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Leipziger Buchpreis geht an Natascha Wodin

Sabine Peschel
23. März 2017

Vier Tage lang ist die Messestadt Leipzig wieder ein Mekka für Bücherfreunde und Literaturinteressierte. Heute wurde der hochdotierte Leipziger Buchpreis verliehen: Zum ersten Mal gleich an drei Frauen.

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Buchmesse Leipzig Natascha Wodin
Autorin Natascha Wodin nach der Preisverleihung auf der Buchmesse in Leipzig Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Publikumswirksamer Auftakt war am Donnerstag (23.03.2017) die Verleihung des diesjährigen Buchpreises der Leipziger Buchmesse, hochdotiert mit insgesamt 60.000 Euro. Jeweils fünf Kandidaten sind in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung nominiert gewesen.

Gewinnerin in der Sparte Belletristik ist die Autorin Natascha Wodin. Sie erhält die Auszeichnung, die mit 20.000 Euro dotiert ist, für ihren Roman "Sie kam aus Mariupol" (Rowohlt). Die Auszeichnung war für Wodin eine große Überraschung: "Ich bin sehr glücklich über diesen Preis, weil ich glaube, dass er einem Buch dazu verhelfen kann, Leser zu bekommen. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen von den Ausmaßen der Zwangsarbeit im Deutschen Reich erfahren. Und von dem Schicksal der Millionen von der Kriegsindustrie verschlissenen Arbeiter, die danach in der Regel kein Leben mehr gefunden haben. Meine Mutter war eine von ihnen. Sie hat hier in Leipzig bei einem Rüstungsbetrieb des Flick-Konzerns gearbeitet."

Schmerzhafte Nachkriegsgeschichte

Preisverleihung Leipziger Buchmesse Belletristik
Preisverleihung in Leipzig in der Sparte "Belletristik"Bild: DW/S.Peschel

"Dieses Buch ist nicht aus einem Guss, weil es angesichts der Brüche des 20. Jahrhunderts gar nicht aus einem Guss sein kann", sagt Laudator Gregor Dotzauer. "Dieses Buch trägt nicht die Bezeichnung 'Roman'. An der Grenze von Fiktion und Nicht-Fiktion betreibt es autobiographisches Schreiben in einem hohen Maß an Selbstreflexion, und romanhaftes Schreiben auf der Grundlage von Lidias Tagebüchern (Wodins Tante, Anm. d. Red.)", so die Begründung der Jury.

Als Kind nach 1945 verschleppter sowjetischer Zwangsarbeiter wurde Wodin im fränkischen Fürth geboren. Sie ist in einem Lager für "Displaced Persons" aufgewachsen. Natascha Wodin war zehn, ihre jüngere Schwester gerade erst vier, als die Mutter in den Fluss ging. Nach dem Selbstmord der Mutter kommen die Kinder in ein katholisches Mädchenheim, sind völlig heimatlos. "Ich wusste nur, dass ich zu einer Art Menschenunrat gehörte, zu irgendeinem Kehricht, der vom Krieg übrig geblieben war", schreibt sie in ihrem Buch.

Nach einer harten Zeit als Obdachlose schlägt sich die junge Frau als Telefonistin und Stenotypistin durch, bis sie Anfang der 1970er Jahre eine Ausbildung als Übersetzerin machen kann. Sie gehört zu den ersten Dolmetschern, die nach Abschluss der Ostverträge für deutsche Firmen in die Sowjetunion reisen. Später übersetzt sie russische Literatur ins Deutsche, seit 1980 arbeitet sie als freie Schriftstellerin. Die schmerzhafte Suche nach den Spuren ihrer Mutter hat der 71-jährigen Autorin jetzt den Preis der Leipziger Buchmesse eingebracht. "Von mir aus könnte jetzt Schluss sein", sagt Natascha Wodin in Leipzig. 

Starkes Interesse an historischen Stoffen

Buchmesse Leipzig - Barbara Stollberg-Rilinger
Expertin für Historisches: Barbara Stollberg-RilingerBild: picture alliance/dpa/H. Schmidt

Der Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Sachbuch/Essayistik geht in diesem Jahr an Barbara Stollberg-Rilinger für ihr Buch "Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit" (C.H. Beck). Das Werk erzähle auf neue und ungewöhnliche Weise das Leben einer der mächtigsten Frauen der Geschichte, hieß es in der Begründung der Jury für die Preisträgerin. 

Die Autorin zeigte sich erfreut, dass man sich wieder für das 18. Jahrhundert interessiere: "Ich glaube, es gibt eine ganze Menge guter Gründe, sich mit diesem Jahrhundert und dieser Person der Maria Theresia zu befassen, denn auch in diesem Jahrhundert geht es um sowas wie Schließung der Balkangrenze, oder um religiöse Intoleranz - also, eine ganze Menge Aktualitätsbezüge." Stollberg-Rilinger (Jahrgang 1955) lehrt als Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster. 

Außergewöhnliche Übersetzung aus dem Chinesischen

Der Preis für die beste Übersetzung geht an Eva Lüdi Kong für ihre Übertragung aus dem Chinesischen des Buchs "Die Reise in den Westen" (Reclam) - geschrieben von einem unbekannten Verfasser. Das Buch sei eines der großen Werke der chinesischen Literatur, so die Jury. Die Geschichte vom Affenkönig, der sich zu einer abenteuerlichen Fahrt aufmacht, um die Schriften Buddhas zu holen, sei jetzt auch für uns zugänglich, hieß es in der Begründung.

Buchcover Die Reise in den Westen
Ausgezeichnete ÜbersetzungBild: Reclam Verlag

Laudator Burkhard Müller hob ausdrücklich die kulturhistorische Leistung der Übersetzerin hervor: "Die vor 400 Jahren von einem uns unbekannten Autor verfasste 'Reise in den Westen' ist das wohl populärste Buch der chinesischen Literatur. Und dieses Buch hat es bisher auf Deutsch nicht gegeben. Mit diesem Buch haben Sie den deutschen Lesern und Leserinnen ein großes Geschenk gemacht." Eva Lüdi Kong (Jahrgang 1968) hat 25 Jahre in China gelebt, arbeitete dort in Lehre und Forschung und widmet sich bis heute vorrangig der Übersetzung und Kulturvermittlung.

Die "Reise in den Westen" sei ein sehr aufwendiges Buch gewesen, sagt Karl-Heinz Fallbacher, der Vertriebsleiter des Reclam-Verlages, der die preisgekrönte Übersetzung auf den deutschen Buchmarkt gebracht hat, im DW-Interview. "Wir haben einen Lektor im Haus, der eigentlich Anglist und Romanist ist, aber lange in China gelebt und ein großes Faible für China insgesamt hat. Er hat diesen Band an Land gezogen, im Verlag durchgesetzt und auch betreut."

Buchmesse startet mit großen Besucherandrang

Auf der traditionsreichen Leipziger Buchmesse, die gleich mit einem starken Besucherandrang losging, präsentieren sich in diesem Jahr knapp 2500 Aussteller und Buchverlage aus 43 Ländern. Im vergangen Jahr nutzten 260.000 Buchinteressierte in Leipzig die Möglichkeit, mit Autoren, Literaturagenten und Verlagen ins Gespräch zu kommen. Im Gegensatz zur Buchmesse Frankfurt sind Besucher an allen Messetagen zugelassen.