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Leipziger Buchmesse: Absage mit Nachhall

Julia Hitz
16. Februar 2022

Es ist wegen Omikron, sagen die Buchmessen-Veranstalter. Es ist ein schlechtes Zeichen für den deutschen Buchmarkt und den Osten, sagen andere.

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Ein Mann spricht bei der Leipziger Buchmesse 2019 vor vielen Kindern in ein Mikrofon.
Die guten alten Zeiten: die Leipziger Buchmesse 2019Bild: Jens-Ulrich Koch/Leipziger Buchmesse

In Deutschland reißen die Diskussionen nicht ab: Haben die großen Verlage aus West-Deutschland die Leipziger Buchmesse aus purer Missachtung fallen gelassen? Ist dies der Anfang vom Ende DER Buchmesse im Osten, der zweitgrößten in Deutschland?

Mittlerweile hat sich auch die deutsche Kulturpolitik in Gestalt der Kulturstaatsministerin Claudia Roth eingeschaltet und bittet die Verantwortlichen zum Zukunftsgespräch. Unter all dem wabern zwei Fragen, deren Beantwortung den deutschen Büchermarkt in den nächsten Jahren beschäftigen werden müssen: Wie ist ein Gleichgewicht zu halten zwischen unabhängigen Literaturverlagen und den großen Verlagen? Und: Welche Rolle spielt ostdeutsche und osteuropäische Literatur? Vielleicht sind beide Fragen auch so zusammenzufassen: Wer steht wie dafür ein, die Vielfalt im deutschen Literaturbetrieb aufrechtzuerhalten - oder sie gar zu erweitern?

Absage einer Buchmesse - die Chronologie

Doch was ist eigentlich passiert? Die Corona-Pandemie hat allen wichtigen deutschen Buchmessen zugesetzt: Während die Frankfurter Buchmesse 2020 auf eine digitale und 2021 auf eine besucherbeschränkte hybride Variante auswich, musste die Leipziger Buchmesse zweimal hintereinander abgesagt werden. Im März 2020 stand die ganze Bundesrepublik auf einmal still, 2021 wurde auf den Mai verschoben, dann aber auch abgesagt, weil die Corona-Zahlen in Deutschland noch immer hoch waren. Immerhin fand das Literaturfestival "Leipzig liest" statt.

Der Direktor der Leipziger Buchmesse, Oliver Zille, blickt ernst in die Kamera und hat seine linke Hand am Mund.
Buchmessendirektor in Leipzig: Oliver ZilleBild: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

Für 2022 entschied das Buchmessen-Team sich für das Risiko, ohne Plan B. Doch dann kam die hochansteckende Omikron-Variante. Obwohl noch im Januar 75 Prozent der Aussteller ihre Teilnahme versicherten, kam es innerhalb kurzer Zeit danach zu einer Absagewelle. "Das waren kleine und große Aussteller", betont Buchmessen-Direktor Oliver Zille gegenüber DW. "Alle hatten mit Ausfällen zu kämpfen, Schwierigkeiten die Messe personell zu besetzen, waren besorgt wegen den ansteigenden Zahlen und den Unwägbarkeiten."

"Vielfalt des Buchmarkts konnte nicht abgebildet werden"

Während die Omikron-Welle weiter anstieg, stieg auch die Zahl der Absagen. In dieser Gemengelage musste Zille eine Entscheidung treffen. "Es war einfach nicht möglich, die Messe so zu organisieren, dass die Vielfalt des deutschen Buchmarkts - und das ist unser Anspruch - angemessen abgebildet werden konnte", sagt er und verkündete demzufolge am 9. Februar die Absage.

Doch seitdem brodelt und rumort es in der deutschen Kulturlandschaft. Alte Konflikte brechen auf und werden debattiert - von Verlagen, Medien, Autorinnen und Autoren.

Warum ausgerechnet Leipzig?

Vergleiche mit der nicht abgesagten Kinderbuchmesse in Bologna oder der Book Fair in London hinken, so Zille. "Das sind Fachmessen, in Bologna kommen gesamthaft vielleicht 25.000 Besucher. So viele haben wir an einem Tag. Bei Lesefestivals kann man besser Abstand halten. Aber wir sind eine Publikumsmesse, bei uns geht es um die direkte Begegnung."

Eine Frau liest mit Mundschutz ein Buch vor einem Bücherregal bei der Frankfurter Buchmesse 2021
Die Frankfurter Buchmesse fand 2021 statt - unter Auflagen und limitierten BesucherzahlenBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Ost vs. West?

Einige deutsche Medien unkten bereits über das Anfang vom Ende der Leipziger Buchmesse, sahen die Marktmacht im Westen siegen, über einen - wieder mal - übervorteilten Osten. Die Reduktion auf innerdeutsche Befindlichkeiten aber findet Oliver Zille verkürzt, "die Vehemenz hat mich eher überrascht", sagt der gebürtige Leipziger. Daraus sei die Leipziger Buchmesse schon lange herausgewachsen. Die Bedeutung der Leipziger Buchmesse für osteuropäische Literatur, ja für gesellschaftspolitische Debatten, gehe doch viel weiter, so Zille.

Die Kleinen gegen die Großen?

"Sie (die Absage, Anm. d. Red.) ist ein schwerer Schlag gegen die Kulturlandschaft und zeugt von gesellschaftspolitischer Kurzsichtigkeit", kritisiert etwa das Aktionsbündnis "Verlage gegen Rechts". In ihm sind 80 Verlage und Einzelpersonen zusammengeschlossen. Besonders aufgestoßen ist die Formulierung der Pressemitteilung, dass durch die plötzlichen Stornierungen einiger großer Verlage und Verlagsgruppen "die erwartete Qualität und inhaltliche Breite nicht mehr gewährleistet" sei. So wird in dem offenen Brief des Aktionsbündnisses die Frage gestellt: "Wird allen Ernstes ökonomische Masse mit Qualität gleichgesetzt, um die weniger großen Akteure auf dem Buchmarkt als irrelevant abzutun?"

Verschiedene Bücher der Penguin Random House Verlagsgruppe auf einem Büchertisch aus der Vogelperspektive bei der Frankfurter Buchmesse 2021
In der Kritik: die Penguin Random House VerlagsgruppeBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Mehrere Autorinnen und Autoren haben sich zu einer Petition zusammengeschlossen. "Macht die Buchmesse auf" forderten zwei Dutzend in einem offenen Brief, darunter Gregor Sander, Katja Oskamp, Peter Wawerzinek, Julia Schoch, Sabine Rennefanz, Thomas Lang, Christian Baron, Lea Streisand und Bov Bjerg. Gerichtet ist der Brief nicht nur an die Organisatoren der Leipziger Buchmesse, sondern auch an die großen Verlagsgruppen Penguin Random House, Holtzbrinck und Bonnier. Während große Verlagsgruppen, darunter Oetinger und Penguin Random House, ihre Teilnahme abgesagt hätten, habe die Kurt Wolff Stiftung, die Interessensvertretung der unabhängigen Verlage, an der Buchmesse festgehalten.

Perspektiven entwickeln

Doch Oliver Zille widerspricht dieser Erzählung. "Bei uns war es keine Frage von Groß oder Klein", sagt er. "Die Messeorganisation gegen diese ansteigende Welle war so einfach nicht mehr machbar". Dass seitdem die Diskussionen so heiß laufen, hat ihn selbst überrascht.

Zille sieht inzwischen auch Positives darin: "Wenn etwas Gutes dabei ist - bei aller Not und Schwierigkeit -, dann die vielstimmige Bestätigung, wie dringend wir gebraucht werden." Die Debatte könnte sich nun durchaus in etwas Produktives wandeln, denn dass es grundsätzlichen Redebedarf gebe, sei klar geworden. Einen Auftakt könnte das Zukunftsgespräch mit der Kulturstaatsministerin sein.