Lernen aus der "Deepwater"-Katastrophe
18. April 2011Vor einem Jahr explodierte im Golf von Mexiko die Bohrinsel "Deepwater Horizon". Über drei Monate strömte das Öl ins Meer. Am Ende waren es mehr als 800 Millionen Liter. Während die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt vor Ort noch untersucht werden, gehen in Labors rund um die Welt die Forschungsarbeiten weiter, um zukünftige Ölunfälle besser und schneller in den Griff zu bekommen.
An der Beseitigung des Öls waren Experten aus vielen Ländern beteiligt, darunter Wissenschaftler der norwegischen Forschungsorganisation SINTEF. Forschung rund um das Öl hat in Norwegen Tradition. Schließlich wird seit 1971 in dem skandinavischen Land Öl aus der Nordsee gefördert. Im nordnorwegischen Trondheim betreibt die Forschungsorganisation ein Meereslabor direkt am Fjord. Über eine Pipeline steht ständig frisches Meerwasser aus 90 Meter Tiefe für Experimente zur Verfügung.
Öl im High-Tech-Whirlpool
Wissenschaftler Svein Ramstad öffnet eine schwere Tür. Dahinter steht ein Gerät, das aussieht wie eine überdimensionierte Badewanne und sich anhört wie eine laute Waschmaschine. Zum Baden lädt diese Wanne allerdings nicht ein: Schwarzes Öl schwimmt auf der Oberfläche des Wassers, wird durch die Bewegung eines Wellengenerators verteilt. Dabei ist Öl nicht gleich Öl. Im Meereslabor von SINTEF werden im Auftrag von Firmen oder Regierungsbehörden unterschiedliche Ölsorten und ihr Verhalten im Meer erforscht.
Eine kräftige UV-Lampe simuliert das Sonnenlicht. Die Temperatur wird verändert, um die Bedingungen in unterschiedlichen Regionen und Situationen nachzuahmen. Im letzten Jahr wurde die Temperatur im Labor auf 32°C erhöht. Ölproben aus dem Golf von Mexiko wurden hier untersucht. Man suchte nach Möglichkeiten, den Ölteppich zu bekämpfen. "Wir können hier beobachten, wie das Öl sich in kleine Tröpfchen verteilt, wie sich diese mit Wasser vermischen oder wie sie verdunsten", erklärt SINTEF Wissenschaftler Svein Ramstad.
Absaugen, abbrennen oder verteilen?
Informationen über die unterschiedlichen Öltypen und ihr Verhalten unter bestimmten Bedingungen, wie Temperatur oder Salzgehalt seien die Voraussetzung für die Beseitigung einer Ölpest, erklärt sein Kollege Per Daling. Schon seit über 25 Jahren ist er in der Ölforschung tätig. Im Trondheimer Labor werden deshalb Proben von unterschiedlichen Ölsorten untersucht und aufbewahrt: Von leichtem Öl, das schnell verdunstet, bis hin zu Schweröl, das viel länger im Meer bleibt und weit driften kann. "Man muss wissen, um welches Öl es sich handelt und wie dieses Öl mit dem Meerwasser reagiert, um zu wissen, welche Technik man in einer bestimmten Situation am besten anwendet", erklärt der Chemiker Daling. Absaugen, abbrennen oder mit Chemikalien behandeln - das sind die drei Haupttechniken, die heute für die Beseitigung eines Ölteppichs in Frage kommen.
Daling ist Spezialist für den Einsatz von Dispersionsmitteln. Die sollen das Öl in kleine Tröpfchen verteilen, um ölfressenden Mikroben die Arbeit zu erleichtern. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung wurde der Norweger im letzten Jahr ins Deepwater Horizon-Krisenteam geholt. "Die norwegischen Behörden erlauben uns jedes Jahr, unter kontrollierten Bedingungen Öl in die Nordsee einzulassen. So können wir den Ernstfall proben und unterschiedliche Methoden ausprobieren, sowohl mechanische Verfahren als auch chemische Dispergatoren", erklärt der norwegische Spezialist.
Aus der Katastrophe lernen?
Während des Einsatzes im Golf von Mexiko wurden fast acht Millionen Liter von diesen Chemikalien eingesetzt. Heute streiten sich die Experten darüber, wie hilfreich der Einsatz war. Daling ist überzeugt, dass der Einsatz der Dispersionsmittel zum raschen Abbau des Öls auf der Oberfläche beigetragen hat. So konnte verhindert werden, dass weitere große Ölmengen an Land drifteten. Aber die Auswirkungen des Lösungsmittels sowie des fein verteilten Öls auf das Ökosystem sind noch unklar. Sie werden wohl erst mittel- oder langfristig sichtbar.
Daling betont, die modernen Mittel seien weit weniger giftig als frühere. Sie dürften aber nicht in jedem Fall angewendet werden, beispielsweise in Fischlaichgebieten. Die SINTEF-Wissenschaftler erforschen zurzeit eine neue Methode, um das Öl mittels Wasserdruck ohne den Einsatz von Chemikalien zu verteilen. Das Projekt soll in einem Jahr abgeschlossen sein.
Informationen aus Luft und Weltraum
Zu den "Kunden" für solche Technologien gehört die Norwegian Clean Seas Association, NOFO, ein Zusammenschluss der Firmen, die in norwegischen Gewässern Öl fördern. Die Organisation unterstützt die Betreiberfirmen bei der Beseitigung von Ölverschmutzung. Der Unfall im Golf von Mexiko habe einen starken Eindruck auf seine Organisation hinterlassen, erklärt NOFO-Berater Jörn Harald Andersen. Es sei noch zu früh, um zu sagen, welche Lektion man aus dem amerikanischen Unfall ziehen könne, erklärt der Experte. Eine Herausforderung sei aber nach wie vor für alle im Ölgeschäft relevant: Hilfsschiffe mit der notwendigen Ausrüstung zum richtigen Zeitpunkt unter Einbeziehung der Windgeschwindigkeit und der Meeresströmungen genau an der richtigen Stelle zu haben.
Um den Weg eines Ölteppichs vorhersagen zu können, seien die Satellitenüberwachung und der Einsatz von Spezialflugzeugen wichtig. Andersen erläutert: "Man kann in der Regel nur ca. 10% des Ölteppichs wirklich bekämpfen. Der der Rest verdunstet oder ist zu dünn ist, um es vom Wasser zu trennen. Aber den bekämpfbaren Teil kann man von der Brücke eines Schiffes aus schlecht identifizieren".
Die wichtige Rolle von Fernerkundung bestätigt Dr. Amy MacFadyen, Ozeanografin im Notfalleinsatzteam von NOAA, der Wetter und Ozeanografiebehörde der Vereinigen Staaten. In Trondheim hat sie auf einer von SINTEF organisierten Konferenz über ihre Erfahrungen im Golf von Mexiko berichtet. Für zuverlässige Vorhersagen über den Verlauf eines Ölteppichs brauche man möglichst aktuelle Daten über Windrichtungen und Strömungsverhältnisse in unterschiedlichen Tiefen.
Der nächste Unfall kommt bestimmt
Eine Erkenntnis teilen wohl alle Wissenschaftler, die sich mit Ölunfällen beschäftigen: Nach einem großen Unfall ist das Interesse am Thema groß. Aber schnell lässt die Bereitschaft nach, für den Kampf gegen die Ölpest Mittel zur Verfügung zu stellen. Der langjährige Ölforscher Per Daling bringt es auf den Punkt: Auch wenn gerade kein größerer Unfall Schlagzeilen macht, müsse man Ölforschung betreiben um neue und bessere Technologien zu entwickeln. Denn auch darin sind sich die meisten Experten einig. Der nächste Unfall kommt bestimmt.
Autorin: Irene Quaile
Redaktion: Matthias von Hein