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Lebensraum als Labor

12. April 2010

Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben - und wie sollen unsere Städte aussehen? Schon seit 100 Jahren suchen Architekten darauf ganz konkrete Antworten. Unter anderem auf der IBA, der Internationalen Bauausstellung.

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Die Stuttgarter Weissenhofsiedlung, hier das Haus Scharoun (Foto: dpa)
Die Weißenhofsiedlung - ein Projekt der IBA in StuttgartBild: picture-alliance / dpa

Internationale Bauausstellung (IBA) – das klingt nach neuartigen Baggern, Presslufthämmern und anderem schwerem Baugerät in großen Messehallen. Aber die IBA hat mit einer normalen Messe oder Ausstellung nur sehr wenig zu tun. Sie ist vielmehr ein Experiment - mit Landschaften, Wohnräumen und den Menschen, die dort leben.

Bei einer Internationalen Bauausstellung geht es darum, Stadtteile, Städte oder ganze Regionen umzugestalten und weiterzuentwickeln, um den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen besser gerecht zu werden. Und weil das Ganze mehr sein soll, als eine einzelne stadtplanerische Umbau-Maßnahme, kümmert sich eine IBA um Probleme, die nicht nur eine bestimmte Region beschäftigen, sondern viele Orte in Deutschland oder anderen Ländern. Die ganz großen Themen in Sachen Zusammenleben also.

Das Ruhrgebiet - ein Experimentierfeld der IBA

Ein Beispiel: der Strukturwandel im Ruhrgebiet. Die Region ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt und lockt Menschen aus aller Welt an. Millionen von Besuchern kommen nach Duisburg, Essen und Co, um sich anzuschauen, wie aus ehemaligen Zechen und Stahlwerken Kulturzentren entstanden sind. Viele der Highlights und Spielorte sind aber keineswegs im Rahmen des Kulturhauptstadt-Programms gebaut worden, sondern bereits vor mehr als zehn Jahren, bei der Internationalen Bauausstellung Emscherpark. Von 1989 bis 1999 haben Stadtplaner, Architekten und Ingenieure entlang des Ruhrgebiets-Bächleins Emscher Industriestätten- und Brachen in Kulturinstitutionen umgewandelt und dabei genau das vorangetrieben, was heute unter dem Label "Strukturwandel" so mancher Industrieregion noch bevorsteht.

Landschaftspark Duisburg 1999 (Foto: dpa)
Der Landschaftspark Duisburg-Nord - entstanden im Rahmen der IBA Emscherpark (1989-1999)Bild: picture-alliance / dpa

Aber man kann weiter zurückgehen. Die Internationale Bauausstellung und deren Vorläufer gibt es schließlich schon seit über 100 Jahren. Angefangen hat alles in Darmstadt kurz nach der Jahrhundertwende. Damals, im Jahr 1901, hatte die Industrialisierung zu einer nie dagewesenen Verdichtung von Wohnraum geführt. Für innovative Architektur, für Baukunst schien es nur noch wenig Platz zu geben. Dagegen wollte die erste Internationale Bauausstellung (1901-1914) auf der Darmstädter Mathildenhöhe ein Zeichen setzen. Es entstand eine eigenständige Künstlerkolonie - mit höchst unterschiedlich gestalteten Jugendstil-Häusern, als Gegenkonzept zu anonymen Mietskasernen.

Avantgarde für reich und arm

Weiter ging es 1927 in Stuttgart. Dort realisierten die Heroen des Bauhauses, Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe ihre Ideen zum Wohnen der Zukunft. Das Ergebnis, die Weißenhofsiedlung mit ihrer minimalistischen Architektur, hat bis heute nichts von ihrer futuristischen Strahlkraft verloren. In Berlin planten dann 1957 Oscar Niemeyer, Alvar Aalto und wieder Walter Gropius im Rahmen einer IBA das Hansaviertel am Tiergarten. Ein Ensemble aus funktionalen Beton-Hochhäusern, das sich bis in die 1980er Jahre Stadtplaner in ganz Deutschland als Vorlage und Vorbild genommen haben. Anders als die ambitionierte Weißenhofsiedlung erscheint das Berliner Hansaviertel heute allerdings nicht mehr besonders avantgardistisch - sondern eben wie eine typische Nachkriegs-Plattenbau-Siedlung.

Hansaviertel in Berlin (Foto: dpa)
Klassische Moderne in Berlin - das HansaviertelBild: Picture-Alliance/Tagesspiegel

Wachstum durch Abriss

Zurzeit laufen in Deutschland gleich drei Internationale Bauausstellungen. Das vielleicht ambitionierteste Projekt beschäftigt ein ganzes Bundesland: Sachsen-Anhalt. Und es geht dabei weniger ums Bauen, als ums Abreißen. Denn wie viele Regionen in der ehemaligen DDR, hat Sachsen-Anhalt mit dem Problem der Abwanderung zu kämpfen. Es gibt zu wenig Arbeit – die Jungen ziehen weg, die Alten und die schlechter Ausgebildeten bleiben. Wohnungen stehen leer, Innenstädte sterben aus.

Seit 2003 beschäftigt sich nun die "Internationale Bauausstellung Stadtumbau" mit dem Schrumpfen. 19 Städte in Sachsen Anhalt machen mit – haben Industrieanlagen und Plattenbauviertel abgerissen und in Grünflächen, Skateparks oder Freiluftgalerien verwandelt.

Nachhaltige Veränderung

Was passiert, wenn eine Industrie verschwindet und eine verschandelte Landschaft zurück lässt – das ist das Thema, mit dem sich in Brandenburg seit 2000 die IBA-Fürst-Pückler-Land beschäftigt. Bis in die 1990er wurde in der Lausitz Braunkohle abgebaut. Geblieben ist eine Mondlandschaft aus verlassenen Tagebauten und Industrieresten. Seit knapp zehn Jahren wird diese Brache im Rahmen der IBA wieder zu einer Naturlandschaft umgebaut. Es wurden buchstäblich Berge versetzt, Seen angelegt und ehemalige Industriehallen umfunktioniert.

Bei der IBA Hamburg hingegen geht es um typische Großstadt-Phänomene: Zuwanderung, das Zusammenwachsen einzelner Stadtteile und auch den richtigen Umgang mit dem Klimawandel. Noch bis 2013 sucht die Stadt bei Konferenzen, Debatten und mit vielen kleinen Bauprojekten darauf Antworten. Eines ist aber auch bei den aktuellen Ausstellungen klar: was hier "ausgestellt" wird, bleibt den Bürgern für lange Zeit erhalten.

Autor: Manfred Götzke
Redaktion: Petra Lambeck