Längere Übergangsfrist im "Würstchenstreit"?
18. Juni 2021Im Streit über die Brexit-Regeln für Nordirland soll die Übergangsfrist für den ungehinderten Export von Fleisch- und Wurstwaren in die britische Provinz nach dem Willen der Regierung in London bis Ende September verlängert werden. Eigentlich läuft die Sonderregelung in dem bereits als "Würstchenstreit" titulierten Zank am 30. Juni aus.
Der Antrag werde geprüft, teilte die EU-Kommission mit. Man habe bereits Offenheit für Lösungen signalisiert, dafür müsse Großbritannien aber das sogenannte Nordirland-Protokoll vollständig umsetzen, mahnte die Brüsseler Behörde: "Es gibt keine Alternative zum Protokoll."
Hintergrund ist die Regelung, dass Nordirland auch nach dem Brexit de facto in Zollunion und Binnenmarkt der Europäischen Union bleibt. Damit sollen Warenkontrollen zwischen dem britischen Landesteil auf der irischen Insel und dem EU-Mitglied Republik Irland verhindert werden, um nicht neue Spannungen in der ehemaligen Bürgerkriegsregion zu provozieren. Doch kontrolliert werden muss nun im Gegenzug die neue Warengrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Das führt zu Schwierigkeiten im innerbritischen Handel - auch bei Fleisch und Wurst - , für die sich London und Brüssel gegenseitig verantwortlich machen.
Grillsaison in Nordirland in Gefahr?
Die britische Regierung droht im "Würstchenstreit" damit, wie schon zuvor in anderen Bereichen, die Übergangsfrist einfach einseitig zu verlängern. Entsprechend deutlich war die Ansage aus London. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür, den Verkauf von Fleisch- und Wurstwaren in Nordirland zu verhindern - jedes Verbot würde dem Ziel des Protokolls und den Interessen der Menschen in Nordirland zuwiderlaufen", sagte eine britische Regierungssprecherin am Donnerstagabend. Brüssel hat in dem Streit bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und erwägt auch Strafzölle.
Schreckgespenst für die DUP- ein Anschluss an Irland
Vor dem Hintergrund der komplizierten Diskussionen um das "Nordirland-Protokoll", gewinnt die fragile politische Situation in Nordirland an Brisanz. Nach nur drei Wochen im Amt hat der Chef der nordirisch-protestantischen DUP, Edwin Poots, seinen Rücktritt angekündigt. Zuvor hatte er sich gegen den Willen großer Teile seiner Fraktion mit der Besetzung für den Posten des nordirischen Regierungschefs durch seinen politischen Zögling und engen Verbündeten Paul Givan durchgesetzt.
Der Rücktritt des DUP-Chefs wirft nun die Frage auf, wie stabil Givans Position ist. Allgemein war erwartet worden, dass die Hardliner Poots und Givan zusammen an der Spitze von Partei und Regierung den Kurs gegen das sogenannte Nordirland-Protokoll verschärfen würden.
Viele in der DUP kritisieren, dass mit dem "Nordirland-Protokoll" eine Seegrenze zum übrigen Großbritannien geschaffen und der Weg für eine Wiedervereinigung Nordirlands mit Irland geebnet werde. Im parteiinternen Streit darüber hatte Poots die frühere Partei- und Regierungschefin Arlene Foster aus ihren Ämtern gedrängt. Er warf ihr vor, in ihrer Opposition gegen das "Protokoll" nicht energisch genug gewesen zu sein. Unter Foster hatte die DUP zwar vehement dagegen protestiert, doch konnten die Unionisten letztlich die Einführung des Protokolls durch den britischen Premierminister Boris Johnson nicht verhindern.
Die Spannungen zwischen den Konfessionen in Nordirland hatten zuletzt wieder deutlich zugenommen, vor allem wegen des Brexits. Bei dem erst 1998 im "Karfreitagsabkommen" beigelegten jahrzehntelangen Konflikt kämpften überwiegend katholische Befürworter einer Vereinigung der beiden Teile Irlands gegen mehrheitlich protestantische Anhänger der Union mit Großbritannien.
Im April entlud sich der Unmut in Teilen der nordirischen Bevölkerung über die Regelungen rund um den EU-Austritt dann wiederholt in Ausschreitungen. Vorwiegend junge Randalierer lieferten sich tagelang nächtliche Straßenschlachten mit der Polizei.
qu/rb (dpa, afp, rtr)