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Exzessiver Roman

Rodica Binder / Alexandra Scherle4. Juni 2012

Fast zwei Jahre lang lebte er als Gastdozent in Berlin. Jetzt kehrte der rumänische Schriftsteller Mircea Cărtărescu in die Hauptstadt zurück - um den Internationalen Literaturpreis entgegenzunehmen.

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Porträt des Schriftstellers Mircea Cartarescu (Foto: Zsolnay Verlag)
Der Schriftsteller Mircea CartarescuBild: Zsolnay Verlag Heribert Corn

Um zu schreiben, brauche er eine "metaphysische Einsamkeit, die man wie ein Schneckenhaus überallhin mitnehmen kann", sagte Mircea Cărtărescu in einem DW-Interview. In seiner Heimat Rumänien vermisste er diese Ruhe - gefunden hat er sie in Deutschland, während eines Stipendiums der deutschen Stiftung Akademie Schloss Solitude. "Wie im Paradies" habe er sich während seines Aufenthalts in Stuttgart gefühlt. Dort fand er die Zeit, um seine Romantrilogie "Orbitor" fertigzustellen.

15 Jahre lang schrieb er an diesem Werk, immer mit der Hand und in alte Hefte, aus denen er nie auch nur ein einziges Blatt herausgerissen hat. Im wohl bedeutendsten Werk des 56-jährigen Schriftstellers wird das Bukarest seiner Kindheit im kommunistischen Rumänien zu einem magischen Ort. "Die Selbsterkundung des Ich-Erzählers Mircea wird zur Welterkundung und breitet ein literarisch vernetztes Denken aus, das kleinste und größte Elemente der Existenz zusammenführt" - so beschreibt die Jury des Hauses der Kulturen der Welt den zweiten Teil der "Orbitor"-Trilogie, "Der Körper". Sie hat das Buch mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Mircea Cărtărescu sei "ein fulminanter Roman und ein sprachlich elektrisierendes Kunstwerk von seltener Intensität und Leuchtkraft gelungen", urteilte die Jury. Mit dem Preis werden auch die deutschen Übersetzer des Romans Gerhard Csejka und Fedinand Leopold geehrt. Beide sind ebenfalls in Rumänien geboren. Die Laudatio hielt am Mittwoch (06.06.2012) der ungarische Schriftsteller Peter Esterhazy.

Der rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu mit seiner Frau, Ioana Nicolaie, in Berlin
Der Autor und seine Frau, die Lyrikerin Ioana Nicolaie, in BerlinBild: DW/Binder

Kein Erzähler, sondern ein Dichter

Träume und phantastische Elemente durchziehen den Roman. Auch die Absurdität der kommunistischen Diktatur wird in einzelnen Szenen entlarvt - zum Beispiel webt die Mutter des Ich-Erzählers einen Teppich und wird vom Geheimdienst Securitate beschuldigt, sie würde geheime Botschaften darin verstecken. Doch Mircea Cărtărescu hatte keinesfalls die Absicht, einen realistischen Roman mit historischem Anspruch über den Kommunismus in Rumänien zu schreiben. Für ihn ergebe ein realistischer Roman "gar keinen Sinn", denn er sei "ein Dichter, und kein Erzähler", erklärte der Autor im Interview.

Seine ersten Publikationen waren Gedichtbände. Cărtărescus Originalität und die außergewöhnliche Qualität seines Stils durchziehen sein besonders vielseitiges Werk: von Erzählbänden bis zu Zeitungsartikeln, Literaturkritik, Essays, Romanen und sogar einem Kinderbuch über Drachen und Fabelwesen. Heute wird er sogar als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt.

Immense Sprachkraft fasziniert deutsche Literaturkritiker

Viele seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt - unter anderem einer seiner Bestseller, der Erzählband "Warum wir die Frauen lieben" (2008, übersetzt von Ernest Wichner).

Buchcover des Romans "Der Körper" von Mircea Cartarescu
Preisgekrönter Roman: "Der Körper"Bild: Zsolnay

Seine Bücher - allen voran die ersten beiden Bände der Trilogie "Orbitor" - stießen auch bei deutschen Literaturkritikern auf perplexe Reaktionen der Bewunderung. Sie waren fasziniert von Cărtărescus "immenser Sprachkraft" und seiner Fähigkeit, "Wirkliches und Unwirkliches ineinander verschmelzen zu lassen".

Nach seinem Philologie-Studium in Bukarest arbeitete Mircea Cărtărescu zuerst als Lehrer für rumänische Sprache und Literatur, später als Dozent an der Bukarester Universität. Auch an der Freien Universität Berlin war er fast zwei Jahre lang als Gastdozent für Literatur tätig. Fast alle Städte, die er durchquert hat, finden sich in seinen Schriften wieder. Doch eines haben sie für ihn gemeinsam: "Wo immer ich mich befinde, gehe ich traumwandlerisch durch die Landschaft. Ich fühle die Städte durch ihre Geräusche und ihre Düfte, aber danach rächen sie sich in meinem Geist, sie beginnen dort zu vibrieren, zu glänzen", erzählte Mircea Cărtărescu in einem DW-Interview im Winter 2010, während seiner Berliner Zeit.