Ohne Regierung
24. November 2007Nach Ablauf der Amtszeit des pro-syrischen Präsidenten Émile Lahoud ist der Libanon ohne Staatsoberhaupt. Lahoud wurde am Freitag (23.11.2007) um Mitternacht (Ortszeit, 23.00 Uhr MEZ) in Beirut mit militärischen Ehren verabschiedet, ohne dass sich Regierung und Opposition auf seinen Nachfolger geeinigt hätten. Wenige Stunden zuvor hatte Lahoud erklärt, nun sei die Armee für die Sicherheit im Land verantwortlich.
Hunderte Anhänger der anti-syrischen Partei von Saad Hariri, die im Parlament die Mehrheit hat, feierten das Amtsende von Lahoud um Mitternacht in den Straßen von Beirut. "Wir feiern, weil die Amtszeit von Lahoud die düsterste Periode in der Geschichte des Libanon war", erklärte ein Gegner des früheren Präsidenten.
Starrsinnige Fraktionskämpfe
Im Laufe des Freitags hatte sich die seit Monaten andauernde politische Krise dramatisch zugespitzt. Am Mittag war zum fünften Mal binnen weniger Wochen die Wahl eines neuen Präsidenten gescheitert. Die anti-syrische Fraktion von Ministerpräsident Fuad Siniora und die Damaskus-treue Opposition hatten sich nicht auf einen Kompromisskandidaten einigen können.
Die Siniora-Fraktion erschien am Freitag im Parlament. Doch für die Wahl ist die Anwesenheit von zwei Drittel der Parlamentarier nötig, die ohne die Opposition nicht zustande kommt.
Der libanesische Präsident muss verfassungsgemäß ein maronitischer Christ sein, während das Amt des Regierungschefs den sunnitischen Muslimen, das des Parlamentspräsidenten den Schiiten vorbehalten ist. Da die Christen auch unter sich zerstritten sind und teils pro-, teils anti-syrische Politik vertreten, konnte bislang kein Kompromisskandidat für das Präsidentenamt gefunden werden.
Panzer ziehen auf
Während in der Hauptstadt Beirut Soldaten mit Panzern in Stellung gingen, wurde ein erneuter Wahlversuch auf nächsten Freitag, den 30. November, verschoben.
Wenige Stunden vor Ablauf seiner Amtszeit erklärte Lahoud, die Lage im Land sei so angespannt, dass der Ausnahmezustand drohe. Deshalb müsse die Armee für die Sicherheit im Land sorgen, bis ein Nachfolger für ihn gefunden sei.
Die Regierung von Ministerpräsident Siniora erklärte die Anweisung für nichtig. Lahoud sei dazu als Präsident nicht befugt und verstoße gegen die Verfassung, sagte ein Regierungssprecher.
Drohungen der Hisbollah
Die Hisbollah als große schiitische Oppositionspartei warnte Siniora davor, Lahouds Vollmachten an sich zu ziehen. "Innerhalb von Stunden ist dann die Opposition auf den Straßen und stürzt ihn mit Gewalt", sagte Hisbollah-Politiker Wiam Wahhab im Fernsehsender der Organisation, Al Manar.
Die Hisbollah spielt eine zentrale Rolle im innerlibanesischen Machtkampf: Vor einem Jahr traten ihre fünf Minister aus dem Kabinett Sinioras zurück und brachten damit die Machtbalance zwischen Christen, sunnitischen und schiitischen Muslimen im Libanon aus dem Lot. Lahoud sieht Sinioras Regierung daher als nicht verfassungsgemäß an.
Im Libanon waren in den vergangenen Wochen bereits vier Anläufe zur Präsidentenwahl gescheitert, weil sich die anti-syrische Parlamentsmehrheit um Siniora und die von der radikal-islamischen Hisbollah angeführte Opposition nicht auf einen Kandidaten verständigen konnten.
Hamsterkäufe
Wegen des Machtvakuums könnte es jetzt zu Unruhen kommen. Die Menschen zogen sich nach Bekanntgabe des erneuten Scheiterns der Wahl in ihre Häuser zurück. Viele Libanesen hatten in den vergangenen Tagen aus Angst, dass die politische Krise in Gewalt umschlägt, Lebensmittel gehortet.
Politische Appelle
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich "höchst besorgt" über die Lage im Libanon und appellierte an alle Parteien, Ruhe zu bewahren.
Die Europäische Union forderte alle politischen Parteien auf, den Dialog fortzusetzen, um "so rasch wie möglich" einen Präsidenten zu wählen. Internationale Vermittler hatten in den vergangenen Tagen mehrfach den "Starrsinn" der libanesischen Politiker beklagt und ihnen vorgeworfen, sie steuerten das Land mit ihrer Kompromisslosigkeit auf einen Abgrund zu.