Flüchtlingskrise stärkt französische Rechtsextreme
20. Oktober 2015Der politische Kurs der rechtsextremen Front National gleicht einer Schlangenlinie. Im Winter 2010 war es Marine Le Pen noch darum gegangen, die alte Parteirechte auf ihre Seite zu ziehen. Damals hatte sie auf einer öffentlichen Veranstaltung erklärt, in der Öffentlichkeit betende Muslime erinnerten sie an die Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. "Gewiss, es gibt keine Panzer und keine Soldaten, aber es handelt sich dennoch um eine Besatzung", sagte Le Pen. Hintergrund waren Debatten um die Sperrung bestimmter Straßen in einigen Städten, weil Muslime dort auch vor den überfüllten Moscheen beteten. Eine Anti-Rassismus Organisation hatte Le Pen wegen der Bemerkungen angezeigt: Jetzt nutzt sie den Prozess in Lyon, um sich als Kämpferin für die Meinungsfreiheit darzustellen.
Marine Le Pen gibt die Verfolgte
"Ich habe gehört, dass [Premierminister] M. Valls behauptet, die Justiz sei unabhängig. Aber [Justizministerin] Taubira betreibt meine Verfolgung vor den Wahlen mit juristischen Mitteln. Ich werde mich dagegen verteidigen", erklärte die Parteivorsitzende zum Prozessauftakt. Sie habe kein Vergehen begangen. Und als Politikerin sei es geradezu ihre Pflicht, bestimmte Sachverhalte anzusprechen. Auch die Staatsanwaltschaft fordert einen Freispruch. Ein Urteil wird für Mitte Dezember erwartet.
Marine Le Pen hatte die Verbindung von muslimischen Zuwanderern zum Zweiten Weltkrieg bewusst gewählt, und damit eigentlich das politische Terrain ihres Vaters betreten. Jean-Marie Le Pen, Gründer der Front National, hat ein Vorstrafenregister, das von Rassenhass bis zur Verharmlosung von Naziverbrechen reicht. Seine Tochter Marine aber kämpfte damals noch um den Parteivorsitz gegen den FN-Traditionalisten Bruno Gollnich. Der Vergleich von Muslimen mit deutschen Besatzern zielte auf seine Anhänger.
Die Flüchtlingskrise bringt einen neuen Rechtsruck
2011 obsiegte Marine Le Pen dann innerparteilich und begann schrittweise, ihren Ton zu dämpfen, um den Front National wählbar und bürgerlicher zu machen. "Entdämonisierung" nannte sie diese Strategie. Nachdem die Parteichefin ihren Vater aber vor kurzem wegen seiner ewigen Prozesse und Skandale aus der FN gedrängt hat, vollzieht sie selbst wiederum einen kleinen Rechtsruck: So erklärte ihr Vize Florian Philippot im September etwa, die deutsche Flüchtlingspolitik diene nur dem zynischen Interesse des deutschen Großkapitals, dahinter stecke Deutschlands "Bedarf an Sklaven für die Industrie".
Ob das Verfahren in Lyon Marine Le Pen bei den Regionalwahlen im Dezember nutzen oder schaden wird, ist noch offen. Sie liegt derzeit im Wahlbezirk Pas-de-Calais in den Umfragen vorn und rechnet für den FN insgesamt mit einem Sieg in mindestens zwei von 13 Departements. Und alles deutet darauf hin, dass sie bei den Präsidentschafts-wahlen 2017 in die Stichwahl kommen und Amtsinhaber Hollande von den Sozialisten hinter sich lassen wird. Der Streit um eine europäische Flüchtlingspolitik stärkt die Anhänger der rechtsextremen Partei.
FN polemisiert gegen den Islam
Die Äußerungen von Marine Le Pen hätten mit Meinungsfreiheit nichts zu tun, sagt Alain Jacubowicz von der Internationalen Liga gegen den Rassismus. Es könne nicht darum gehen, andauernd alle Leute wegen ihrer Äußerungen gerichtlich zu verfolgen, aber es "sei wichtig dieses Verfahren gegen sie zu führen". Die Äußerungen von Marine Le Pen seien bewusst provokativ gewesen. Ihr Vergleich von Muslimen mit Besatzern "stehe außerhalb der Grenzen der politischen Auseinandersetzung". Außerdem würden gegenwärtig ihre Äußerungen gegen den Islam immer provozierender, deshalb würde Jacubowicz eine Verurteilung der FN-Chefin als eine Art juristischen Warnschuss gegen den FN begrüßen.
Derzeit laufen noch weitere Verfahren gegen hochrangige Parteimitglieder: Schatzmeister de Saint-Just ist wegen Beihilfe zu Betrug und Veruntreuung von Steuergeldern angeklagt. Er soll im Wahljahr 2012 überhöhte Rechnungen vorgelegt haben, um mehr Geld vom Staat beim Ausgleich von Wahlkampfkosten zu erhalten. Gegen einen weiteren engen Vertrauten von Marine Le Pen, der in den Skandal verstrickt ist, läuft seit Anfang des Jahres ein Prozess wegen Betrug und Geldwäsche. Auch Saint-Just wirft der französischen Justiz vor, sie verfolge den Front National, um der Partei im Wahlkampf zu schaden. Der FN-Schatzmeister bewirbt sich bei der Regionalwahl um den Bezirk Île-de-France als Spitzenkandidat. Und bisher scheint die Kette von Skandalen und Prozessen dem Front National in den Umfragen noch nicht geschadet zu haben. Die meisten Anhänger der Rechtsextremen schenken der Verschwörungstheorie Glauben, dass die etablierten Parteien mit Hilfe der Justiz eine Kampagne führten, um dem FN zu schaden.