Libanesische Armee erstmals in größere Kämpfe verwickelt
5. August 2006Bei den schwersten Luftangriffen auf den Süden des Libanons seit Beginn des Krieges vor dreieinhalb Wochen schlugen in Grenzdörfern binnen sieben Stunden 4000 Geschosse ein. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einigten sich Frankreich und die USA unterdessen auf den Entwurf für eine UN-Resolution.
Raketenbeschuss geht auf beiden Seiten weiter
In Tyrus setzten libanesische Soldaten Luftabwehrgeschütze ein, nachdem Kampfhubschrauber mehrere Raketen abgefeuert hatten. Die Helikopterbesatzungen seien im Tiefflug über Tyrus geflogen und hätten aus Maschinengewehren auf Ziele am Boden gefeuert, sagte die Polizei. Ein libanesischer Soldat wurde getötet und eine Luftabwehrbatterie zerstört. Bei der Aktion setzten israelische Hubschrauber zudem Elitesoldaten in einem Orangenhain vor der Stadt ab. Danach kam es zu Kämpfen mit Hisbollah-Milizen. Nach israelischen Armeeangaben wurden acht Soldaten verletzt, mindestens sieben Hisbollah-Kämpfer seien getötet worden.
Die Operation sei gegen Hisbollah-Kämpfer gerichtet gewesen, die am Vorabend Raketen auf Hadera abgefeuert hätten. Die mehr als 70 Kilometer entfernt von der Grenze gelegene Stadt war das bisher südlichste Ziel in Israel, das angegriffen wurde. Die Hisbollah feuerte am Samstag erneut mindestens 20 Raketen auf den Norden Israels. Im Süden Libanons tötete die Hisbollah einen israelischen Soldaten, als sie bei Tajiba mit Granatwerfern feuerte. Am Vortag hatte die Hisbollah insgesamt 220 Raketen auf Israel abgefeuert. Dabei wurden drei Israelis getötet. Eine der Raketen flog bis in die Stadt Hadera 40 Kilometer von Tel Aviv. Nach israelischen Angaben starben bislang 75 Menschen, darunter 45 Soldaten. Im Libanon sind 690 Menschen sowie ein Soldat ums Leben gekommen.
UN-Resolution in Sicht - Waffenstillstand aber nicht
Die USA und Frankreich haben sich am Samstag auf den Entwurf für eine Libanon-Resolution des Weltsicherheitsrats geeinigt. Dies gab der amerikanische UN-Botschafter John Bolton in New York bekannt. Zum Inhalt äußerte er sich nicht. Ein UN-Diplomat erklärte jedoch, die Vorlage rufe zur "vollständigen Beendigung der Gewalt" zwischen Israel und der Hisbollah auf, gestehe Israel aber das Recht zu, sich gegen Angriffe der schiitischen Miliz mit Gegenangriffen zur Wehr zu setzen.
Ein sofortiger Waffenstillstand ist demnach nicht vorgesehen. Beobachtern zufolge bedeutet dies einen Sieg der USA und Israels gegen Frankreich und andere Länder, die sich für ein umgehendes Niederlegen der Waffen ausgesprochen hatten. Nach Angaben von Bolton wollte der UN-Sicherheitsrat noch im Laufe des Samstags zusammenkommen, um über die Vorlage zu beraten. Eine Verabschiedung könnte dann binnen weniger Tage folgen. Der US-Botschafter stellte eine zweite Resolution in Aussicht, die den politischen Rahmen für einen langfristigen Frieden zwischen Israel und der Hisbollah schaffen würde.
US-Sondergesandter sagt Beirut Unterstüztung zu
Der US-Gesandte David Welch ist zurzeit in Beirut. Es ist der erste Besuch eines ranghohen US-Vertreters, seit die libanesische Regierung einen geplanten Besuch von US-Außenministerin Condoleezza Rice abgesagt hatte. Grund dafür war das Blutbad von Kana, bei dem durch einen israelischen Luftangriff auf die südlibanesische Ortschaft mindestens 28 Zivilisten getötet worden waren.
Welch traf zunächst den schiitischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri, der als wichtiger Kontaktmann zwischen der libanesischen Regierung und der radikalen Hisbollah-Miliz gilt. Über den Inhalt der Unterhaltung wurde nichts bekannt. Anschließend traf Welch den libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora. US-Präsident George W. Bush und Außenministerin Condoleezza Rice seien "entschlossen, den Libanon zu unterstützen", sagte Welch nach dem Gespräch. "Wir wollen die furchtbare Gewalt der vergangenen Wochen für immer beenden", fügte er hinzu. Die Herausforderungen, mit denen der Libanon konfrontiert sei, seien "weit größer als wir gedacht hatten". Wer seine Wohnung verloren habe, müsse "schnellstmöglich" ein neues Zuhause finden. Welch wollte anschließend nach Israel weiterreisen.
Humanitäre Katastrophe
Angesichts eines Mangels an Trinkwasser und Strom warnten Hilfsorganisationen vor einem Ausbruch von Epidemien wie Cholera, vor allem im schwer umkämpften Südlibanon.
Auch anderswo bahnt sich eine Katastrophe an, nachdem die libanesische Hauptstadt praktisch von der Außenwelt abgeschnitten ist und auch der Seeweg von israelischen Kriegsschiffen blockiert wird. Durch die Bombardierung der Brücken nördlich von Beirut am Vortag sei die Versorgungsroute für Hilfskonvois über Syrien unterbrochen, sagte Astrid van Genderen Stort vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR. "Bald sind die Lager leer. Dann können wir nichts mehr verteilen." (je)