Halbleiter für den Netzausbau
24. Februar 2014Deutschland plant große Gleichstromtrassen, um Energie elektronisch steuerbar vom Norden in den Süden zu bringen. Die Möglichkeit, Strom über weite Strecken zu schicken, und dies bedarfsgerecht zu steuern, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Energiewende.
Die meisten Stromnetze arbeiten allerdings noch mit Wechselstrom. Dieser hat sich Ende des 19. Jahrhunderts aus allerlei praktischen Gründen durchgesetzt: Seine Spannung lässt sich zum Beispiel leicht mit herkömmlichen Transformatoren an den jeweiligen Bedarf anpassen. So kann man für die größeren Distanzen im Netz Spannungen von mehreren hunderttausend Volt nutzen, diese aber für den Endverbraucher leicht auf die benötigten und sicheren Spannungen von 230 Volt (wie in Europa) oder 110 Volt (in Amerika) heruntersetzen.
Ein weiterer praktischer Vorteil des Wechselstroms: Er ist mit einfachen, mechanischen Schaltern gut abschaltbar. Muss man beispielsweise einen defekten Teil des öffentlichen Hochspannungsstromnetzes abtrennen, reicht es aus, einen mechanischen Schalter zu betätigen - und der Strom geht aus.
Gleichstrom-Problem: Lichtbögen
"Bei Gleichstrom ist das Abschalten viel schwieriger", erklärt Rainer Marquardt, Professor für Leistungselektronik an der Universität der Bundeswehr in München. "Es gibt praktisch keine mechanischen Leistungsschalter, mit denen man größere Gleichströme bei höheren Spannungen unterbrechen kann", sagt der Erfinder. Beim mechanischen Abschalten tritt nämlich ein Lichtbogen auf - eine Art Feuerball, welcher die Unterbrechungsstelle überbrückt.
Schon bei recht niedrigen Spannungen - von wenigen tausend Volt - sind mechanische Schalter nicht mehr in der Lage, diesen Feuerball zu löschen und den Stromkreis zu unterbrechen. Mehrere Forschungsinstitute haben sich deshalb mit der Entwicklung elektronischer Leistungsschalter befasst. Diese nutzen Leistungstransistoren - also Halbleiter - um den Schaltvorgang durchzuführen. Sie funktionieren ähnlich wie moderne Konverter - also elektronische Umformer - die zum Beispiel Wechsel- in Gleichstrom umwandeln können.
"Die Firma ABB hat bereits Daten einer solchen Schaltervariante veröffentlicht", beschreibt Professor Marquardt den Stand der Entwicklung. "Auch in unserem Institut haben wir einen Prototyp. Der Unterschied zwischen beiden liegt im Wesentlichen in der Elektronik." Bei Wechselstrom tritt diese Problematik nicht auf, da der Strom bei 50 Hertz hundertmal pro Sekunde von selbst durch null geht.
Gleichstrom ist ideal für Fernübertragung
Dennoch ist der Gleichstrom für die Zukunft das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, Strom über lange Distanzen zu transportieren: Er überträgt die Energie viel verlustfreier als Wechselstrom. Das liegt an störenden Nebeneffekten, die sich bei Wechselstrom innerhalb des Leitungsnetzes abspielen, bei Gleichstrom aber nicht.
Zunächst sind das die Stromverdrängungseffekte: "Wechselstrom nutzt den Querschnitt des Kabels nicht ganz vollständig aus. Er erzeugt ein elektromagnetisches Feld, und dieses drängt den Strom nach außen", erklärt Marquardt. "Dadurch fließt im Kern des Leiters weniger Strom und im Außenbereich mehr. Der Leiter wird nicht mehr optimal genutzt und die Energieverluste sind erhöht."
Außerdem benötigt Wechselstrom immer mindestens drei Leitungen, wenn störende Leistungspulsationen vermieden werden sollen. Es gibt deshalb in der Regel drei Wechselstrom-Leitungen, in denen die Schwingung jeweils um 120 Grad verschoben ist - der sogenannte Drehstrom. "Bei Gleichstrom genügen zwei Leitungen ohne dass die Leistung und das erzeugte magnetische Feld pulsieren."
Wechselspannung verstopft Erdkabel
Will man Wechselstrom durch Erdkabel oder Unterseekabel schicken, kommt noch ein weiterer störender Effekt hinzu: die Kapazität des Kabels. Man kann sich diesen Effekt wie bei einem Plattenkondensator vorstellen, den mancher noch aus dem Physikunterricht kennen mag: Zwei große Metallplatten stehen nebeneinander, dazwischen bildet sich ein elektrisches Feld. Die Platten können Strom für kurze Zeit speichern. Je größer die Kondensatorplatten, desto größer ist ihre elektrische Speicherkapazität.
Bei Erd- und Unterseekabeln passiert dasselbe: Die Abschirmung, die das Kabel umgibt, oder der Außenleiter des Kabels, bilden zusammen mit dem zweiten Leiter einen riesigen Plattenkondensator. Durch die Wechselspannung kommt es zu ständigen Lade- und Entladeprozessen genau im Takt der Netzfrequenz von beispielsweise 50 Hertz.
"Auf diese Weise entstehen bei Wechselspannung Ströme, die das Kabel so stark belasten, dass kaum noch Nutzstrom übertragbar ist. Mit der Gleichstromtechnik werden hingegen erstmals auch längere Erdkabelverbindungen vernünftig realisierbar. So können Wohn- und Landschaftsschutzgebiete geschont werden", sagt Marquardt, "es ist von einem technischen zu einem eher finanziellen Problem geworden wie umfassend dies genutzt wird." Jedenfalls sei die Möglichkeit der Erdverlegung ein weiterer Vorteil der Gleichstromtechnik.
Moderne Leistungselektronik bringt den Durchbruch
"Im Grunde weiß man schon seit über 100 Jahren, dass hochgespannter Gleichstrom die beste Technik für effiziente verlustarme Energieübertragung über weite Distanzen ist", sagt Marquardt. "Aber es gab bis vor kurzem unüberwindbare technische Probleme bei der Umsetzung." Insbesondere die Konverter-Stationen, welche möglichst verlustfrei Wechselstrom in Gleichstrom und zurück umwandeln müssen, schienen lange Zeit der technologische Engpass zu bleiben.
Zwar gibt es Halbleiter-Konverter schon seit den 1970er Jahren (auf Grundlage sogenannter Thyristoren), diese waren aber schwer steuerbar. Seit etwa 20 Jahren hat die Entwicklung moderner Halbleiter dann mit der Einführung sogenannter IGBT-Leistungstransistoren einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Diese konnten das Netz stabilisieren. Ihre Schwächen waren aber unzureichende Störpegel und Energieverluste, deshalb kamen sie nur als Ergänzung zu den Thyristoren in Frage.
"Den großen Durchbruch brachte vor circa zehn Jahren die Entwicklung einer neuen Klasse von Multilevel-Konvertern, welche erstmals die extrem hohen technischen als auch alle industriellen Anforderungen erfüllen konnten", sagt Marquardt, der selbst die heutigen modularen Multilevel-Konverter erfunden und eingeführt hat.
Ein derartiger Konverter enthält tausende von Transistoren, welche jedoch wesentlich größer und leistungsfähiger sind, als Transistoren in Radios oder Computer-Chips. Er behält seine volle Funktionsfähigkeit - aufgrund seiner modularen Struktur - auch bei Defekten einzelner Transistoren, sodass er extrem zuverlässig arbeitet.
Und die neue Technologie kann noch viel mehr: Sie ist in der Lage, schwache Drehstrom-Netze in einem Radius von etwa 200 Kilometern um Konverter-Stationen zu stabilisieren. Kurzschlüsse und andere Fehlerfälle im Gleichstromnetz kann sie innerhalb von Millisekunden elektronisch beherrschen. Kommt es zu solchen Störungen, bemerken die Verbraucher im Drehstromnetz das praktisch nicht mehr.
Der größte Vorteil der modernen Hochspannungs-Gleichstromübertragung liegt aber darin, dass sie ein altes technisches Problem löst: Elektrische oder mechanische Energie lassen sich schlecht speichern, gerade wenn es um große Energiemengen geht - wie sie für den Erfolg der Energiewende entscheidend sind.
"Batterien, Stauseen oder Schwungräder sind nicht wirklich befriedigend", sagt Marquardt. Versucht man hingegen, die Elektrizität zunächst in chemische Energieträger, wie Wasserstoff bzw. daraus in Erdgas umzuwandeln, gehen etwa zwei Drittel der Energie verloren. "Da sind leider die Naturgesetze in unserem Universum gegen uns", sagt er und lacht. "Deshalb ist die effiziente Fernübertragung elektrischer Energie eine so wertvolle Option um den Bedarf an Speichern und Reserve-Kraftwerken zu reduzieren." Wirklich gut funktioniere das aber nur, wenn man beim Netzausbau europaweit denke.