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Leipzig will raus aus der Kohle - mit Erdgas

Jennifer Stange Leipzig
20. März 2020

Die Stadt Leipzig will raus aus der Kohle. Das hatte der Oberbürgermeister öffentlichkeitswirksam auf der Klimakonferenz 2018 in Katowice verkündet. Die Umsetzung ist alles andere als einfach.

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Blick zum Kohle-Kraftwerk Lippendorf südlich von Leipzig
Bild: picture-alliance/SvenSimon/F. Hoemann

Bis ins Stadtzentrum sieht man die über 160 Meter hohen Kühltürme des Dampfkraftwerks im 15 Kilometer entfernten Lippendorf. Aus ihren riesigen Öffnungen quellen stetig weiße Wolkenbündel und ziehen weiter über den Horizont der Leipziger Tieflandbucht (siehe Artikelbild) - Industrie-Charme vom Feinsten.

Auf der Liste der gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerke Deutschlands, die Greenpeace 2015 veröffentlichte, rangiert das Kohlekraftwerk Lippendorf auf Platz drei. Die Anlage steht in der Kritik, weil sie große Mengen an Stickstoffoxiden, Schwefeloxiden, Quecksilber und Feinstaub ausstößt. Fünfzig bis siebzig Prozent Heizkraft wird von hier über kilometerlange Rohre in Leipzigs Fernwärmenetz geliefert. Die 600.000-Einwohner-Stadt Leipzig im Freistaat Sachsen will die Verträge mit dem Kohlekraftwerk zum Ende 2022 auslaufen lassen.

Klimaziele deutlich verfehlt

Zukünftig soll das Fernwärmenetz mit Erdgas beheizt und dafür sogar ein neues Kraftwerk gebaut werden. Mitten in der Stadt, südlich des Zentrums, wo heute noch die Backsteinruinen eines alten Kohlekraftwerks stehen. "So wird die Stadt auch ihre neuen Klimaziele verfehlen", prophezeit der Physiker Ralf Wendt, der eine Onlinepetition gegen das Kraftwerk initiiert hat. Im vergangenen Jahr hat der Leipziger Stadtrat den Klimanotstand ausgerufen, weil klar war, man würde die Klimaschutzziele gemäß des Pariser Abkommens deutlich verfehlen. Die neuen kommunalen Ziele sind eine klimaneutrale Energie- und Fernwärmeversorgung bis 2040.

Auf dem Gelände dieses alten Kraftwerks soll das neue Gaskraftwerk entstehen
Auf dem Gelände dieses alten Kraftwerks soll das neue Gaskraftwerk entstehenBild: DW/J. Stange

Thomas Brandenburg, gelernter Maschinenbauer und bei den Leipziger Stadtwerken verantwortlich für die Technik hinter der Energiewende, steht zu diesem Ziel: "Natürlich wird man in diesen Turbinen nicht nur fossiles Methan, also Erdgas verbrennen. Grünen Wasserstoff werden wir ab Tag Eins ebenso verarbeiten können. Die Hersteller, die uns Turbinen angeboten haben, haben versichert, dass die Maschinen bis 2030 wasserstofffähig sind." Und zwar zu einhundert Prozent. Welche Unternehmen im Rennen sind, will Brandenburg nicht sagen. Das Genehmigungsverfahren für das Gaskraftwerk in Leipzig läuft noch, doch schon im Sommer soll der erste Spatenstich gesetzt werden.

Zukunft "grüner Wasserstoff" 

Auch die Frage, wo der synthetische Kraftstoff herkommen soll, der perspektivisch das Erdgas ersetzen würde, muss offen bleiben. Noch wird er nicht in ausreichender Menge hergestellt und der erneuerbare Wasserstoff kostet etwa das Zehnfache von Erdgas. Er entsteht per Elektrolyse, kann zu Methan weiterverarbeitet werden und so im Leipziger Turbinenkraftwerk als Treibstoff dienen. Klimaneutral ist der "grüne Wasserstoff" allerdings nur, wenn er mittels erneuerbarer Quellen, also Wind- und Solarenergie, produziert wird. Die Kapazitäten dafür müssen laut Experten noch geschaffen werden.

Erdgas als Brückentechnologie?

Erdgas gilt als Brückentechnologie - und das sei falsch, sagt Physiker Wendt. Bei der Verbrennung habe Erdgas zwar eine höhere Energieeffizienz als Kohle, würde man aber Gewinnung, Verarbeitung und Transportwege einrechnen, "schrumpft diese Differenz deutlich". Thomas Brandenburg von den Leipziger Stadtwerken ist da anderer Meinung: "Wir haben uns viele unterschiedliche Studien und auch die ganze Lieferkette angeschaut, und gehen davon aus, dass wir mit dem Gaskraftwerk die Kohlendioxid-Emissionen halbieren werden."

Erdgas ist effizienter als Kohle und bei der Verbrennung entstehen weniger Treibhausgase, das ist unter ExpertInnen unstrittig. Eine Studie der Energy Watch Group aus 2019 kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass gerade beim Erdgas-Fracking viel Methan freigesetzt werde. Anna Schüler von der Berliner NGO Powershift teilt diese Bedenken: "Man kann nur hoffen, dass Leipzigs Energiewende nicht beim Erdgas hängen bleibt." Die Entscheidung der Stadt für Gas, da stimmt Schüler mit Physiker Wendt überein, habe vor allem ökonomische Gründe. Der Bau von Gaskraftwerken wird nämlich staatlich gefördert. Dieselbe Summe soll bis 2023 in eine Solarthermie-Anlage und ein Biomasse-Kraftwerk fließen, weitere Anlagen werden dazu kommen, so Brandenburg.

Noch bewegt sich nicht viel auf der künftigen Baustelle
Noch bewegt sich nicht viel auf der künftigen BaustelleBild: DW/J. Stange

Stadtrat für Kraftwerkbau

Trotz berechtigter Bedenken beim Erdgas und Ungewissheiten, die den "grünen Wasserstoff" betreffen, sieht es nicht so aus, als könnte Ralf Wendts Onlinepetition noch Erfolg haben. Bürgermeister Jung von der SPD sitzt mit im Aufsichtsrat der Leipziger Stadtwerke und hat den aktuellen Kurs genauso abgenickt wie der rot-rot-grüne Stadtrat. Selbst Sophia Kraft, energiepolitische Sprecherin der Grünen, ist für den Bau, wenn auch zähneknirschend: "Dadurch, dass die Stadt es leider in den letzten Jahren verpasst hat, mehr in erneuerbare Energien zu investieren, müssen wir jetzt auf Erdgas setzen."

Der Leipziger Abgeordnete der Partei Die Linke im sächsischen Landtag sagt, nichts sei so dreckig und schädlich, wie die sauberste Braunkohle. Leipzig könne dafür sorgen, dass das Kohlekraftwerk Lippendorf vor 2038 vom Netz geht, also früher als die Kohlekommission geplant hat. "Wenn jetzt Leipzig noch als Einnahmequelle wegfällt, gehen wir davon aus, dass zwei, drei Jahre nach dieser Entscheidung das Kraftwerk so unrentabel ist, dass es dicht gemacht wird. Damit hätte Leipzig aktiv zum Kohleausstieg beigetragen."