Literatur mit analytischer Brillanz
8. Oktober 2003"J.M. Coetzees Romane zeichnen sich durch verschlagene Komposition, verdichteten Dialog und analytische Brillianz aus", erklärte die Schwedische Akademie am Donnerstag (2. Oktober 2003) in ihrer Begründung. "Indem er Schwäche und Niederlage erforscht, fängt Coetzee den göttlichen Funken des Menschen." Gleichzeitig hob sie den Variations-Reichtum in Coetzees Büchern hervor. Der 63-jährige Südafrikaner, der mittlerweile in Australien lebt, schreibt vor allem über die Verhaltensweisen, die das Apartheid-System mit sich gebracht hat und die er schonungslos offenlegt. In knappem und prägnantem Stil erzählt er von Doppelmoral und Rassismus.
"Solide Entscheidung"
Dass John Maxwell Coetzee ein Südafrikaner weißer Hautfarbe ist, galt bisher eher als Handicap auf dem Weg zu Nobelpreis-Ehren. Schließlich hatte 1991 mit Nadine Gordimer bereits eine Angehörige dieser Minderheit den Preis erhalten. Einige Literaturexperten hatten auch betont, es habe schon seit sieben Jahren keine Frau mehr Medaille, Diplom und Nobel-Scheck in Empfang genommen.
Nun hat die Schwedische Akademie Coetzee trotzdem ausgezeichnet und sich damit über alle Erwartungen an "politische Korrektheit" hinweggesetzt. Die Wahl ist rein literarisch verankert: Coetzee wird weltweit viel gelesen und gilt auch unter Kritikern als erstklassiger Romanautor. Folglich herrschte nach der Bekanntgabe des Preisträgers Einigkeit, dass die Entscheidung für Coetzee "solide" und wenig umstritten sei.
Oft gelesen und doch unbekannt
J.M. Coetzee wurde am 9. Februar 1940 in Kapstadt geboren. Nach einem Englisch- und Mathematikstudium ging er nach Texas und erwarb einen Doktortitel in Linguistik. Anschließend unterrichtete er an der State University of New York, musste aber nach Südafrika zurückkehren, nachdem er bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg festgenommen wurde.
Seine Karriere als belletristischer Schriftsteller begann er 1974. Den internationalen Durchbruch erzielte er mit dem Roman "Warten auf die Barbaren" (1980). Als erster Schriftsteller wurde Coetzee zwei Mal mit dem renommierten Booker-Prize geehrt: für "Leben und Zeit des Michael K." (1983) und "Schande" (1999). Coetzee arbeitet auch als Übersetzer und schreibt Literaturkritiken. 2002 wanderte er nach Australien aus, wo er an der Universität Adelaide tätig ist. Zuvor war er Literaturprofessor in Kapstadt. Doch als Autor war Coetzee in seiner Heimat bisher eher unbekannt.
Genie mit knappem Stil
Schon seit Mitte der 1990er Jahre war Coetzee immer wieder als Anwärter auf den Nobelpreis genannt worden. Diesmal konkurrierte er mit den US-Schriftstellern Philip Roth und Joyce Carol Oates, der kanadischen Top-Autorin Margaret Atwood und dem Peruaner Mario Vargas Llosa.
Die Entscheidung für den gebürtigen Südafrikaner wurde positiv aufgenommen. "Er ist ein guter Freund und ein großartiger Schriftsteller", erklärte Nadine Gordimer. Der Preis sei "auch bedeutsam für Südafrika". Sein dortiger Verlag ist überzeugt: "Der Mann ist ein Genie. Er sagt so viel in so wenigen Worten", lobte Stephen Johnson von Random House Südafrika. Coetzees deutsche Lektorin beim S. Fischer Verlag, Ursula Köhler, sagte: "Coetzee musste einfach diesen Preis bekommen."
Die Nobelpreise sind jeweils mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro dotiert. Sie werden stets am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Preis-Stifters Alfred Nobel (1833-1896). (reh)