Libanons Ex-Botschafter in Berlin ist Premier
31. August 2020Rund vier Wochen nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut haben sich Libanons Parlamentarier auf einen neuen Regierungschef verständigt. Nach Beratungen von Präsident Michel Aoun mit Vertretern der unterschiedlichen politischen Blöcke wurde der derzeitige libanesische Botschafter in Deutschland, Mustafa Adib, zum neuen Ministerpräsidenten ernannt. Das gab das Präsidialbüro in einer im Fernsehen übertragenen Mitteilung bekannt. Der 48-Jährige war von dem früheren Premier Saad Hariri nominiert worden. Hariri führt im libanesischen Parlament den größten sunnitischen Block an.
Der bisherige Ministerpräsident Hassan Diab hatte nach der Explosion in Beirut mit mehr als 180 Toten und mehr als 6000 Verletzten Anfang des Monats den Rücktritt der Regierung erklärt. Für den Libanon ist es der zweite Regierungswechsel in weniger als einem Jahr. Diab hatte das Amt des Premiers erst im Frühjahr übernommen, nachdem sein Vorgänger Hariri im vergangenen Oktober nach Massenprotesten seinen Rücktritt erklärt hatte.
Aoun: Konfessionelles Proporz-System beenden
Das Land am Mittelmeer leidet seit Monaten unter einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die viele Libanesen in die Armut getrieben hat. Die Corona-Pandemie und die schwere Explosion haben die Lage weiter verschärft. Demonstranten werfen der politische Elite des Landes immer wieder Korruption und Selbstbereicherung vor. Deshalb fordern sie grundlegende politische Reformen.
Die höchsten Staatsämter werden im Libanon nach einem jahrzehntealten Proporzsystem unter den größten Konfessionen verteilt. Der Präsident muss immer ein Christ sein, der Premier ein Sunnit und der Parlamentschef ein Schiit. Nach Ansicht von Staatschef Aoun muss das Nahostland nun dringend ein "laizistischer Staat" werden. Das konfessionelle Proporz-System sei "ein Hindernis für jegliche Reform und den Kampf gegen die Korruption" geworden, sagte Aoun in einer Fernsehansprache anlässlich des 100. Jahrestages der Ausrufung des Staates Großlibanon am 1. September 1920. "Ich bin davon überzeugt, dass nur ein laizistischer Staat den Pluralismus schützen kann." Politiker und religiöse Führer müssten in den Dialog treten, um eine für alle akzeptable Lösung zu finden.
Macron erneut im Libanon
Am Abend wird der französische Präsident Emmanuel Macron erneut im Libanon erwartet, um seine Forderung nach einem politischen Wandel in dem Land zu bekräftigen. Bei seinem ersten Besuch direkt nach der Explosionskatastrophe hatte Macron tiefgreifende Reformen und einen raschen Regierungswechsel angemahnt. Noch am Wochenende warnte Macron, ohne Unterstützung von außen drohe dem Libanon ein erneuter Bürgerkrieg.
Macron hat die Führung der internationalen Bemühungen übernommen, Libanons Elite dazu zu bewegen, gegen die verheerende Krise vorzugehen. Er organisierte eine internationale Geberkonferenz, bei der mehr als 250 Millionen Euro Hilfsgelder zusammenkamen. Er knüpft die Wiederaufbauhilfen jedoch an politische Reformen im Libanon. Die mächtige schiitische Hisbollah-Bewegung erklärte, sie sei "offen" für eine konstruktive Debatte über Macrons Forderung nach einem politischen Wandel. Bedingung sei jedoch, dass alle libanesischen Interessengruppen in dem Prozess berücksichtigt würden, sagte Hisbollah-Chef Hasan Nasrallah.
sti/rb (afp, dpa, rtr, kna)