Vorbild Lettland?
10. Juli 2013Lettlands Ministerpräsident Valdis Dombrovskis glaubt den Weg zu kennen, den ein Land gehen muss, wenn es aus der Krise herausfinden will: Es lehnt ein Wachstum auf Pump ab und setzt tiefgreifende, wenn nötig auch schmerzhafte, Strukturreformen in Gang. Die Politiker Lettlands sehen ihr kleines Land heute als Musterschüler Europas und freuen sich über hohe Wachstumsraten, einen ausgeglichenen Haushalt und über den baldigen Beitritt zur Eurozone im Januar 2014.
"Der Euro ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument in den Händen der Regierung, das höheres Wirtschaftswachstum ermöglicht", meint die lettische Europa-Abgeordnete und frühere Dozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lettlands, Inese Vaidere. Die Letten seien davon überzeugt, dass ein großes, weitgehend geschlossenes Währungsgebiet wie die Eurozone Investitionen stärker anziehen kann als nationale Währungsräume, erläutert die Europapolitikerin.
Diese Auffassung teilt auch der ehemalige Wirtschaftsminister des baltischen Landes, Krišjãnis Kariņš, der für die lettische Regierungskoalition Vienotība im Europäischen Parlament sitzt. "Der Euro-Beitritt mindert das Investitionsrisiko in unserem Land", freut sich Kariņš. Im nördlichen Nachbarland Estland hätten sich Auslandsinvestitionen in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppelt und Lettland hoffe nun, davon in ähnlicher Weise zu profitieren.
Schocktherapie im Gegenzug für Auslandshilfe
Der designierte Euro-Neuling hat hart dafür gearbeitet, diese Chance zu bekommen. Vor fünf Jahren konnte das Land nur durch Notkredite der EU und des IWF einem sicher geglaubten Bankrott entgehen. Im Gegenzug für die milliardenschwere Finanzhilfe aus dem Ausland musste die Regierung in Riga einen drastischen Sparkurs einschlagen. Allein im Jahr 2009 wurden Löhne und Gehälter im Land um 30 Prozent gesenkt, die Staatsausgaben um 20 Prozent gekürzt und viele Staatsbedienstete entlassen. Die Arbeitslosigkeit erreichte Rekordwerte. Doch die Regierung Dombrowskis setzte unbeirrt ihren Sanierungskurs fort und wird nun dafür belohnt: In diesem Jahr rechnet Lettland mit einem Wachstum von fünf Prozent, das auch nachhaltig sei, betont Krišjãnis Kariņš. Das Fazit des ehemaligen Wirtschaftsministers: "Wir können nicht allzu lange über unsere Verhältnisse leben, das ist eine Tatsache, die für alle Länder Europas gilt."
Schon in Zeiten des Wirtschaftsbooms, verursacht durch kreditgetriebenen Konsum nach der Jahrtausendwende, verzeichnete das baltische Land eine zweistellige Inflation. Aus Angst vor Hyperinflation hatten die Letten nach Ausbruch der Krise sogar den Rat des IWF ausgeschlagen, die eigene Währung abzuwerten, um dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Stattdessen entschied sich die Regierung Dombrowskis ganz bewusst für den beschwerlichen und mit hohen sozialen Kosten verbundenen Weg einer sogenannten "internen Abwertung", nämlich für Kürzungen von Löhnen und Gehältern, vor allem im öffentlichen Dienst.
Politischer Konsens als Voraussetzung für Reformen
Ähnliches geschieht seit einigen Jahren auch im Süden Europas. Kann auch hier eine "interne Abwertung" die betroffenen Länder von der Krise befreien? Krišjãnis Kariņš glaubt nicht an ein Wunderrezept. "Der Unterschied zwischen unserem Land und anderen Ländern Europas ist wohl, dass wir eine kleine, aber sehr offene Wirtschaft sind und von daher unser Wachstum durch Export vorantreiben können", meint der Europapolitiker. Bei einem größeren Land mit schwachen Exporten und einer starken Binnennachfrage sei dies wohl sehr schwierig und vielleicht nicht einmal der richtige Weg.
Die führenden Europapolitiker Lettlands machen keinen Hehl daraus, dass viele ihrer Wähler laut Umfragen der gemeinsamen Währung Euro immer noch mit Skepsis begegnen. Sie weisen aber auch darauf hin, dass vor wenigen Monaten die Zustimmungswerte noch viel niedriger waren und geben sich zuversichtlich, dass die Letten schnell lernen, den Wert des Euro zu schätzen.
Wichtig für den Euro-Beitritt des Landes sei jedenfalls der überparteiliche Konsens in der Reformpolitik der vergangenen Jahre gewesen, sagt die Ökonomin Idese Vaidere. Zwar hätte es auch in Lettland Proteste gegen die schmerzhaften Sparmaßnahmen gegeben, doch die führenden politischen Parteien hätten den Sanierungskurs von Anfang an mitgetragen, genauso wie die Gewerkschaften des Landes. Dies wäre auch ein guter Ansatz für die südeuropäischen Krisenländer, glaubt die Wirtschaftsdozentin.
Ein Steuerparadies am Rande Europas?
"Wenn ich eine Empfehlung für Griechenland aussprechen darf: Die Menschen dort sollten nicht nur auf die Straße gehen, sondern auch überlegen, was sie tun können, um die Staatsquote zu verringern", erklärt Vaidere. Lettland hätte den Anteil seiner Staatsausgaben am Bruttoinlandprodukt auf 36 Prozent gesenkt. In Griechenland betragen diese immer noch rund 50 Prozent, was hieße, dass Sparpotentiale noch nicht ausgeschöpft seien, so Vaidere.
Bleibt die Frage nach dem künftigen Wirtschaftskurs Lettlands. Das Land hat kürzlich eine ganze Reihe von Gesetzen erlassen, die in Europa umstritten sind, weil sie die Kapitalsteuer drastisch senken und dadurch vermutlich viel Kapital aus der ehemaligen Sowjetunion anziehen - und möglicherweise den Bankensektor des Landes aufblähen könnten.