Libanon-Konferenz: Kann Frankreich vermitteln?
23. Oktober 2024Seit über einem Monat fliegt Israel weitreichende Luftangriffe auf den Libanon. Nach Angaben libanesischer Behörden gibt es mehr als eine Million Binnenflüchtlinge und mehr als 2000 Zivilisten sind ums Leben gekommen. Israel hat mehrere Anführer der Hisbollah gezielt getötet, denn das Land will die im Süden des Libanon ansässige Miliz erheblich schwächen. Die USA, Deutschland und mehrere sunnitische arabische Staaten stufen diese als Terrorgruppe ein. Auch die EU listet den bewaffneten Flügel der Hisbollah als Terrorgruppe. Sie verübt seit Anfang des jüngsten Gaza-Krieges vor gut einem Jahr vermehrt Raketenangriffe auf den Norden Israels. Zehntausende Israelis sind aus ihren Wohnorten nahe der libanesischen Grenze geflohen.
Frankreich hofft nun, dass seine historisch enge Beziehung zum Libanon dabei helfen wird, einen Waffenstillstand und eine langfristige Lösung herbeizuführen - und organisiert für Donnerstag eine internationale Konferenz in Paris. Sie soll die Bevölkerung und die Souveränität des Landes unterstützen.
Das französische Außenministerium erwartet Vertreter aus Partnerstaaten des Libanon, der Vereinten Nationen, der Europäischen Union sowie von internationalen, regionalen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. "Frankreich hat immer ein privilegiertes Verhältnis mit dem Libanon gehabt, und diese Konferenz soll zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes beitragen", schrieb der DW eine diplomatische Quelle, die ungenannt bleiben möchte.
May Maalouf Monneau, Politologin am Pariser Forschungsinstitut zum Mittelmeer und Mittleren Osten (iReMMO), hofft tatsächlich auf Konkretes. "Wir brauchen einen Waffenstillstand. Dann muss man die libanesische Armee in den Süden des Landes schicken, um die Vorherrschaft des Staates wieder herzustellen", sagt sie gegenüber DW. "Das hätte schon längst geschehen sollen laut der UN-Resolution 1701 von 2006."
Diese Resolution beendete einen etwa vierwöchigen Krieg zwischen der Hisbollah und Israel. Die Terrormiliz versprach, sich aus dem Süden des Libanons zurückzuziehen - was bis heute nicht geschehen ist. "Durch das Pariser Treffen könnte Frankreich wieder diplomatisch präsenter sein im Libanon", fügt Maalouf hinzu. "Das ist das Land kaum noch seit 2005, dem Ende der Amtszeit des französischen Präsidenten Jacques Chirac."
Enge historische Verflechtung: Frankreich und Libanon
Dabei hätten Frankreich und der Libanon historisch tiefe politische und kulturelle Bande, meint Henry Laurens, Geschichtsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für zeitgenössische Geschichte der arabischen Welt am Pariser Collège de France. "Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sammelt der französische Verein L'Oeuvre d'Orient Gelder für schulische, medizinische und religiöse Organisationen vor allem im Libanon", erklärt Laurens der DW. "Es gibt ein weitreichendes französisches Schulnetz im Libanon und eine große libanesische Diaspora in Frankreich."
Zudem war der Libanon zwischen 1920 und 1943 französisches Protektorat. Die französische Regierung habe auch eine wichtige diplomatische Rolle gespielt, weil sie mit allen Seiten sprach.
Inzwischen jedoch sei Paris kaum noch in der Vermittlerrolle, was auch in der eigenen Kolonialgeschichte begründet liege. "Hier gibt es viele Nachfahren von Kolonialherren und Einwanderer aus ehemaligen Kolonien und deren Nachkommen und eine große muslimische und jüdische Gemeinde", erklärt Laurens. "Diese Spaltung spiegelt sich in unseren Parteien wider - mit rechtspolitischen Parteien, die Israel verteidigen, und vor allem linkspolitischen Gruppen auf der Seite der Palästinenser. Die Regierung ist gelähmt, denn dieses außenpolitische Thema ist längst auch innenpolitisch relevant."
Zwischen finanzieller Hilfe und politischer Symbolik
Für Fabrice Balanche, Geograph und Spezialist des Nahen Ostens an der Universität Lyon 2 im Südosten Frankreichs, haben jüngste Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron die Erfolgschancen der Libanon-Konferenz verschlechtert. Der hatte unter anderem gefordert, Waffenlieferungen an Israel zu stoppen, um eine politische Lösung des Konfliktes herbeizuführen, auch in Gaza. Das hatte Israels MinisterpräsidentBenjamin Netanjahu als "beschämend" bezeichnet.
Im Gazastreifen führt Israel eine Bodenoffensive, nachdem die von der EU, Deutschland und den USA als Terrororganisation eingestufte Hamas am 7. Oktober 2023 in Angriffen auf Israel mehr als 1100 Menschen tötete und Hunderte Geiseln nahm, von denen noch immer nicht alle befreit sind. Laut Hamas sind bei der Bodenoffensive schon mehr als 40.000 Menschen getötet worden.
"Frankreich hat jetzt ein sehr schlechtes Verhältnis zu Israel. Außerdem wollen weder die Hisbollah noch Israel derzeit einen Waffenstillstand", betont Fabrice Balanche gegenüber der DW. Die Autorität des libanesischen Staates im Süden des Libanons wieder herzustellen sei zudem schwierig, weil das Land politisch instabil sei. "Der Libanon ist ein gescheiterter Staat mit hoher Staatsverschuldung und einer korrupten Elite, der seit Oktober 2022 keinen Präsidenten hat", führt Balanche aus.
Zudem gebe seit 2015 nicht mehr Frankreich die Linie der europäischen Libanon-Politik vor, sondern Deutschland. "Dadurch kann Macron dem Libanon kaum noch finanzielle Versprechen machen - und das begrenzt unsere politische Einflussnahme." Diese Konferenz sei darum eher symbolisch. "Frankreich will die diplomatische Lücke füllen, die durch die US-Präsidentschaftswahl in zwei Wochen entsteht."
Doch Daniel Mouton vom Nahostprogramm des Thinktanks Atlantic Council in Washington hält das Treffen gerade deswegen für notwendig. "Macron wird Präsident bleiben während dieser Übergangsperiode in den USA. Die Konferenz könnte aufzeigen, wie Israel seine Strategie verändern muss", meint Mouton, der bis August 2023 Leitender Direktor für Verteidigung und politisch-militärische Angelegenheiten im Weißen Haus war, im DW-Gespräch.
"Die internationale Gemeinschaft, auch die USA, muss Israel explizit sagen, welches Verhalten dazu führt, dass wir militärische Unterstützung reduzieren. Wenn Israel nicht vorsichtiger ist und zivile Opfer schützt, könnte das künftige Terroristen schaffen, was das langfristige Ziel Israels - seine Sicherheit - gefährdet."
Historiker Laurens dagegen glaubt kaum, dass die Konferenz mehr als ein paar Zusagen für Hilfsgelder hervorbringen wird. "Und das wäre ein Zugeständnis der Schwäche - wenn man sonst nichts tun kann, schickt man eben humanitäre Hilfe."