Lehren aus Ukraine-Krieg: EU präsentiert Rüstungsstrategie
5. März 2024Unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat die Europäische Union versucht, ihre Lehren zu ziehen und nun zum ersten Mal eine Strategie für die Rüstungsindustrie vorgelegt. Diese soll nach dem Beginn der Invasion ad hoc ins Leben gerufene Programme ablösen und die Leistungsfähigkeit der europäischen Rüstung längerfristig gewährleisten.
Eine europäische Strategie sei insbesondere deshalb notwendig, um einer Fragmentierung innerhalb der Branche entgegenzutreten, hieß es in Brüssel. Unter diesem Stichwort versteht man, dass alle 27 Mitgliedstaaten der EU ihre Armeen selbständig mit Waffen ausstatten, die häufig nicht miteinander operabel sind und dass sie ihre gemeinsame Kaufkraft nicht bündeln. Außerdem führe die Fragmentierung dazu, dass es keinen Wettbewerb unter den Anbietern gebe, führte EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager am Dienstag in Brüssel aus.
"Dies führt zu massiver Ineffizienz und einer ineffizienten Nutzung von Steuergeldern. Außerdem geben die Mitgliedstaaten Geld aus für viele verschiedene Typen von Ausrüstung," betonte Vestager bei der Pressekonferenz. So gebe es manchmal bis zu fünf Arten einer Waffe.
Mit der neuen Strategie soll garantiert werden, dass die europäische Rüstungsindustrie schneller, besser und gemeinsam produzieren könne, sagte Thierry Breton, der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar, bei der Veranstaltung. Dafür schlägt die EU-Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor.
Gemeinsame Beschaffung von Waffen soll zur Norm werden
Zentral ist der Vorschlag, dass in Zukunft die gemeinsame Beschaffung von Waffen die Regel sein soll. Dafür soll ein neues Gremium eingerichtet werden, das aus der Kommission, dem Außenbeauftragten, dem Chef der Europäischen Verteidigungsagentur und den Mitgliedstaaten bestehen soll. Dessen Aufgabe soll es sein, Bedarfe der Mitgliedstaaten beim Waffenankauf zu ermitteln und eine Koordinierung zu ermöglichen. Außerdem soll es für Rüstungskooperationen gemeinsame Beschaffungsregeln, Steueranreize und EU-Gelder geben. Auch die Ukraine soll in die Pläne mit einbezogen werden. Insgesamt stellt die EU-Kommission 1,5 Milliarden Euro für die Jahre 2025 bis 2027 in Aussicht, um die europäische Rüstungsindustrie anpassungsfähiger zu machen. Zudem bestehe die Möglichkeit, Gewinne aus den in der EU liegenden russischen Geldern für die Unterstützung der Ukraine zu nutzen. Als Erfolgsindikator legt die EU-Kommission fest, dass bis 2030 mindestens 40 Prozent der Rüstungsgüter gemeinsam beschafft werden sollen.
Dick Zandee, Senior Research Fellow am niederländischen Clingendael-Institut für internationale Beziehungen, hält das für recht ambitioniert, gerade mit Blick auf die Zahlen aus den vergangenen Jahren. So seien es 2021 beispielsweise rund 18 Prozent der Rüstungsprodukte gewesen, welche die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam gekauft hätten. Bereits 2007 hätten sich die Mitgliedstaaten das Ziel von 35 Prozent gesetzt.
Mehr europäische Waffen
Vor allem geht es aber auch um die Menge an Waffen, die europäische Länder außerhalb der EU kaufen. Nach Angaben von Vizepräsidentin Margrethe Vestager haben die EU-Mitgliedstaaten vom Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine bis zum Juni 2023 mehr als 100 Milliarden Euro für Rüstungsgüter ausgegeben. Davon seien fast 80 Prozent außerhalb der EU ausgegeben worden und 60 Prozent seien an US-amerikanische Hersteller gegangen. Bis 2030 sollen mindestens 50 Prozent der für Rüstungsgüter aufgewendeten Mittel der Mitgliedstaaten innerhalb der EU ausgegeben werden und bis 2035 sollen es 60 Prozent sein. Dabei geht es der EU-Kommission auch um eine stärkere Unabhängigkeit der europäischen Rüstung. "Ungeachtet der Wahldynamik in den USA müssen wir mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen", sagte Margrethe Vestager mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Donald Trumps im November. Gleichzeitig bleibe man der NATO gegenüber in der Pflicht.
Diese Zielvorgaben dürften unter den Mitgliedstaaten umstritten sein. So wies Pia Fuhrhop von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit der DW darauf hin, dass viele osteuropäische Staaten, aber auch Deutschland und Italien, traditionell enge Rüstungsbeziehungen zu den USA hätten. Neben dem Camp der Skeptiker gebe es aber auch Staaten, die sich für Beschaffungs-Alternativen innerhalb des EU-Binnanmarktes einsetzen würden, betonte Fuhrhop.
Wie vielversprechend ist die Strategie?
Die europäische Rüstungsindustrie begrüßt das Vorhaben der EU-Kommission jedenfalls. "Wir unterstützen das Ziel der Kommission, die Verteidigungsbereitschaft Europas zu verbessern, voll und ganz und begrüßen, dass die Strategie den Schwerpunkt auf die europäische Verteidigungsindustrie legt, um diese zu fördern", erklärte Jan Pie, Generalsekretär des Unternehmerverbandes "Aerospace, Security and Defence Industries Association of Europe" in einem Statement. Doch für den Erfolg der Strategie komme es auf die Mitgliedstaaten an.
Die Mitgliedstaaten müssen nicht nur im Rahmen des bevorstehenden Gesetzgebungsverfahrens für das Gesetz stimmen, mit dem die Strategie umgesetzt wird, sondern ihr später auch Leben einhauchen. Es liege an dem Willen der Mitgliedstaaten, welche die Entscheidungsgewalt im Bereich der Verteidigung hätten, ob sie bereit seien, ihre militärischen Planungen nebeneinanderzulegen und sich auf gemeinsame Standards zu einigen, erklärte Pia Fuhrhop.
Dick Zandee erwartet, dass die Strategie von den Mitgliedstaaten gut angenommen wird, da diese im Vorfeld in der Ausarbeitung mit eingebunden waren. Allerdings könnte es noch dauern, bis das Gesetz tatsächlich verabschiedet ist.