Der virtuelle Einkaufszettel
15. Juni 2012Der tägliche oder wöchentliche Einkauf im Supermarkt um die Ecke ist bislang fester Bestandteil des deutschen Alltagslebens. Imtrud Sauerzapfe zum Beispiel geht gerne in kleine Geschäfte. Dort kann sie nach Bedarf kaufen, auch geringe Mengen und dort kennt sie das Personal. "Ich liebe es sehr, mit den Leuten zu quatschen. Ich liebe das Persönliche. Die Geschäfte sind für mich ein Kommunikationszentrum." Außerdem müsse sie die Lebensmittel sehen, riechen und das Obst und Gemüse in die Hand nehmen. Nur am Bildschirm aussuchen, nein, das könne sie nicht. Ihre Schwester Brunhild Zinner pflichtet ihr bei. Auch die 69-Jährige möchte sehen, was sie kauft. Und auch ihr ist der persönliche Umgang wichtig. "Ich gehe zum Einkaufen nicht nur, weil ich etwas brauche, sondern auch, weil ich ein paar Wörter wechseln möchte."
Rund sechs Millionen Bundesbürger haben schon einmal Lebensmittel über das Internet gekauft. Imtrud Sauerzapfe und Brunhild Zinner gehören nicht dazu. Zwölf Prozent aller Internetnutzer (2010 waren es nur neun), wie das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Herbst 2011 im Auftrag des Branchenverbandes BITKOM herausgefunden hat, haben schon einmal online Nachrungsmittel eingekauft. In dieser repräsentativen Webumfrage kam auch heraus, dass sich etwa jeder dritte User zwischen 18 und 29 Jahren vorstellen kann, Lebensmittel online einzukaufen, bei den über 50-jährigen ist es noch jeder Zehnte. Männer zeigen sich aufgeschlossener für den Online-Lebensmittelhandel (13 Prozent) als Frauen (10 Prozent). "Der Kauf im Internet ist mittlerweile für immer mehr Kunden zur Selbstverständlichkeit geworden", sagt Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels (BVH).
Reine Web-Shops neben klassischen Supermarkt-KettenAngeboten werden Lebensmittel im Netz sowohl von klassischen Supermarkt-Ketten wie Edeka, Rewe oder Real als auch von reinen Web-Shops. Diese sogenannten Lebensmittel-Online-Einzelhändler haben im Frühjahr dieses Jahres einen eigenen Bundesverband (BVLO) gegründet. 16 Mitglieder zählt der Verband bereits. Sie haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam noch mehr Menschen zum Online-Einkauf zu bewegen. Alte Grabenkämpfe gebe es in dieser Branche nicht, so BVLO-Pressesprecher Max Thinius auf Anfrage der Deutschen Welle: "Es geht uns mehr um kollaborative Wirtschaftsgedanken, das ist weitreichender und hilfreicher, denn wir ziehen am selben Strang."
Zu den Gründungsmitgliedern des Verbandes zählt auch Allyouneed. Seit Mitte Mai bietet das Unternehmen deutschlandweit sein Sortiment an, mittlerweile mit 10.000 Produkten. Bis zum Jahresende sollen es 25.000 sein. Das Sortiment lagert in hohen Regalen in einer Halle in Staufenberg bei Kassel. Die Produkte werden dort je nach virtueller Einkaufsliste zusammengestellt, im eigenen Logistikzentrum in Pakete gesteckt und versandt. Zwischen Bestellung und Lieferung liegen 24 bis 48 Stunden.
Produkte sehen, anklicken und bestellen
Die Kunden können im Internet ihren Einkaufszettel ausfüllen oder aber mobil, also mit ihren Smartphones ihre Bestellung abgeben. "Unser Ziel ist es, das Leben der Menschen positiv zu verändern und ihren Alltag zu verbessern", sagt Max Thinius, der nicht nur die Pressearbeit für den Verband, sondern ebenfalls für Allyouneed macht. Insbesondere Familien würden das Angebot des neuen Online Supermarktes nutzen. Sie machen fast 40 Prozent des Kundenstamms aus.
"Etwa die Hälfte unserer Kunden lebt nicht in Ballungsgebieten und kann jetzt Produkte kaufen, die es in ihrer Region nicht gibt", sagt Thinius. Er kennt eine Familie, in der sich insbesondere die Kinder freuen, endlich mal andere Cornflakes und anderen Brotaufstrich zu essen. Allerdings hat sich das Internet-Unternehmen auf Trockenlebensmittel mit einer großen Auswahl an Bioprodukten spezialisiert. Obst, Gemüse oder Tiefkühlkost fehlen im Sortiment. "Viele Menschen haben Hemmungen, frische Produkte per Internet zu bestellen", so der Pressesprecher.
Viele Deutsche wollen Lebensmittel sehen und riechen
Und nicht nur das. Viele Verbraucher scheuen das Einkaufen im Netz, egal ob es um Brot, Milch, Marmelade oder Waschmittel geht. Das Marktforschungsinstitut GFK in Nürnberg hat erst im Mai 2012 herausgefunden, dass die Deutschen nicht gerne online ihre Lebensmittel einkaufen, sondern lieber wie früher "persönlich", sprich in richtigen Supermärkten. Lediglich jeder zehnte Bundesbürger habe schon einmal Lebensmittel, Getränke oder Drogeriewaren online bestellt. Im Jahr 2010 hat jeder Deutsche im Schnitt für rund zwei Euro Lebensmittel über das Internet bestellt, in Großbritannien waren es pro Kopf 82 Euro. Die sensorischen Eindrücke seien wichtig für die deutschen Verbraucher. "Online schmecken und probieren - das geht nicht", so die GFK.
Eine junge Familienmutter, die namentlich nicht genannt werden will, geht jeden Freitag einkaufen und hat ihren festen Einkaufsrhythmus. In dem einen Ort kauft sie erst beim Discounter ein, dann im Getränkehandel. Zuhause lädt sie alles aus, ehe sie in die nächstgelegene Kleinstadt fährt. Dort kauft sie die restlichen Lebensmittel in einem großen Supermarkt ein, meistens mit ihren drei Kindern zusammen, die sie zuvor aus der Schule abgeholt hat. "Sie helfen gerne, den Einkaufszettel abzuarbeiten und kaufen sich das ein oder andere selber, sei es die Pferdezeitschrift oder Star Wars Sammelkarten", sagt die Einundvierzigjährige. Für sie und ihre Familie ist Einkaufen immer ein Erlebnis, auf das sie nicht verzichten wollen.
Einkaufen im Netz - immer und überall
Vorteil im Internet: Die Läden dort haben rund um die Uhr geöffnet. Ein Nachteil: Der Mindestbestellwert bei Online-Supermärkten liegt bei etwa 30 Euro, frei Haus wird meistens ab einem Einkaufswert von 60 Euro geliefert. Im Vergleich zu den sechs Milliarden Euro Umsatz, den die Modebranche im Internethandel macht, backen die Online-Supermärkte kleine Brötchen: Gerade einmal 400 Millionen Euro wurden 2011 mit Lebensmitteln umgesetzt, das entspricht 0,4 Prozent des Branchenumsatzes so der Bundesverband des deutschen Versandhandels (BVH). In Großbritannien dagegen macht das Online-Geschäft schon 4,5 Prozent aus, denn die Briten achten laut BVH beim Lebensmitteleinkauf nicht so sehr auf den Preis.
Hoffnung ruht auf dem SmartphoneDennoch: Max Thinius vom Online-Supermarkt Allyouneed glaubt fest an ein Wachstum seiner Branche in den nächsten Jahren. Dabei setzt er auch auf das mobile Einkaufen, das heißt Einkaufen per Smartphone. Die Kunden brauchen beispielsweise nur auf Werbeplakaten und in Zeitungsanzeigen die kleinen Quick-Response-Codes (QR) der gewünschten Produkte mit ihrem Handy zu scannen und schon landet die Ware im virtuellen Einkaufskorb. Auch Christoph Wenk-Fischer vom Bundesverband des Deutschen Versandhandels sieht eine Zukunft für dieses Geschäftsmodell: "Jeder dritte Smartphone-Besitzer, das sind rund neun Millionen Kunden, kauft mittlerweile schon online mit dem Handy ein. Dass Mobile einer der wichtigsten Trends im interaktiven Handel ist, beobachten wir schon seit 2010."
Der Handel in Deutschland reagiert also auf die neuen technischen Möglichkeiten, die Internet und Smartphone bieten. Wie stark virtuelle Bestell-Listen und Shopping per Handy dem guten alten handgeschriebenen Einkaufszettel Konkurrenz machen werden, ist aber noch offen.