Laudatio auf Liu Xiaobo: "Eine Rede mit Brisanz"
11. November 2010DW-WORLD.DE: Herr Spengler, wie schwierig war es für Sie, eine Rede für einen Preisträger zu schreiben, der nicht selbst dabei sein kann, weil er in Haft sitzt?
Tilman Spengler: "Es hat sich noch verkompliziert. Der deutsche PEN hat seine Auszeichnung schon lange vor dem Nobelpreis-Komitee getroffen. Das heißt, die Rede bekam immer mehr Brisanz, wenn Sie es in das Politische wenden wollen. Aber ich dachte mir, es ist ja eine einfache Sache: Die Vereinigung PEN steht für Schriftsteller und für das freie Wort. Und wenn einem (Liu Xiaobo) da ein Unrecht geschieht weil - wie wir finden - er die einfachen und banalen Werte der freien Rede vertritt, dann muss man sich dafür stark machen. Und das macht man dann vielleicht mit einer Rede, die den Geehrten so auszeichnet, als säße er wirklich dabei."
Was ist Ihr Anliegen, welche Botschaft wollen Sie mit Ihrer Rede senden?
"Ich habe zwei Botschaften. Die eine Botschaft ist das kurze Reflektieren darüber, ob die chinesische Regierung nicht ganz einfach diese Leute - die sie jetzt unter Hausarrest stellt oder anders malträtiert - einbinden will. Die Dissidenten wollen ja nicht dem Staat schaden. Auch die Regierung will ja per se nichts Böses, sondern dem Staat zu einem breiteren Fundament verhelfen. Und da kann man mit Oppositionellen unterschiedlich umgehen. Man kann sie auch einbinden in das, was man sich selbst als Partei vornimmt. Das wäre meine erste Botschaft, also eine höfliche Frage an die Regierung. Die andere Botschaft: Ich will an die Arbeit von Liu Xiaobo und die der Leute, für die er steht, also die Charta 08, erinnern. Es ist ja auch eine Arbeit, die teilweise dem Schutz vor dem Vergessen gewidmet ist. Und das Vergessen bezieht sich auf diverse Etappen der jüngeren chinesischen Geschichte. Da haben wir als Deutsche ja durchaus etwas mitzureden, weil wir auch immer wieder Probleme haben, mit unserer unmittelbaren Geschichte umzugehen. Dazu kann man ja auch zwei oder drei Sätze sagen."
Am Ende Ihrer Rede werden Sie sehr persönlich. Sie rufen auf in Kontakt mit Liu Xiaobo zu treten und ihn, wenn möglich, im Gefängnis zu besuchen. Kennen Sie ihn persönlich?
"Ja. Wobei ich sagen muss, dass der Appell am Ende der Rede natürlich der Aufruf zu einem Märchen ist. Da wird es etwas utopisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich größere Delegationen auf den Weg machen und in seine Zelle vordringen können. Aber ich hatte einmal ein merkwürdiges Erlebnis in Peking. Das muss 1983/4 gewesen sein. Da trat ein junger Mann - den ich im Rückblick, vier Jahre später, als er verhaftet wurde und sein Bild durch die Zeitungen ging – wiedererkannte. Es war ein junger Mann, der wie viele "Spät-Studenten und Früh-Assistenten" aufgefordert worden war, mit einem Ausländer eine Fremdsprache zu sprechen. Der Mann stellte sich dann neben mich und meinte: "May I ask you a question? What ist the meaning of life?" Das überraschte mich etwas, an einer Straßenkreuzung in Peking von einem Unbekannten nach dem Sinn des Lebens gefragt zu werden. Ich sagte erst mal gar nichts, und dann meinte er: "It is life itself". Und ging weiter. Ich bin mir jetzt sicher, dass er es war. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein."
Weiß er denn überhaupt, dass er den Preis bekommt?
"Ja, solche Nachrichten sprechen sich sehr schnell herum. Aber ich nehme mal an, dass ihn der Nobelpreis noch mehr gefreut hat."
Im Zusammenhang mit dem Nobelpreis verstärkt China den Druck auf das Ausland immer mehr. Peking will westliche Regierungsvertreter auch von der Teilnahme an der Verleihungszeremonie abbringen, droht mit Konsequenzen. Gab es beim PEN-Preis auch entsprechende Reaktionen von Seiten Chinas?
"Was im Präsidium geschehen ist weiß ich nicht. Was mich betrifft, so möchte ich da ungern darüber sprechen, denn das betrifft auch Freunde von mir."
Wie laut, denken Sie, wird Ihre Rede in Peking widerhallen?
"Ich hoffe weniger auf Lautstärke, als auf die Kraft meiner Argumente. Um es einmal ganz abgehoben zu sagen: Es ist ja - wenn man es aus dem Blickwinkel der Oppositionellen betrachtet - ein Teil dieses Dilemmas. Es ist keine Massenpartei (die Dissidentenszene, Anm. d. Red.). Es herrscht keine Stadionsstimmung, sondern man redet zu zwischen 10.000 und 25.000 Menschen in Peking. Das ist das, was an drei Straßenkreuzungen zusammenkommt. Es ist keine Massenbewegung. Deshalb finden wir es auch immer ein bisschen übertrieben, wenn seitens der Kommunistischen Partei von einer Bedrohung des Staates die Rede ist. Das klingt ein bisschen albern."
Wie viel Druck können denn solche internationalen Auszeichnungen auf Peking ausüben?
"Sie rücken die Lage der Verfolgten ins Licht. Es sind dann keine anonymen Figuren mehr, sondern Figuren, die einen Namen tragen, und um die man sich schon ein bisschen mehr kümmern muss."
Das Gespräch führte Esther Broders
Redaktion: Miriam Klaussner
Tilman Spengler ist Sinologe und Publizist