC Bayern durchzusetzen?
Definitiv. Ich glaube auch da ist es ein Vorteil, wenn man früh zum FC Bayern kommt. Ich bin mit elf Jahren zu den Münchenern gekommen, und ab dem Zeitpunkt herrschte dieses Konkurrenzdenken. Es ist egal wo man hinfährt, man ist immer der Favorit. Das lernt man schon in jungen Jahren. Und das zieht sich dann beim FC Bayern bis zu deinem Karriereende hin, dass man in jedem Wettbewerb der Favorit oder der Mitfavorit ist. Genauso ist es mit den Mitspielern. Auch da steht man immer in Konkurrenz. Es wird ständig ausgewählt. In der Jugend und auch später. Da wird man wettbewerbsfähig.
Wie würden Sie das "Mia San Mia"-Phänomen des FC Bayern erklären?
Für mich zeigt es die Selbstverständlichkeit des Vereins, immer den maximalen Erfolg anzustreben. Ich glaube, das ist das "Mia San Mia" - in Verbindung natürlich mit einer wunderschönen Stadt wie München. Es ist mehr so ein Gefühl. Mit allem was dazugehört. Das bedeutet auch, dass die Feste so gefeiert werden, wie es für einen Münchener oder Bayer richtig ist. Es wird die Gemeinschaft zelebriert.
Hoeneß hat den Verein geprägt
Wie schätzen Sie die Rolle von Uli Hoeneß ein?
Ich glaube, dass es in jedem Unternehmen oder Verein eine Hierarchie geben muss. Jeder sollte seine Rolle in einem solchen Gefüge kennen und verstehen. Das ist auch beim FC Bayern der Fall. Wenn wir auf Uli Hoeneß kommen, dann ist klar, dass er einen großen Anteil daran hat, dass der FC Bayern da steht, wo er jetzt ist. Er war hier Spieler, Manager und ist Präsident. Er hat den Verein stetig aufgebaut - sportlich und wirtschaftlich.
Uli Hoeneß ist auch ein sehr streitbarer Mensch, gerade wenn es um den Verein geht. Ist das eine Rolle, die er einnimmt, oder ist das einfach sein Charakter?
Das kann ich nicht beurteilen, das darf ich auch nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, wie ich ihn erlebt habe beim FC Bayern. Es gab interessante Gespräche, auch solche, nach denen man rausgegangen ist und verschiedener Meinung war. Aber das Gute daran: Man konnte sich danach immer wieder zusammensetzen, und darüber sprechen. Und ich glaube, das ist es, was bis heute viele anerkennen und ihm dafür sehr, sehr dankbar sind. Er hat auch bei Streitpunkten ein offenes Ohr.
Genau wie Hoeneß polarisiert der FC Bayern sehr stark. Woran liegt das?
Es liegt daran, dass der FC Bayern so lange so erfolgreich ist. Da ist es doch klar, dass die anderen ein bisschen sagen: "Wir wollen auch dahin! Wir wollen sie da oben runterstoßen!" Ein Sieg gegen die Bayern ist das Größte. Da kann ich nur wieder meine Erfahrungen in der Jugend anführen. Bei jedem Turnier war das der Fall. Entweder wird man bejubelt, oder die Leute sagen: "Wir müssen die Bayern schlagen!" Wenn man das miterlebt, lernt man auch wieder den FC Bayern richtig kennen. Was es bedeutet, für diesen Klub zu spielen. So ist es bis heute. Der FC Bayern polarisiert, weil er erfolgreich ist, weil er immer das Maximale anstrebt, und sich dann viele freuen, wenn es eben nicht so ist, dass der FC Bayern am Ende ganz oben steht.
Zwischen Niederlage und Triumph
Trauma und Triumph liegen in München manchmal eng beieinander. Erst der Last-Minute-K.o. im Champions League Finale 1999, zwei Jahre später dann der Titel. Wie haben Sie das miterlebt?
2001 war ich beim Public Viewing im Stadion und habe bis zum letzten Elfmeter mitgezittert. Das Drama gegen Manchester 1999 habe ich zu Hause bei Oma und Opa angeschaut, da war die Enttäuschung natürlich riesengroß. Mein Gefühl damals: Das haben sie nicht verdient, so kurz vor Schluss so eine unglaubliche Niederlage einzustecken. Dass sie zwei Jahre später dann gewonnen haben, war deswegen noch schöner.
Sie selbst haben so etwas Ähnliches am eigenen Leib erfahren. Im Negativen wie im Positiven. Wie war das?
Ja, 2012, vor dem "Finale Dahoam" war ich mir vor dem Spiel sicher: Heute gewinnen wir die Champions League! Es hat dann auch lange Zeit sehr gut ausgesehen im Spiel, und dann kassieren wir kurz vor dem Ende das 1:1. Wir hatten danach noch Riesenmöglichkeiten und verlieren trotzdem im Elfmeterschießen. Ich habe danach direkt auf dem Platz versucht, meine Mannschaft aufzubauen, was persönlich nicht so einfach war, weil die Enttäuschung natürlich groß war. Aber ich habe mir gedacht, ich muss der Mannschaft und den Spielern irgendwie vermitteln, dass es weiter geht, dass wir nochmal die Möglichkeit kriegen. In der Saison danach waren wir noch mal fokussierter, wir hatten noch mehr diesen absoluten Willen, es ist einfach etwas zusammengewachsen. Als wir in Wembley dann gegen Dortmund angetreten sind, war der Druck unglaublich groß. Vor allem für unsere Generation: für Basti, Franck, Arjen und mich. [Anm. d. Redaktion: Bastian Schweinsteiger, Franck Ribery, Arjen Robben]. Das hat man in der Anfangsphase gemerkt. Gott sei Dank konnten wir das abschütteln und dann die Champions League gewinnen. Es war etwas ganz Besonderes diesen großartigen Titel mit seinem Heimatverein zu feiern, mit so vielen Mitarbeitern, die man so lange kennt.
Philipp Lahm, ist ehemaliger Spieler und Kapitän des FC Bayern München. Mit dem Klub gewann er 2013 die Champions League, wurde insgesamt acht Mal deutscher Meister und holte sechs Mal den DFB-Pokal. Darüber hinaus war er war Kapitän der deutschen Nationalmannschaft beim Gewinn der WM 2014 in Brasilien. Als Elfjähriger wechselte er zum FC Bayern München. Mit Ausnahme zweier Spielzeiten (2003-2005 auf Leihbasis beim VfB Stuttgart) verbrachte er seine gesamte Karriere beim Rekordmeister.
Das Interview führte Niels Eixler.