"Niemand hält Sanktionen für wünschenswert"
17. Oktober 2017DW: Herr Bundestagspräsident, seit 2014, nach der Annexion der Krim durch Russland, haben Sie das Land nicht mehr besucht. Auch nicht beim Petersburger Dialog 2016. Wollten Sie auf diese Weise zeigen, dass Sie mit der Politik von Präsident Wladimir Putin nicht einverstanden sind?
Norbert Lammert: Also beim Petersburger Dialog gehöre ich ja nicht zu den Teilnehmern, insofern hätte ich da, wenn überhaupt, als Gast teilnehmen können.
Wo immer es sinnvolle Anknüpfungspunkte für einen Dialog zwischen Mitgliedern des Bundestages und der Duma gab, habe ich dies gefördert. Vor allem, was die notwendigen Reisegenehmigungen angeht, vor und auch nach der Krim-Annexion.
Meine Erwartungen an die Funktionen eines selbstbewussten Parlaments finde ich allerdings auch schon vor der Entwicklung im russisch-ukrainischen Verhältnis in der Duma nur in einem sehr begrenzten Umfang gegeben. Die Annexion der Krim, die jedenfalls einen klaren Bruch des Völkerrechts darstellt, was immer man sonst davon halten mag, wurde von der Duma einstimmig gebilligt. Und dass der einzige Abgeordnete, der sich der Stimme enthalten hat, mit einem Verfahren zum Verlust des Mandats überzogen wurde, hat auf eine für mich deprimierende Weise den Eindruck bestätigt, den ich gerade angesprochen habe.
Sie haben in St. Petersburg vor Studenten gesprochen. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, welche Signale Sie mit Ihrem Besuch der russischen Staatsmacht geben?
Dass sich etwas geändert hat, haben wir ja gerade festgestellt. Aber was geblieben ist, ist die überragende Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen für das Verhältnis des ganzen europäischen Kontinents zu diesem Teil der Welt. Da spreche ich ganz sicher für die allermeisten Mitglieder des alten wie des neuen Deutschen Bundestages, dass im Bewusstsein einer jahrhundertelangen besonderen engen Beziehung zwischen Deutschland und Russland wir gerne an diese großen Zeiten anknüpfen und die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern sowohl kulturell wie wirtschaftlich, aber auch politisch entwickeln und stabilisieren wollen.
Vor kurzem haben der tschechische Präsident Milos Zeman und davor der deutsche Politiker Christian Lindner dazu aufgerufen, die Krim-Annexion als gegeben anzuerkennen und die Beziehungen mit Russland weiter auszubauen, ohne auf diesen Völkerrechtbruch zu achten. Sind Sie mit einer solchen Herangehensweise einverstanden?
Niemand empfindet die Sanktionen als wünschenswert, sie sind aber auch nicht aus Übermut entstanden und vereinbart worden. Und sobald die mit der Zustimmung der russischen Regierung wie der ukrainischen Regierung getroffenen Vereinbarungen von Minsk umgesetzt sind, können und werden sie selbstverständlich auch entfallen. Aber ohne diese Voraussetzungen eben nicht.
Bei Ihrem Besuch in Sankt Petersburg haben Sie den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow, der sich in russischen Straflagern befindet, und den russischen Theaterregisseur Kirill Serebrennikow, der ein Urteil erwartet, in Schutz genommen. Hochrangige Vertreter der russischen Delegation haben Ihre Aussagen als Versuch der Einmischung in die russischen Angelegenheiten bewertet. Was halten Sie von dieser Situation? Glauben Sie nach wie vor, dass Senzow und Serebrennikow befreit werden sollen?
Unser Verständnis von Menschenrechten ist, dass sie universal sind und dass unter Hinweis auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten weder Menschenrechte verweigert werden dürfen noch die Unterstützung für die Gefährdung von Menschenrechten behindert oder untersagt werden darf. Und wann immer ich wo auch immer eingeladen bin und solange ich frei reden kann, werde ich in vergleichbaren Fällen sagen, was ich für nötig halte. Natürlich kann auch jeder russische Beobachter, wenn er dazu Anlässe sieht, sich über Entwicklungen in Deutschland kritisch äußern.
Die IPU ist eine 1889 gegründete internationale Vereinigung von Parlamenten, der 176 Mitgliedsstaaten angehören. Bundestagspräsident Lammert hatte den Vorsitz der deutschen Delegation zu dieser Organisation 15 Jahre lang inne. Mit seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag endet mit der Konstituierung des 19. Deutschen Bundestages an 24. Oktober auch diese Funktion.
Das Gespräch führte Wladimir Izotov.