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Linke beschwört die Einheit der Partei

Marcel Fürstenau 2. Juni 2012

Die Linke ist die viertstärkste Fraktion im Bundestag. Seit Monaten zerreibt sich die Partei aber in Flügelkämpfen. Der Parteitag in Göttingen könnte zu ihrem Schicksalstag werden.

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Oskar Lafontaine , Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Saarland, spricht am Samstag (02.06.2012) beim Parteitag der Linken in der Lokhalle in Göttingen. Die Delegierten der Partei Die Linke kommen am Wochenende zum Parteitag in Göttingen zusammen, um eine neue Doppelspitze mit mindestens einer Frau zu wählen. Foto: Bernd von Jutrczenka dpa/lni
Die Linke Bundesparteitag in GöttingenBild: picture-alliance/dpa

Normalerweise hält Gregor Gysi seine Reden frei. Dieses Mal liest der langjährige Bundestagsfraktionschef der Linken vom Blatt ab. Der ansonsten so lockere und schlagfertige Berliner ist angespannt. Kein Wunder, auf dem Bundesparteitag der Linken in Göttingen geht es um die Zukunft der erst 2007 von ostdeutschen Sozialisten und ehemaligen Sozialdemokraten aus dem Westen gegründeten Partei. Der monatelange Streit über das Führungspersonal und den politischen Kurs hat tiefe Spuren hinterlassen und auch Verletzungen.

Das Verhältnis zwischen Gregor Gysi und den ehemaligen Vorsitzenden der Linken, Oskar Lafontaine, ist merklich abgekühlt. Demonstrativ nimmt Gysi seinen Stellvertreter in der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, in Schutz. Bartsch kandidiert für den Parteivorsitz. Lafontaine wollte ursprünglich nach seinem gesundheitlich bedingten Rückzug vor zwei Jahren zurück auf den Chefsessel. Auf eine Kampfabstimmung mit Bartsch aber wollte Lafontaine sich nicht einlassen. Bartschs Unterstützer kritisierten dieses Verhalten als Erpressungsversuch.

"Hass, Tricksereien, Denunziation"

Wenn Gysi zu Beginn seiner knapp halbstündigen Rede sagt, die Vereinigung der Linken sei noch nicht erreicht, klingt das stark untertrieben. Aber Gysi wird schnell deutlicher. Falls die Streitereien nicht überwunden werden könnten, wäre es sogar besser, sich fair zu trennen, "als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen“. Das Verhalten westdeutscher Landesverbände erinnere ihn mitunter an die Arroganz der Westdeutschen nach der deutschen Vereinigung, redet sich Gysi in Rage. Auch mit der von ihm geführten Fraktion im Bundestag geht Gysi hart ins Gericht. Es herrsche Hass zwischen den verschiedenen Strömungen. Gysis Fazit: Die Linke zerstöre sich selbst. "Es muss nicht sein, aber ich schließe es nicht aus."

Das Wort Spaltung soll tabu sein

Einen ganz anderen Ton schlägt unmittelbar danach Oskar Lafontaine an. Er könne keinen Grund für eine Trennung erkennen. Das Grundsatzprogramm der Linken sei mit 95 Prozent verabschiedet worden, sagt der Saarländer. Diesen Zuspruch interpretiert der ehemalige Sozialdemokrat als Zeichen der Einigkeit. Trotz aller Schwierigkeiten gebe keinen Grund, "das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen“, meint Lafontaine. Befindlichkeiten dürften nicht mit programmatischen Differenzen verwechselt werden. Wie es seines Erachtens besser gemacht werden könnte, könne man in Frankreich sehen. Der neue sozialistische Präsident Francois Hollande verkünde höhere Steuern für Reiche, kämpfe für Eurobonds zur Bekämpfung der Währungskrise und ziehe die französischen Truppen aus Afghanistan ab.

Scharf kritisiert Lafontaine seine ehemalige Partei. Die SPD habe die "ausgestreckte Hand“ der Linken immer wieder ausgeschlagen. "Dummes Gerede“ sei es deshalb, ihm Regierungsunwilligkeit vorzuwerfen. In einem Punkt sind sich Lafontaine und Gysi bei allen erkennbaren Gegensätzen einig: "Eigentlich haben wir kein Recht, unsere Partei zu verspielen“, sagen beide wortgleich und erhalten dafür den größten Beifall

Klaus Ernst wird sentimental

Begonnen hat der Parteitag mit einer Rede des noch amtierenden Parteichefs Klaus Ernst. Am Ende seiner Rede wird er richtig sentimental. Ernst bedankt sich bei seinen engsten Mitarbeitern in der Berliner Parteizentrale, die er nach zwei Jahren an der Spitze verlässt. "Ich wünsche euch weiter den aufrechten Gang“, rief der 58-Jährige in die weitläufige Göttinger Lokhalle, wo bis Sonntag der Parteitag stattfindet.

Klaus Ernst, Vorsitzender der Partei Die Linke, spricht am Samstag (02.06.2012) beim Parteitag der Linken in der Lokhalle in Göttingen. Die Delegierten der Partei Die Linke kommen am Wochenende zum Parteitag in Göttingen zusammen, um eine neue Doppelspitze mit mindestens einer Frau zu wählen. Foto: Bernd von Jutrczenka dpa/lni +++(c) dpa - Bildfunk+++ pixel
Parteichef Klaus - nach zwei Jahren bereits das AusBild: picture-alliance/dpa

In diesem Moment spüren die Delegierten, dass die schonungslose und selbstkritische Bilanz zugleich ein Aufruf zur Geschlossenheit ist. Der parteiintern höchstumstrittene Ernst darf sich ausnahmsweise einmal über Genossinnen und Genossen freuen, die sich für ihn applaudierend von ihren Sitzen erheben. Ein Bild der Harmonie, das so gar nicht zum Eindruck passt, den die tief gespaltene Linke seit Monaten vermittelt.

Am Zustand dieser Partei, an deren Entstehung Ernst 2007 maßgeblich beteiligt war, gibt es aus Sicht des früheren Gewerkschaftsfunktionärs "nichts zu beschönigen“. In der Linken gebe es "Zerfallserscheinungen“, sagt Ernst und listet die Bundesländer auf, in denen zuletzt Wahlen verloren gingen. Im Mai flog die Partei aus den Parlamenten in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Schon 2011 war sie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an der Fünf-Prozent-Sperrminorität gescheitert. Eine Niederlagen-Serie in vier westdeutschen Ländern, die eines überdeutlich macht: die im Osten starke Linke ist im Westen der Republik auf dem besten Weg zur Splitterpartei. "Momentan driftet der Laden auseinander“, sagt Ernst in seiner letzten Rede als Vorsitzender.

Kandidiert Sahra Wagenknecht doch noch?

Wäre es nach ihm gegangen, hätte sein Vorgänger Oskar Lafontaine sein Nachfolger werden sollen. Daraus wird nun bekanntlich nichts. Trotzdem hofft Ernst, dass Lafontaine eine tragende Rolle im Bundestagswahlkampf 2013 spielen wird. "Oder ist hier irgend jemand der Auffassung, dass uns der Rückzug Oskars geholfen hat?“, fragt Ernst die Delegierten. Kein Ja, kein Nein – in diesem Moment wagt niemand im Saal, die plötzliche Stille zu stören.

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, sitzt am Samstag (02.06.2012) beim Parteitag der Linken in der Lokhalle in Göttingen. Die Delegierten der Partei Die Linke kommen am Wochenende zum Parteitag in Göttingen zusammen, um eine neue Doppelspitze mit mindestens einer Frau zu wählen. Foto: Jochen Lübke dpa/lni +++(c) dpa - Bildfunk+++
Sarah Wagenknecht, die Lebensgefährtin Lafontaines, ist für viele ein HoffnungsträgerBild: picture-alliance/dpa

Dabei war Lafontaine Auslöser der skurrilen Personaldebatte, die in zehn Bewerber für die Partei-Spitze mündete, darunter vier Frauen. Und vielleicht wird mit Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht noch eine fünfte Frau antreten. Sie ist die Hoffnungsträgerin der Traditionalisten innerhalb der Linken, die lieber opponieren, als in einer Regierung Kompromisse einzugehen.

Die Reformer um den stellvertretenden Bundestagsfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch können sich hingegen Links- Bündnisse mit Sozialdemokraten und Grünen unter bestimmten Voraussetzungen vorstellen. Der Machtkampf zwischen den beiden Flügeln hat die Linke an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht. "Wenn wir jetzt auseinander rennen, dann begehen wir Wahlbetrug“, sagt deshalb Ernst in seiner Abschiedsrede. Man würde dann nämlich das Versprechen brechen, eine Linke für ganz Deutschland zu sein.