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Pionierin des Trickfilms

Helga Spannhake3. September 2012

Der erste abendfüllende und ganz erhaltene Animationsfilm der Filmgeschichte stammt nicht von Walt Disney, sondern von der deutschen Filmemacherin Lotte Reiniger. Zu Unrecht ist sie in Vergessenheit geraten.

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Szenenfoto aus Lotte Reinigers Film "Papageno" (Foto: Stadtmuseum Tübingen)
Bild: Stadtmuseum Tübingen

Es sind nur Schatten. Schatten von Menschen, Tieren und Pflanzen aus Papier - doch sie wirken lebendig. Lotte Reiniger hat sie zum Leben erweckt. Die 1899 geborene Berlinerin hat sie in Kleinstarbeit ausgeschnitten und jede ihrer Bewegungen abgefilmt. Ihre Technik: der Scherenschnitt. Ganze drei Jahre hat sie so für ihren Film "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" gebraucht: Mit 66 Minuten ist er der erste lange Trickfilm der Filmgeschichte.

Für eine Sekunde Film wurden 24 Einzelbilder aufgenommen - insgesamt waren es rund 100.000. Lotte Reiniger musste präzise arbeiten: Jede Figur im Film musste punktgenau innerhalb einer Szene bewegt werden, ansonsten wären ihre Bewegungen nicht flüssig gewesen, die Schatten leblos und starr. Eine enorme Leistung, die Lotte Reiniger mit ihrem Team erbrachte. Trotzdem sind Lotte Reiniger und ihre Filme heutzutage in Deutschland in Vergessenheit geraten.

Auf den Spuren Lotte Reinigers

Um das Leben und Werk Lotte Reinigers vor dem Vergessen zu bewahren, haben nun Studierende und Dozenten der Medienwissenschaften an der Universität Tübingen einen Dokumentarfilm produziert. In "Tanz der Schatten" zeigen sie die Bedeutung von Lotte Reiniger. Für Dozentin Susanne Marschall ist Lotte Reiniger eine innovative Kraft der Trickfilmtechnik: "Gemeinsam mit ihrem Mann Carl Koch hat sie einen mehrstufigen Tricktisch entwickelt, über dem eine Multiplankamera hing."

Lotte Reiniger bei der Arbeit an "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" (Foto: Stadtmuseum Tübingen)
Lotte Reiniger bei der ArbeitBild: Stadtmuseum Tübingen

Der Tricktisch von Lotte Reiniger war ein Tisch mit einer Auslassung in der Mitte. Dieses Loch hat sie mit einer Glasplatte ausgelegt, auf die sie ein transparentes Papier legte. Auf diesem Papier hat sie ihre ausgeschnittenen Figuren gelegt. Dann hat sie die Glasplatte von unten beleuchtet, sodass die Silhouetten der Schattenfiguren deutlich wurden.

Legte man mehrere Glasplatten übereinander, konnte man filmische Tiefe schaffen: Es sah so aus, als würden sich die Schattenfiguren durch eine vielschichtige Landschaft bewegen. So konnte man zum Beispiel die Wellenbewegung eines Meeres besonders gut inszenieren. Wie realistisch die Figuren Lotte Reinigers wirkten, sieht man in der Szene ihres Films "Papageno" aus dem Jahr 1935:

Lotte Reiniger - Pionierin des Trickfilms

Lotte Reiniger wächst im Berlin der 20er Jahre auf. Berlin ist aufregend und lebendig. An ihrem Tricktisch entstehen zahlreiche künstlerische Filme wie zum Beispiel "Aschenputtel" (1922), "Carmen" (1933), "Das gestohlene Herz" (1934) und "Papageno" (1935). Lotte Reiniger verarbeitet in ihren Filmen immer wieder Märchenstoffe, Mythen und Opernlibretti: "Ich bin ballett-, film- und theaterbesessen und habe einen Mozart-Fimmel", so beschrieb sie sich selbst.

Ruhm im Ausland

1981 stirbt Lotte Reiniger in der Nähe von Tübingen. In Deutschland scheint ihr Name vergessen, aber im Ausland kennt und schätzt man sie bis heute umso mehr. "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" kann man über die Goethe-Institute in aller Welt sehen. Er zählt dort zu den am häufigsten ausgeliehenen Stummfilmen.

Szene aus dem Film "Papageno" von Lotte Reiniger aus dem Jahr 1935 (Foto: United States/Mono Print)
Szene aus dem Film "Papageno" aus dem Jahr 1935Bild: picture-alliance / KPA/TopFoto

In Südostasien, vor allem in Malaysia und Indonesien, wo das Schattenpuppenspiel eine lange Tradition hat, inspiriert das Werk Lotte Reinigers junge Trickfilmer. Sie arbeiten im Stil ihrer Filme weiter. Auch in Indien wird Lotte Reiniger verehrt, wie Susanne Marschall mit ihren Kollegen bei einem Besuch feststellen konnte: "Wir hatten den Achmed als Geschenk dabei und mussten überhaupt nicht erklären, was das ist, weil schon alle beim ersten Bild gesagt haben 'Oh, Lotte Reiniger'".

Sobald sich im internationalen Filmgeschäft Silhouetten bewegen, verweist das auf Lotte Reiniger und ihre Pionierarbeit. So wie zum Beispiel bei "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes". In einer Szene wird dort ein Märchen erzählt - im Stil von Lotte Reinigers Scherenschnitt-Technik. Auch die Zeichentrickfilmversion von Marjane Satrapis "Persepolis" greift eindeutig auf Lotte Reiniger zurück. Zeit, diese Grande Dame des Trickfilms in Deutschland endlich wieder neu zu entdecken.