Letzte Ruhe gen Mekka
21. Januar 2003Viermal im Jahr trommeln Serdar Demir und seine Kollegen von der Bestattungshilfe der Türkisch-Islamischen Union e.V. (DITIB) in Köln ein paar Helfer zusammen. Sie organisieren die nötige Ausrüstung und sorgen - soweit es geht – für Ordnung auf Feld 27 RA des Kölner Westfriedhofs. Das Grabfeld wurde in den 1960er-Jahren zur Beerdigung von in Deutschland verstorbenen Muslimen eingerichtet. Alle Gräber zeigen gen Mekka, wie es der islamische Bestattungskodex vorschreibt.
Flug in die Ewigkeit
Grabpflege ist für die Mitarbeiter der Bestattungshilfe jedoch nur ein Nebenjob. Die meiste Zeit verbringt Serdar Demir damit, in Deutschland verstorbenen Türken eine Beerdigung in ihrem Heimatland zu ermöglichen. Er vermittelt zwischen Angehörigen und "muslimischen" Bestattungsunternehmen, nimmt Kontakt mit dem türkischen Konsulat und dem Bestattungsamt auf und erledigt Formalitäten für eine allerletzte Reise an den Bosporus. Viele von Serdars Landsmännern und -frauen finden auf diese Art und Weise ihre letzte Ruhe fernab von deutschem Boden. Experten sprechen von etwa 95 Prozent.
Auf der Suche nach möglichen Ursachen dieser "umgekehrten Migration" nach dem Tode stößt man zuallererst auf eine deutsche Friedhofs- und Bestattungskultur, die man nicht immer leicht mit den muslimischen Bestattungsvorschriften in Einklang bringen kann und konnte. So zogen vor etwa acht Jahren Muslime gegen die Stadt Köln vor Gericht. Nach Ablauf der 15-jährigen Ruhefrist sollten 277 muslimische Gräber auf dem Kölner Westfriedhof ordnungsgemäß eingeebnet werden. Da die geplanten Maßnahmen jedoch gegen das islamische Gebot der "ewigen Ruhe" verstoßen hätten, entschieden sich die Hinterbliebenen, rechtliche Schritte einzuleiten.
Durchaus kompromissbereit
Mit einem einstweiligen Verzicht auf die Einebnung der Gräber beendete die Stadtverwaltung damals die Rechtsstreitigkeiten. Kein Urteil - und doch eine Art Präzedenzfall. Denn "irgendwie ist stillschweigend vereinbart worden, dass es für immer so bleiben wird," sagt Serdar Demir. Zudem sind die meisten der in Deutschland lebenden Muslime heutzutage besser informiert. Sie können sich schließlich auch für ein so genanntes Wahlgrab entscheiden - ein Grab, bei dem das Nutzungsrecht verlängert werden kann.
Mittlerweile scheint der Umgang mit den speziellen Beerdigungsvorschriften der Muslime gut zu funktionieren. Zwar dürfen muslimische Gemeinden noch keine eigenen Friedhöfe betreiben – dazu fehlt ihnen der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Aber wie in Köln gibt es auch in vielen anderen deutschen Städten speziell für Muslime eingerichtete Grabfelder. Mancherorts ist sogar eine sarglose Bestattung ganz nach islamischem Brauch möglich. Das Friedhofsareal darf dann auch für rituelle Waschungen und Totengebete genutzt werden.
Wesentlich billiger
Trotz der Zugeständnisse von Seiten der Behörden, ist es nach Ansicht Serdars "eher unwahrscheinlich, dass sich die hohe Prozentzahl der Auslands-Beerdigungen in der nächsten Zeit verringern wird". Denn nicht nur was muslimische Bestattungsriten angeht, ist die Verbindung zu den Ursprungsländern im Nahen Osten auch in der dritten Ausländergeneration noch sehr stark ausgeprägt. Die Kosten sind ein weiterer Grund. Schließlich ist ein Wahlgrab für die meisten Muslime schlicht zu teuer. Billiger ist ein letzter Flug in die Heimat - Beerdigung inklusive.