Eidinger: Wir wollen in Russland keinen Skandal
13. Juni 2017Der russische Film "Matilda” erzählt von der Affäre von Zar Nikolaus II. (Lars Eidinger) mit der Primaballerina des Sankt Petersburger Mariinski-Theaters Matilda Maria Felixowna Kschessinskaja (Michalina Olszańska). Doch das beleidige die religiösen Gefühle der Gläubigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine wissenschaftliche Expertise, die im Auftrag einer Duma-Abgeordneten erstellt wurde. DW Russland-Korrespondent Juri Rescheto hat Lars Eidinger in Moskau getroffen und mit ihm über den vieldiskutierten Film gesprochen.
DW: Herr Eidinger, im Oktober dieses Jahres soll Ihr neuer Film "Matilda" in die russischen Kinos kommen. Dort spielen Sie den letzten russischen Zaren und schon jetzt ist der Film höchst umstritten in Russland. Was halten Sie davon?
Lars Eidinger: Ich kann es bis zu einem gewissen Punkt sogar verstehen. Ich verkörpere Nikolai II. und der ist heilig gesprochen - den möchte man verteidigen. Der Film beleuchtet ja seine Affäre mit einer Balletttänzerin. Aber ich glaube, diese Vorwürfe laufen ins Leere, wenn man den Film anguckt. Weil man merkt, dass sich dieser Film diesem Charakter mit großem Respekt annähert und dass er etwas zutiefst Menschliches beschreibt.
Kritiker des Regisseurs Alexei Uschitel werfen ihm vor, dass er einen deutschen Schauspieler beschäftigt - einen deutschen Porno-Darsteller, wie sie sagen - um einen russischen Zaren zu spielen. Das sei besonders empörend und beleidigend. Wie gehen Sie damit um?
Bisher war ich gar nicht gezwungen, damit umzugehen. Es hat mich auch nicht besonders gekränkt. Ich hatte nur Angst, dass dieser Film nicht erscheint. Gegenüber der Porno-Industrie habe ich keine großen Vorbehalte, ich habe mit ihr überhaupt nichts zu tun.
Mittlerweile ist der Film fast schon zu einer Staatsaffäre geworden. Die sogenannten Orthodoxen, religiös Beleidigten, die in Russland durch ein spezielles Gesetz geschützt werden sollen, machen Druck auf die Behörden. Und die Behörden lassen Expertisen erstellen. Was glauben Sie, woher kommt das?
Ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass man das Religiöse schützen will. Es erinnert mich schon ein bisschen an Pussy Riot. Man sagt: Ok, ihr demonstriert, aber bitte nicht auf unserem Altar, der ist heilig für uns. Ich finde, diesen Vorwurf muss man ernst nehmen. Ich verstehe diese Leute, aber ich wünsche mir schon, dass man sich einigt, so dass man sich am Ende diesen Film angucken kann. Weil wir alles andere wollen, als einen Skandal zu provozieren.
Reden wir über etwas Positives. Sie sind ein deutscher Schauspieler, der einen russischen Zaren spielt. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?
Es ist etwas ganz Besonderes. Ich wusste sofort um die Ehre, die mir zuteil wird. Viele Schauspieler würden zögern, den Zaren darzustellen. Ich glaube, dass das einer der Gründe war, warum Alexei Uschitel mich besetzt hat. Er wusste, dass ein deutscher Schauspieler nicht so viele Vorbehalte in der Darstellung hat und frei herangeht. Andererseits war ich als Deutscher, der des Russischen nicht mächtig ist, oft auch sehr verloren, an den Sets mit den vielen russischen Menschen, die auf mich einredeten. Nikolai II. war auch jemand, der sich in dieser Rolle nicht wohl gefühlt hat und verloren war. Ich glaube, das war auch ein Grund, mich zu engagieren: Man spürt, da ist jemand in eine falsche Position gedrängt worden. Außerdem geschah das alles in einer Zeit, in der es viele Kontroversen um die Politik von Putin gab, um Russland im Allgemeinen und um den Ukraine-Krieg, da war ich froh, mir mein eigenes Bild machen zu können.
Und wie fällt dieses Bild aus?
Man ist schon verblüfft davon - vielleicht weil man mit einer westlichen Arroganz herangeht - wie sehr das russische Volk - auch die Intellektuellen - zu ihrem Präsidenten halten. Ich bemühe mich, dafür ein gewisses Verständnis aufzubringen. Mir mein Bild nur über die Medien zu bilden, ist mir zu leicht. Ich bin froh, die Möglichkeit zu haben, hinzufahren und mit Leuten zu sprechen. Aber manchmal ist es schwer, nachzuvollziehen, etwa beim Thema Homosexualität und Verbot von Homosexualität: Ich bin hier sehr vielen Leuten begegnet, die schwul waren oder lesbisch waren, und das nicht ausleben dürfen. Aber ich habe das Gefühl, die Russen arrangieren sich auch damit. Gewisse Sachen rechtfertigen sie und bei anderen sagen sie, ja das ist die Meinung unseres Präsidenten, das ist die Politik unseres Landes, aber unser Leben sieht dann in der Realität doch komplett anders aus.
Das Gespräch führte Juri Rescheto.