Lockt die Legalisierung Einwanderer nach Europa?
8. September 2006Täglich berichten Medien in Europa über das Drama der illegalen Einwanderer, die versuchen in Booten nach Europa überzusetzen. Die Bilder von ausgemergelten Flüchtlingen aus Afrika mit müden Augen, eingehüllt in Decken sind fast schon fester Bestandteil der Fernsehnachrichten. Die Botschaft: Wer die Überfahrt wagt, riskiert sein Leben.
Gebrauchsanweisung zur Flucht
Das sei alles verzerrt dargestellt, meint der Autor des Artikels "Venir en Europe : mode d'emploi" auf der Internetseite www.senegalaisement.com. Im Gegensatz zu dem was westliche Medien glauben machen wollten, sei das Risiko für die Überfahrt gleich null, "wenn die Sicherheitsbedingungen" respektiert würden. Die vielen Bootsfahrten auf die Kanaren seien eine "gute Lösung für die senegalesischen Männer", vor allem für die jungen, so der Ratschlag des Autors.
Er liefert eine detaillierte Gebrauchsanweisung zur Flucht nach Europa, inklusive Preisliste. Ein Platz in einem Boot für 50 Personen "mit gutem Motor" koste um die 90 Euro pro Kopf. Extrakosten fallen für "Sicherheits-Equipment", Benzin und Lebensmittel an, so dass sich am Ende ein Maximal-Kostenaufwand von 150 Euro ergibt. Wem die Überfahrt gelingt, dem steht laut senegalaisement.com in Spanien, dem "offensten Land der Welt", ein besonders angenehmes Flüchtlingsleben bevor. "Spanien hält den Weltrekord in der Legalisierung von Einwanderern", ist zu lesen.
EU-Kommissar gegen Zapatero
Diese Internetseite scheint den Kritikern von José Luis Rodriguez Zapateros Einwanderungspolitik Recht zu geben. Seitdem der sozialistische Regierungschef im vergangenen Jahr eine große Legalisierungsaktion gestartet hat, steht er im Kreuzfeuer vor allem konservativer Politiker. Gebetsmühlenartig wiederholen beispielsweise Vertreter der oppositionellen konservativen Volkspartei den Vorwurf, Zapatero habe mit der Legalisierung einen Sogeffekt (efecto llamada) ausgelöst. Kürzlich kam die Kritik sogar von der EU-Kommission, die sich zu dieser politisch brisanten Frage bisher nur zurückhaltend geäußert hatte. Der EU-Innen- und Justizkommissar Franco Frattini warf Zapatero vor, durch die Legalisierung weiter Immigranten angelockt zu haben.
20.000 Einwanderer sind seit Beginn des Jahres an den Küsten der Kanarischen Inseln angekommen, vier mal so viel wie im vergangenen Jahr. Zapatero hat inzwischen den Ton verschärft. "Spanien akzeptiert versteckte oder illegale Einwanderung nicht und wird sie niemals akzeptieren", sagte er in einem Radio-Interview. Er forderte mehr Unterstützung von der EU und verlangte härteres Vorgehen von Seiten afrikanischer Staaten. Spanien brauche ausländische Arbeitnehmer. Diese müssten aber legal einreisen. Die illegale Immigration sei ein Betrug an den Arbeitern und ein Verstoß gegen das friedliche Zusammenleben im Lande.
Flüchtlingsorganisationen: Kein Sogeffekt
Rückhalt bekommt er für seine Legalisierungspolitik von fast allen Nichtregierungsorganisationen, die sich mit der Thematik befassen. "Einen Sogeffekt gibt es nicht. Die Menschen kommen nicht, weil sie Papiere wollen, sondern weil sie Arbeit suchen", sagt Juan Miralles von der Organisation Andalucia acoge empört. "Das ist ein rein politisches Argument, das auch noch falsch ist." Die Legalisierung habe nur ein bereits bestehendes Problem sichtbarer gemacht. "Viele Einwanderer arbeiten bislang in der Schattenwirtschaft", sagt Miralles, der sich um Einwanderer in der Provinz Almeria kümmert.
"Man kann nicht sagen, dass viel mehr Einwanderer kommen. Es ist nur so, dass derzeit fast alle den Weg über den Atlantik auf die Kanarischen Inseln wählen", glaubt Miralles. Die klassischen Routen über Ceuta und Melilla oder über die Meerenge von Gibraltar seien durch die verschärften Kontrollen so gut wie undurchdringbar geworden.
Mehr Kontrollen, mehr Einwanderer
Laut Jose Palazón von der Organisation prodein in Melilla versuchen nur noch wenige Afrikaner über die spanische Exklave nach Europa zu kommen. "Das Thema Papier spielt bei der Entscheidung, die gefährliche Überfahr nach Europa zu wagen, nur eine untergeordnete Rolle". Palazón sieht stattdessen einen Zusammenhang zwischen der Verschärfung der Grenz-Kontrollen und dem anschwellenden Flüchtlinsstrom auf die Kanaren. "Die meisten denken: Ich muss jetzt fliehen, denn das ist die letzte Möglichkeit. Morgen ist es vielleicht schon zu spät, wenn die EU die Kontrollen noch weiter verschärft hat."
Die meisten spekulierten darauf, dass sie von den spanischen Behörden aufs Festland gebracht würden, da die Inseln selber kaum Aufnahmekapazitäten böten, sagt Andre Mendy von dem Verein senegalesischen Einwanderer in Roquetas (Provinz Almeria). "Mit meinem Land hat Spanien kein Auslieferungsabkommen. Die meisten wissen, dass sie von den Behörden nicht ausgewiesen werden können". Für Mendy gibt es nur eine Lösung des Problems. "Europa soll uns kein Geld schicken, das dann von den Politikern verschwendet wird, sondern sie sollen uns helfen, Arbeitsplätze für die jungen Leute zu schaffen."