"Landshut"-Befreiung als Heldengeschichte
18. Oktober 2017Deutsche Welle: Heute vor genau 40 Jahren wurde die Landshut von der Bundesgrenzschutz-Gruppe 9 (GSG9) aus der Gewalt der Entführer befreit. Was bedeutet der Gedenktag für Sie heute?
Rupps: Es ist ein Tag für die Opfer, die im deutschen Herbst gestorben sind, aber auch ein Gedenken an die Opfer, die überlebt haben. Speziell meine ich damit die Menschen in der Maschine, die aus dieser Entführung ein lebenslanges Trauma davongetragen haben.
Wie sehen Sie die Landshut heute? Steht das Flugzeug für die Qualen der Opfer oder für den Sieg über die RAF?
Für beides, das eine schließt das andere nicht aus. Mogadischu war die bisher stärkste terroristische Herausforderung der Bundesrepublik. Die Entführung hatte auch einen internationalen Aspekt. Damals hatte sich sogar der Papst im Austausch für die Geiseln angeboten. Bundeskanzler Schmidt bekam aus der ganzen Welt Telegramme, da war wirklich ein Mitfühlen spürbar, auch von Ex-US-Präsident Jimmy Carter.
Helmut Schmidt wollte Härte zeigen und sich nicht erpressen lassen. Aber seine Strategie hätte auch schiefgehen können. Kann man überhaupt eine Maxime aus Mogadischu ableiten?
Es war eine Härte am Ende eines rationalen Denkprozesses. Helmut Schmidt hat noch im Alter von der Verantwortung geträumt, die er hatte. Es war eine Abwägung: Lassen wir die Terroristen laufen und gehen damit die Gefahr ein, dass sie dann neue Morde begehen, oder nehmen wir im schlimmsten Fall hin, dass 90 Menschen ihr Leben verlieren? Das ist natürlich eine grausame Abwägung. Aber nach meinem Eindruck ist klar entschieden worden, es ist ein Beispiel dafür, dass man den Kopf nicht verloren hat. Ich kann natürlich nicht sagen: das ist jetzt eine Art Blaupause für den Umgang mit Terrorismus heute. Aber es ist als historisches Ereignis einfach schlüssig nachzuvollziehen, welche Motive damals ausschlaggebend waren.
Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Landshut auseinandergebaut und nach Deutschland zurückgeholt wurde. Was haben Sie empfunden, als das Flugzeug am 23. September landete?
Ich habe im ersten Moment gedacht: "Was hast du denn da angerichtet?" Da kommt eine Maschine oder ein Teil einer Maschine aus einer anderen. Mir ist dann erst klargeworden, was für ein Aufwand dahintersteckt, wie viele Menschen es brauchte, um das zu schaffen. Ich habe den Anstoß gegeben, aber wir brauchen sehr, sehr viele, die dasselbe denken und dasselbe wollen. Ich war schon sehr berührt.
Warum hat die Lufthansa die Landshut damals verkauft? Gab es kein Interesse an einer historischen Aufarbeitung?
Die Maschine ist regulär verkauft worden. Nach einer bestimmten Anzahl an Betriebsstunden werden alle Lufthansa-Maschinen verkauft. Ich glaube, die Lufthansa hat das Thema Landshut-Entführung nie als ein Lufthansa-Thema gesehen, sondern als eine Angelegenheit des deutschen Staates, die eben zufällig eine Lufthansa-Maschine getroffen hat.
Liegt das daran, dass in den 70er Jahren solche Ereignisse politisch anders eingeordnet wurden, als dies heute der Fall wäre? Es gab damals ja auch keine Debatte über eine mögliche Entschädigung der Opfer.
Mein Eindruck ist, dass die Deutschen eine Heldengeschichte stricken wollten, weil sie ohnehin zu Heldengeschichten neigen. Da sind die GSG9-Leute rein und haben die Terroristen erschossen. Aber die anderen Aspekte, dass man zum Beispiel bereit war, im Zweifel die Landshut-Geiseln zu opfern, diese Aspekte wurden bei der Gelegenheit weggedrückt und verschwiegen.
Wie haben die Opfer 40 Jahre nach der Entführung die Ereignisse verarbeitet? Sollten sie nachträglich doch noch entschädigend werden?
Es gibt den Fall einer 75-jährigen früheren Geisel, die mit Hilfe des Weißen Rings nach Jahrzehnten einen Antrag auf Beihilfe von Geldern aus dem Opferentschädigungsgesetz gestellt hat. Sie bekommt jetzt etwa 100 Euro im Monat. Diese 100 Euro geben ihr das Gefühl, dass der Staat jeden Monat ihr Leid würdigt.
Die ehemalige Landshut-Stewardess Gabriele von Lutzau sieht das anders und hat sich dezidiert gegen Entschädigungen ausgesprochen. Sie haben mit vielen Opfern gesprochen: Wartet die Mehrheit auf eine späte Anerkennung?
Gabriele von Lutzau ist eine wunderbare Ausnahme von der Regel. Die meisten Passagiere leben bis heute mit diesem Thema, manche sind auch daran gestorben. Es gibt aus den letzten Lebensjahren immer wieder Tagebuchnotizen oder auch Briefe an die Bundesregierung, in denen Menschen einfach nicht verstanden haben: Warum hat sich Bundeskanzler Helmut Schmidt nie bei uns entschuldigt? Warum hat er uns nie einen Brief geschrieben? Die meisten leiden weiter stark darunter, und die Kritik am Staat ist auch nicht verstummt. Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski hatte damals Helmut Schmidt vorgeschlagen, jeder Geisel 5000 Mark Schmerzensgeld zu zahlen.
Die Landshut wird nun im Dornier-Museum in Friedrichshafen wieder aufgebaut. Wird der Terror von damals in der Ausstellung, die in einem Jahr eröffnet werden soll, auch mit dem Terror von heute verknüpft?
Die Ausstellung wird die Wehrhaftigkeit des Staates zeigen. Selbst wenn die Zusammenhänge damals ganz anders waren, es saßen auch damals Politiker zusammen und mussten entscheiden. Mogadischu war ein Beispiel dafür, dass eine solche Bedrohung gemeistert werden kann. In diesem Sinne ist es ein positives Beispiel und eine Ermunterung, auch heute an den Sieg gegen Terrorismus zu glauben.
Das Gespräch führte Astrid Prange.
Martin Rupps ist Zeithistoriker und Journalist. Er ist Autor des Buches "Die Überlebenden von Mogadischu" und hat mehrere TV-Dokumentationen über die Entführung der Landshut und die politische Aufarbeitung produziert.