Gysi weiter im Alleingang
9. Oktober 2013Nach Union, SPD und Grünen haben auch die 64 Abgeordneten der Linken im Bundestag ihre Fraktionsspitze gewählt. Erwartungsgemäß ist der alte Chef auch der neue: Gregor Gysi, der erneut seinen Wahlkreis in Berlin gewonnen und durch einen glänzenden Wahlkampf seine Ausnahmestellung in der Partei bewiesen hatte. Gysi erhielt während einer Fraktionsklausur in der Nähe von Berlin gut 80 Prozent der Abgeordnetenstimmen seiner Partei.
Der 65-jährige Anwalt führte nach dem Ende der DDR die Umwandlung der einstigen ostdeutschen Staatspartei SED in die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) an und hob 2007 gemeinsam mit Oskar Lafontaine die gesamtdeutsche Linke aus der Taufe, die vor einem Jahr allerdings beinahe an Richtungskämpfen wieder zerbrochen wäre.
Die Situation heute sei eine gänzlich andere, sagt Gysi am Rande der Beratungen über die künftige Fraktionsspitze. Alle Teile der Partei hätten begriffen, dass sie sich gegenseitig brauchen. Allerdings verzögerte sich die angekündigte Wahl wegen des Streits um die Stellvertreterposten dann doch um mehrere Stunden.
Außer dem Vorsitzenden wurden acht Stellvertreter gewählt, die eine ausgewogene Mischung von sogenannten Pragmatikern und Radikalen, Ost- und Westdeutschen, Frauen und Männern, garantieren sollen.
66 Prozent für Wagenknecht als Stellvertreterin
Der radikal-antikapitalistische Flügel der Partei, der eigentlich Oskar Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht zur gleichberechtigten zweiten Fraktionschefin machen wollte, willigte bereits vor der Abstimmung in einen Kompromiss ein. Wagenknecht soll eine hervorgehobene Position als erste Stellvertreterin des Fraktionschefs bekommen. Sie wurde mit rund 66 Prozent der Stimmen in den Vorstand gewählt. Bei ihren Anhängern löste Verärgerung aus, dass Gysi indirekt mit einem Rückzug von seiner Kandidatur gedroht hatte, wenn die Fraktion eine „Doppelspitze“ mit der von ihm ungeliebten Wagenknecht beschließen sollte.
Gysi hingegen, der im neuen Bundestag dem Höhepunkt seiner parlamentarischen Karriere entgegen strebt, möchte freie Hand bei seinem Bemühen haben, die Regierungsfähigkeit der Linken für 2017 unter Beweis zu stellen. Bei der nächsten Bundestagswahl hält er ein rot-rot-grünes Bündnis aus SPD, Linken und Grünen für möglich. Eine Machtteilung mit Wagenknecht an der Fraktionsspitze könnte für diese Pläne eher hinderlich sein. Er sei nun mal „ein Alphatier“ witzelte Gysi am Rande der Fraktionsklausur, angesprochen auf seinen Widerstand gegen eine „Doppelspitze“.
Neues Angebot an SPD und Grüne
Falls es diesmal zu einer großen Koalition von Union und SPD kommt, wäre der 65-jährige Gysi außerdem eine Art inoffizieller Oppositionsführer, weil er die stärkere Partei des Nichtregierungslagers anführen würde, das dann nur noch aus Grünen und Linken bestünde. So könnte der als glänzender Redner bekannte Anwalt in Bundestagsdebatten als Erster direkt auf Bundeskanzlerin Angela Merkel antworten.
In einem Brief appellierte Gysi an den amtierenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, im Falle einer großen Koalition von CDU, CSU und SPD die Rechte der kleinen Opposition zu verbessern. Linke und Grüne kommen zusammen nur auf 20 Prozent der Parlamentssitze. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wären beispielsweise 25 Prozent notwendig. Gysi möchte, dass diese Hürde für den Fall einer Großen Koalition außer Kraft gesetzt wird.
Inhaltlich beschloss die Linksfraktion auf ihrer Klausurtagung, der SPD und den Grünen erneut eine Kooperation bei parlamentarischen Initiativen für die Zeit vor der Regierungsbildung anzubieten. Die Linke will dazu möglichst schnell nach der Konstituierung des Bundestags am 22. Oktober fünf Anträge in den Bundestag einbringen. Dabei geht es unter anderem um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die vollständige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe. Wieder abgeschafft werden soll das gerade erst auf Drängen der bayrischen CSU eingeführte staatliche Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder nicht in öffentliche Tagesstätten schicken wollen.