Ebola: Es gibt noch viel zu tun
2. Februar 2015DW: Herr Lindner, die WHO hat vor wenigen Tagen eine Trendwende im Kampf gegen Ebola verkündigt, die Zahl der Neuinfektionen sei stark rückläufig. Sie sind gerade aus Sierra Leone zurückgekommen. Bestätigen Ihre Eindrücke von vor Ort diese Einschätzung?
Walter Lindner: Es ist wahr, dass wir jetzt zum ersten Mal Licht am Ende des Tunnels erkennen. Aber: Die Zahlen gehen zwar nach unten, aber wenn wir nicht aufpassen und nicht weiterhin Anstrengungen unternehmen, dann können die auch wieder steigen. Die Eindrücke auf der Reise sind zum ersten Mal hoffnungsvoll, aber es gibt noch eine Menge Gefahrenmomente, die das alles wieder rückgängig machen könnten.
Die Ebola-Epidemie hat katastrophale Auswirkungen auf die Wirtschaft der am stärksten betroffenen Staaten. Die Hilfsorganisation Oxfam hat gefordert, ein Programm zur Ankurbelung der Wirtschaft aufzulegen. Die Welt habe den Ausbruch der jüngsten Epidemie verschlafen, heißt es zur Begründung. Es könne keine Entschuldigung dafür geben, den Staaten jetzt nicht wieder auf die Beine zu helfen. Wird Deutschland diesem Appell nachkommen?
Es stimmt natürlich, dass alle zu spät kamen, bis auf die Ärzte ohne Grenzen. Aber danach haben wir als Staatengemeinschaft schon reagiert. Schon vor der Epidemie gab es Wiederaufbauhilfe, Entwicklungshilfe und Stabilisierungsmaßnahmen, und selbstverständlich wird es das auch nach der Epidemie geben. Eine der Lehren aus der Ebola-Epidemie ist ja, dass zum Beispiel das marode Gesundheitssystem dringend gestärkt werden muss. Aber man muss auch aufpassen, dass es keine Überlappungen gibt, dass also jeder alles macht, und zweitens, dass es nicht in Korruption mündet. Es muss darauf geachtet werden, dass die richtigen Leute, die richtigen Programme und die richtigen Strategien unterstützt werden. Dazu gibt es jetzt verstärkt Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gebern.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor wenigen Tagen eine neue Initiative vorgestellt, mit der das internationale Krisenmanagement in Zukunft verbessert werden soll. Das Konzept umfasst unter anderem "Weißhelme", also eine schnelle Einsatztruppe von Medizinern, sowie schnell abrufbare Finanzhilfen und eine Anpassung der UN-Strukturen. Bis wann soll dieser ehrgeizige Plan denn umgesetzt werden und welchen Anteil hat Deutschland daran?
Auf globaler Ebene müssen wir schauen, wie die Vereinten Nationen ihr Krisenmanagement verbessern können. Auch auf EU-Ebene hat nicht alles perfekt funktioniert. Und die deutsche Bundesregierung muss sich ebenfalls fragen: Warum waren wir spät dran, genau wie alle anderen Regierungen? Warum haben nicht früher die Alarmglocken geschrillt? Da muss jedes Ministerium gucken, was es besser machen kann. Und dann müssen die Staaten vor Ort sehen, was gemacht werden kann, damit es in Zukunft nicht mehr zu so einem Ausbruch kommt. Da geht es um Notrufnummern, um Grenzenmanagement und so weiter. Jetzt, da die Krise noch aktuell ist, muss man das alles zusammenstellen, denn in ein paar Monaten gibt es wieder eine andere Krise und dann sind die ganzen Zeitzeugen, die jetzt dabei waren, wieder ganz woanders.
Aber wann es konkret diese Weißhelme geben soll, das ist noch nicht bekannt?
Das Konzept der Weißhelme hatte der Außenminister schon vor einigen Monaten vorgestellt. Das ist eine Anregung, einen Pool von Spezialisten zusammenzustellen und den in einer Datenbank zu erfassen. Angedacht ist das zunächst im Rahmen der EU, aber dann soll es auch auf die globale Ebene. Die Idee ist, dass die Strukturen, die wir jetzt langsam stehen haben, auch bleiben, wenn Ebola weg ist. Die ganzen Details werden zurzeit ohnehin schon diskutiert und erarbeitet.
Es ist bald ein Jahr her, dass in Guinea die ersten Ebola-Fälle bekannt wurden. Was ist ihr Resümee in Bezug auf das internationale Krisenmanagement?
Hinterher weiß man natürlich alles besser. Klar ist, dass wir den Ärzten ohne Grenzen, die von Anfang an gewarnt hatten, nicht richtig zugehört haben. Weder die Weltgesundheitsorganisation, noch die sonstigen UN-Organisationen, noch die EU, noch die einzelnen Mitgliedsstaaten, noch wir hier. Keiner hat reagiert. Ich will es nicht entschuldigen, aber es gab einige Gründe dafür. Ein Grund war, dass es bis dahin schon 20 Ausbrüche von Ebola gegeben hatte und die alle sehr klein blieben. Dass der 21. Ausbruch plötzlich ein solches Ausmaß annahm, das war schwer zu vermitteln. Zum anderen waren international gleichzeitig mindestens drei, vier Großkrisen am Laufen, die die Aufmerksamkeit vieler Politiker natürlich ablenken. Ich denke da an den IS, die Ukraine, den Gaza-Streifen. Ich hoffe, wir haben es danach ausgleichen können. Mein Eindruck von der fünften Reise ist, dass die Präsenz vor Ort jetzt massiv ist und dass es mit der Bevölkerung zusammen gelungen ist, eine Trendwende einzuleiten. Aber natürlich: Hätten wir das früher gemacht, wären weniger Leute gestorben.
Sie waren deutscher Botschafter in Venezuela, bis Außenminister Steinmeier Sie eines Morgens aus dem Bett geklingelt und sie gefragt hat, ob Sie Ebola-Beauftragter werden möchten. Jetzt ist Ebola auf dem Rückzug - zeichnet sich schon ab, wann Sie Ihre Rückreise nach Südamerika antreten werden? Oder gibt es noch genug zu tun?
Die Gefahr ist, jetzt, wo man am Ende des Tunnels Licht sieht, zu sagen, die Sache sei eigentlich schon vorbei. Man muss vorsichtig sein, denn jeder Fall kann wieder 20, 30 weitere nach sich ziehen. Wir haben immer noch 100 neue Infektionen pro Woche. Das sind immer noch 100 zu viel. Wir müssen auf Null kommen und das wird schwer sein, das kann noch Monate dauern. Also ich bleibe noch so lange in diesem Job, solange man noch nicht absehen kann, dass die Sache tatsächlich vollkommen im Griff ist.
Walter Lindner ist Diplomat und Beauftragter der deutschen Bundesregierung für den Ebola-Hilfseinsatz.
Das Interview führte Hilke Fischer.